Der amtierende Präsident der Freien Universität, Prof. Dr. Günter M. Ziegler, hat die Hälfte seiner Amtszeit hinter sich. Im Interview mit Philipp Gröschel und Maj Pegelow spricht er über die Klimapolitik der Uni, die Berliner Exzellenzpläne und weitere Zukunftsideen.
FURIOS: Herr Ziegler, Sie sind jetzt seit etwas mehr als zwei Jahren Präsident der Freien Universität. Wie blicken Sie auf Ihre bisherige Amtszeit zurück?
Günter M. Ziegler: Seit dem Amtsantritt ist die Zeit gefühlt sehr schnell vergangen. Und ich stelle eindeutig fest, dass der Job nicht nur zeremoniell ist – vielmehr geht es um Weichenstellungen. Das war am Anfang neu für mich, auch, weil ich keine Erfahrung mit der Leitung einer Universität hatte. Ich habe aber schnell gelernt. Und gerade wenn man glaubt, man hat verstanden, wie die Sachen laufen, kommt so etwas wie Corona.
Was ist aus Ihrer Sicht gut beziehungsweise schlecht gelaufen?
Gut war: Schon am Tag nach der Wahl saß ich mit meinem Vorgänger Peter-André Alt zusammen. Für die Exzellenzstrategie haben wir den gemeinsamen Berliner Antrag konzipiert und ausverhandelt. Ich musste dann auch die Sprecherschaft übernehmen. Von dem, was wir dort präsentiert haben, hingen Fördermittel von bis zu 230 Millionen Euro ab! Wir waren, wie wir heute wissen, erfolgreich und jetzt haben wir die Verantwortung, damit ein für Berlin und die Universitäten tolles Projekt zu realisieren. Ich habe aber auch gelernt: Man kann sich im Vorfeld überlegen, wie Dinge im Idealfall ablaufen sollten – und man wird dann enttäuscht. Manchmal geht alles sehr viel langsamer, umständlicher oder es lässt sich nicht umsetzen; allerdings stelle ich auch fest, dass das immer gute Gründe hat; manche muss man hinnehmen, manche nicht.
Apropos Dinge, die länger brauchen: Sie haben sich das Ziel gesetzt, bis 2025 klimaneutral zu sein. Die TU hat das für 2030 vor und die HU hat noch keine Klimaziele ausformuliert. Das ist ja im Vergleich sehr ambitioniert.
Ich hätte jetzt die Frage erwartet, warum das so lange dauert. Wenn wir erst letzten Herbst aufgewacht wären und gemerkt hätten, dass Klimaschutz wichtig ist, hätten wir heute keine Chance, in fünf Jahren Ziele wie diese zu erreichen. Die Freie Universität hat aber in diesem Bereich eine Vorgeschichte. Wir haben seit dem Jahr 2000 ein erfolgreiches Energiemanagement betrieben und auch großen Wert auf Nachhaltigkeit gelegt. Als dann die Klimaschutzproteste kamen, wussten wir eigentlich bereits recht gut, wo wir stehen.
Wir wissen auch, was fehlt; dass wir beispielsweise einen großen Schritt in Richtung eines klimaneutralen Campus machen könnten, wenn es uns gelingen würde, klimaneutrale Fernwärme zu beziehen. Wir können dem Versorger nicht auf die Schnelle kündigen und den Strom an der Universität erst wieder anschalten, wenn wir nachhaltige Energie bekommen. Das geht einfach nicht, die Zusammenhänge sind da viel zu komplex. Insofern war uns klar, dass Klimaneutralität bis 2025 ambitioniert ist, aber das muss der Anspruch an unsere Freie Universität sein. Das Grün in unserem Logo ist nicht nur eine schöne Farbe, die Assoziation mit Nachhaltigkeit kann man sich vor Augen führen und diese auch ernst nehmen.
„Die Geldanlagen der Freien Universität haben mit der Klimabilanz der Hochschule direkt nichts zu tun.“
Ist dieses Ziel denn realistisch, wenn der Leiter Ihrer eigenen Stabsstelle für Nachhaltigkeit sagt, 2025 ist nicht zu erreichen – beispielsweise aufgrund der Emissionen durch Dienstreisen, und weil die FU auch weiterhin in klimaschädliche Unternehmen investiert?
