Hin und Her um Giffeys Doktortitel

Bis vor kurzem schien es noch, als käme Bundesfamilienministerin Franziska Giffey in der Affäre um ihren Doktortitel glimpflich davon. Zwei veröffentlichte Rechtsgutachten später sieht die Lage ganz anders aus. Von Julian Sadeghi.

Gerät zunehmend unter Druck: Bundesministerin Franziska Giffey (SPD). Bild: Clemens Porikys for Hubert Burda Media, CC BY-NC-SA 2.0

In der Rechtsabteilung der Freien Universität Berlin (FU) dürfte es hektisch zugegangen sein vergangene Woche. Denn mit der Veröffentlichung des von der FU selbst in Auftrag gegebenen Rechtsgutachtens des Juraprofessors Ulrich Battis fiel die von der Universität gewählte Strategie des akademischen „Schwamm drüber!“ in der Causa Giffey endgültig in sich zusammen. Zusammen mit dem wenige Tage zuvor veröffentlichten Gutachten, das der Jurist Klaus Ferdinand Gärditz im Auftrag der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus erstellte, dürfte das geltende Hochschulrecht nun schlussendlich die Laissez-faire-Haltung der FU-Hochschulleitung übertrumpfen.

Battis argumentiert, das Präsidium der FU sei befugt gewesen, eine Rüge auszusprechen, statt den Doktortitel zu entziehen. Mehr noch, losgelöst vom Fall Giffey vertritt der emeritierte Professor der Humboldt-Universität die Ansicht, wegen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit sei „in minderschweren Fällen eine Rüge auszusprechen, auch wenn die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage eine Rüge nicht ausdrücklich regelt.“ Er schlägt vor, die Rüge als Sanktionsmöglichkeit ausdrücklich in das Berliner Hochschulgesetz aufzunehmen.

Braincity in der Bredouille

Diese Einschätzung konnte der FU aber auch nicht helfen. Schließlich lässt sich eine durch ein FU-Gremium festgestellte 27-fache objektive Täuschung, begangen mit bedingtem Vorsatz, schwerlich als „minderschwerer Fall“ bezeichnen. Das musste wohl auch das Präsidium einsehen und ging in die Offensive: Am vergangenen Freitag kündigte die FU an, den Fall neu aufzurollen.

Der Schritt war auch aus anderen Gründen alternativlos für die Universitätsleitung um Präsident Günter M. Ziegler. Einen noch größeren Reputationsverlust für die mantraartig proklamierte #braincityberlin konnte man in Dahlem dem Anschein nach nicht riskieren. Alles andere als ein neues Verfahren wäre nicht zu rechtfertigen gewesen – weder gegenüber den bisherigen FU-Absolvent*innen, die in ihren Doktorarbeiten nicht täuschten und den zukünftigen Promovend*innen, denen ein solches Verhalten nicht in den Sinn kommt, noch gegenüber der Professor*innenschaft von Giffeys Alma Mater:

Der Bonner Juraprofessor Gärditz argumentiert in seinem Gutachten wesentlich restriktiver, dass das Berliner Hochschulrecht „nur zwei mögliche Rechtsfolgen kennt, die die FU hätte treffen können: ein gänzliches Absehen von einer Reaktion oder eine Entziehung des Doktorgrades.“

Wenn der Fall nun wie angekündigt erneut überprüft wird, steht das Ergebnis unter dieser rechtlichen Prämisse eigentlich schon fest – ihren Titel ist die Nachwuchshoffnung der SPD wohl bald los. Denn dass es sich bei Giffeys Verhalten um „sanktionswürdiges wissenschaftliches Fehlverhalten“ handelt, hatte das Prüfgremium der FU in seinem Bericht bereits festgestellt. Das bedeutet: Hinter seine Entscheidung, nicht gänzlich von einer Reaktion abzusehen, kann das FU-Präsidium nicht mehr zurückfallen. Folgt man der Argumentation Gärditz’, hat die FU damit die erste der beiden Möglichkeiten, ihr Ermessen auszuüben, schon verworfen. Damit bliebe nur noch der Entzug des Titels übrig. 

Selbst wenn man sich Battis’ Analyse anschließt, dass das Ermessen der FU mehr als zwei Optionen einschließt, müsste die Universität Giffey für die Aufrechterhaltung der Rüge einen lediglich „minderschweren Fall” von Fehlverhalten zusprechen. Das dürfte allerdings in Anbetracht der festgestellten Plagiate schwierig werden.

Hängepartie für die Berliner SPD

Sollte die FU ihr den Doktortitel entziehen, so hatte Giffey bereits im Sommer 2019 angekündigt, werde sie von ihrem Amt als Bundesministerin zurücktreten. Im Dezember will die Berliner SPD entscheiden, wen sie als Nachfolger*in des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller bei der nächsten Wahl zum Abgeordnetenhaus ins Rennen schickt. Eine Nominierung Giffeys schien wahrscheinlich. Ob die Beteiligten in der SPD unmittelbar nach einem Plagiatsskandal und einem daraus resultierenden Rücktritt als Bundesministerin eine Spitzenkandidatur Giffeys noch für eine gute Idee halten würden, ist fraglich. Und so könnten am Ende in der Zieglerschen Amtsstube im beschaulichen Berliner Südwesten nicht nur die Karrierepläne von Franziska Giffey durchkreuzt worden sein, sondern auch die wahltaktischen Überlegungen der größten Berliner Regierungspartei.

Autor*in

Julian Sadeghi

Einer der Julian Sadeghis dieser Welt.

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