Wenn wir uns das nicht vornehmen, und das je früher, umso besser, dann werden wir dieses wichtige Ziel nie erreichen. Und ich glaube, das ist zu schaffen. Das Thema Dienstreisen ist eines, das sich im letzten halben Jahr durch Corona verändert hat. Das hat uns viele neue Erkenntnisse gebracht für den zukünftigen Umgang mit Reisen. Die Komponenten, an denen wir besonders gut aktiv ansetzen können, sind zum einen die Energieversorgung und Energieerzeugung auf dem Campus, zum Beispiel, was wir an Photovoltaik noch auf die Dächer setzen können.
Zum anderen gehört die tägliche Fahrt zur Universität auch dazu. Da stellt sich die Frage: Wann schafft die BVG es endlich, genug Wagen für die U3 bereitzustellen und somit die teilweise sehr überfüllten Bahnen zu entlasten, damit die Menschen nicht abgeschreckt werden, mit der U-Bahn anzureisen und auf das Auto umsteigen? Die Geldanlagen der Freien Universität haben mit der Klimabilanz der Hochschule direkt nichts zu tun. Das ist trotzdem eine wichtige Frage, der wir auch nachgehen.
Im Wintersemester 2019/20 wurde in der Klimastreikwoche ein Hörsaal besetzt. Warum wurde die Besetzung nicht geräumt, wie es früher häufig passiert ist? Ging es darum, ein Zeichen für den Klimaschutz zu setzen?
Wir haben das nicht als eine Besetzung verstanden, sondern als eine studentische Veranstaltung, die sich mit dem Klimaschutz auseinandersetzt. Ich glaube, dass das insgesamt eine gute Veranstaltung war und ich hoffe, dass es gelungen ist, noch mehr für das Thema zu sensibilisieren. Von der Linie, dass wir Besetzungen über Tage hinweg nicht akzeptieren können, können wir allerdings nicht abweichen, weil das Lehr- und Lernmöglichkeiten an der Universität blockiert.
Ist da eine studifreundlichere bzw. protestfreundlichere Linie des Präsidiums im Vergleich zu Ihrem Vorgänger zu erkennen, oder entstand das eher aus der Motivation heraus: Wir können die jetzt nicht einfach rausschmeißen, weil das ein Zeichen gegen den Klimastreik wäre?
Ich sehe keinen Widerspruch zwischen dem, was Studierende vorantreiben und dem, was wir als Präsidium diskutieren. „Studierende finden Klimaschutz gut, das Präsidium findet Klimaschutz schlecht“: wenn man auf der Basis arbeitet, dann kommen wir nicht voran. Die Frage ist: Was ist der Weg zum Ziel? Wenn Protest ein Weg ist, um Meinungen, Ansichten und kreativen Vorschlägen Gehör zu verschaffen, ist das gut. Da, wo es in Gewalt umschlägt, geht es natürlich nicht. Das habe ich aber im letzten Herbst nicht gesehen. Um ganz ehrlich zu sein: Die Sache, die mir im Hinterkopf geblieben ist von dieser Woche, ist nicht, was in der Silberlaube war, sondern wer am LAI (Lateinamerika-Institut, Anm. d. Red.) nicht war. Das hat mich und uns intern mehr Zeit und Diskussionen gekostet.
„Ich sehe keinen Widerspruch zwischen dem, was Studierende vorantreiben und dem, was wir als Präsidium diskutieren.”
Sie meinen den angekündigten Besuch der AfD-Politikerin Beatrix von Storch. War das auch ein Grund dafür, dass Sie den Hörsaal nicht geräumt haben? Weil es dann noch mehr Aufruhr in der Studierendenschaft hätte geben können?
Das sind zwei voneinander unabhängige Dinge. Wenn Studierende zu mir gekommen wären und gesagt hätten, sie wollen Frau von Storch hier haben, um mit ihr eine politische Debatte zu führen, dann wäre das etwas ganz anderes. Ich glaube, da sind sich Studierende und Präsidium einig. Was uns geärgert hat, war, dass Fehldarstellungen des AStA dann Thema in den Medien und im Senat wurden. Plötzlich wurde behauptet, ich persönlich hätte die Politikerin eingeladen, um bei uns auf einem Podium zu sitzen. Ich sage es mal ganz knapp und deutlich: Nein, das war nicht so. Und das wäre auch nicht eine Idee gewesen, die ich vorgeschlagen hätte.
Würden Sie dann sagen, dass Sie Frau von Storch ausgeladen haben?
Wie kann ich jemanden ausladen, der nie eingeladen war? Es ging um etwas anderes. Die Fragen und die Schwierigkeiten, die mit der Diskussion darum im Herbst entstanden, waren: Wer ist eigentlich wofür verantwortlich? Welche Veranstaltung ist eine Veranstaltung der Freien Universität im Rahmen ihres Lehrprogramms, und welche Veranstaltung ist eine studentische Veranstaltung im Rahmen der Klimawoche? Das muss in Situationen, wo jemand versucht, eine universitäre Debatte zu kapern, klar sein.
Sie haben die Berliner Exzellenzinitiative schon angesprochen. Wie profitiert der*die normale Bachelor-Studierende davon?
Die Berliner Universitätsallianz ist ein riesiges, wichtiges Projekt in der Wissenschaft. Es ist nicht primär ein Lehrprojekt. Die Vision der Allianz ist es, den Wissenschaftsraum Berlin zu integrieren, zu gestalten, zusammenzubringen und damit noch besser zu machen. All das muss sich am Ende auch auf die Lehre durchschlagen. Dass wir gerade eine Rahmenvereinbarung auf den Weg bringen, die gemeinsame Studiengänge und den Besuch von Lehrveranstaltungen zwischen den Universitäten ermöglichen soll, ist ein Teil davon. Wir wollen so vielfältige Studienmöglichkeiten wie möglich anbieten.
Eine andere konkrete Sache ist, dass das Projekt der Allianz Bachelorforschungsprojekte vorsieht. Das sind studentische, selbstorganisierte Projekte, von denen ich mir wünsche, dass sie leben und gedeihen. Für Studierende, die in die Wissenschaft möchten, aber damit nicht bis zur Promotion warten wollen, ist das besonders wertvoll. Dazu kommen Querschnittsthemen wie Gender und Diversity. Das heißt, dass wir Diversitätsthemen auch universitätsübergreifend ernst nehmen und Studien dazu auf den Weg bringen, aber auch gemeinsam die Maßnahmen ergreifen, die empfohlen werden.
Ist dann die Konsequenz daraus, dass die Universitäten ihre Autonomie verlieren?
Nein!
Und wie wollen Sie die erhalten?
Wir haben uns vorgenommen, den Verbund so zu gestalten, dass wir die Dinge gemeinsam machen, die wir nur gemeinsam hinkriegen und verbessern können. Gleichzeitig soll jede Universität ihr Profil schärfen und noch einzigartiger werden. Deshalb müssen wir die Strategie unserer Universität so gestalten und weiterentwickeln, dass das Besondere der Freien Universität in diesem neuen Kontext steht. Eine Sache, die wir von Anfang an klargestellt haben, ist: Das Ganze ist ein Exzellenzprojekt und die exzellente Forschung findet an den einzelnen Universitäten statt. Wir wollen und müssen das durch noch bessere Zusammenarbeit und gemeinsamen Zugang zu Ressourcen weiter professionell koordinieren.
An der Exzellenzstrategie wird kritisiert, dass dadurch zwei Klassen von Universitäten geschaffen werden: Eine, die exzellent ist, und eine, die zurückbleibt. Inwiefern verändert die Exzellenzstrategie die Hochschullandschaft in Deutschland?
Die Exzellenzstrategie war für das Universitätssystem in Deutschland eine großartige Sache, weil jede Universität gezwungen wurde, sich die Fragen zu stellen: Wer bin ich, was kann ich, wo will ich hin? Früher gab es die Fiktion, alle Universitäten seien eigentlich gleich – und gleich gut. Heute wissen wir, das sind sie nicht, und eine Universität ohne eigenes Profil ist sinnlos. Es gehört einfach zur Freien Universität Berlin dazu, dass sie Teil der Hauptstadt ist. Diese Tatsache definiert ihr Fächerspektrum und ihren Auftrag. Das definiert, was man von uns erwartet und was man bei uns lernen und studieren kann.
Ungünstig und nicht förderlich ist es, nur die Exzellenzinitiative im Fokus zu haben. Natürlich gibt es alle möglichen Arten von Projekten, Förderformaten und Initiativen abseits der Exzellenzinitiative. Es ist nicht so, dass eine Universität, die keinen Exzellenzcluster hat, auch kein Profil hätte. Das wäre ein Irrglaube.
Haben Sie bestimmte Wünsche für das novellierte Hochschulgesetz?
Die habe ich, besonders im Hinblick auf die konkrete Ausgestaltung des Gesetzestextes, eigentlich nicht, weil mein Eindruck ist, dass die derzeitige Fassung des BerlHG, bis auf Kleinigkeiten, hervorragend funktioniert und uns sehr weit gebracht hat. Ich sehe keine Notwendigkeit, da an einem großen Rad zu drehen. Ich hoffe natürlich sehr, – auch angesichts der wichtigen Bedeutung der Wissenschaft für unsere Gesellschaft und, da dies zunehmend besser erkannt und hoffentlich wertgeschätzt wird – dass die Budgets angemessen steigen. Aber wir befinden uns in einer massiven Wirtschaftskrise und müssen schauen, wie wir die Universität in den nächsten Jahren unter möglicherweise noch schwierigeren Bedingungen voranbringen.
Ein neues Gesetz hilft uns dabei nur wenig, im Gegensatz zum Paragraphen 7a im derzeit gültigen Gesetz, der sogenannten Erprobungsklausel. Diese hat die Diversität der Hochschulen auf eine unglaubliche Art befördert, da sich mit den Möglichkeiten, die Grundordnungen freier zu gestalten, eine Hochschullandschaft entwickeln konnte, die auch für schwierige Zeiten erfolgreich aufgestellt ist. Deshalb wollen wir an der Freien Universität so weiter machen und nicht über die Grundordnung reden, sondern über die Strukturentwicklungen und über das Profil der Universität innerhalb des Rahmens, den wir haben.
Wenn wir jetzt auf den Rest Ihrer Amtszeit blicken, was sind Ihre Ziele, was möchten Sie unbedingt noch voran bringen?
Das ist eine längere Liste, weil ich mir eine Menge vorgenommen habe. Wir müssen jetzt die Berlin University Alliance zur Blüte bekommen. Gleichzeitig müssen wir das Profil der Freien Universität als „Internationale Netzwerkuniversität“ schärfen und im Dialog die Strategie formulieren, die sich daraus ergibt. Diversität spielt dabei eine große Rolle und dort möchte ich für unsere Universität noch mehr Akzente setzen. Ich glaube, wir sind eine bereits unglaublich diverse Universität im Vergleich zu vielen anderen Hochschulen. Wir müssen diesen Vorteil aber noch weiter herausarbeiten und auch in die Einzelthemen einsteigen.
„Ich will auch unter den Lehrenden mehr Diversität sehen.“
Das sind zum Beispiel die Fragen von Studierenden mit chronischen und psychischen Erkrankungen oder Behinderungen. Dann die Diversitätskategorie „nicht-akademisches Elternhaus”. Sehr einfach formuliert: Die Zehlendorfer Rechtsanwaltssöhne – und da will ich jetzt niemandem zu nahe treten (lacht), ich bin auch ein Rechtsanwaltssohn – sollen an unserer Universität studieren. Aber ich glaube, es ist für die Freie Universität hervorragend, wenn wir hier auch viele Studierende haben, die aus einem migrantisch geprägten Elternhaus in Neukölln kommen.
Ich will auch unter den Lehrenden mehr Diversität sehen. Es geht nicht nur um den Frauenanteil, sondern auch um Fragen wie: Warum haben wir so wenige PoC-Gesichter in der Faculty? Deswegen reden wir auch über eine Berufungsstrategie, die jetzt nicht schnell, innerhalb von wenigen Monaten, aber perspektivisch die Universität neu aufstellen kann.
Sie betonen oft die Gemeinschaft auf dem Campus. Aber wie erklären Sie sich, dass es nicht noch mehr Zusammenleben gibt, mehr studentische Freiräume, vielleicht ab und zu mal eine Party, wie an der TU? Sehen Sie da Luft nach oben?
Da ist allemal Luft nach oben. Wir haben allerdings im Moment eine zunächst banal klingende aber nicht einfach zu lösende Raumknappheit an der Universität, die es schwierig macht zu sagen: Hier richten wir jetzt den großen Partykeller ein. Wir werden als Hochschule nicht dafür bezahlt, Party zu machen, aber Hochschulsport ist laut Hochschulgesetz Teil unseres Auftrags und bringt die Universität zusammen. Leider haben wir auch dort Raumknappheit. Es ist eine wichtige Frage: Wie kommen wir zusammen? Ein Fest habe ich bereits angekündigt, nächstes Jahr im Sommer den “Campus Run”, der dieses Jahr leider nur virtuell stattfinden konnte. Dann möchten wir auch das Sommerfest noch größer planen, als wir es in diesem Jahr vorhatten. Im Sommer 2019 war Olaf Scholz hier in der studentischen Ringvorlesung zu Finanzpolitik und er ist bestimmt auch deswegen gern gekommen, weil es anschließend noch eine Grillparty der Fachschaft gab. Ich glaube, wir können auch ohne prominenten Besuch gemeinsam gut feiern.