Corona-Lektüre, die Hoffnung macht

Bücher über die Coronakrise gibt es bereits viele, doch Hoffnung machen die wenigsten. Zwei Essays haben Greta Linde daher besonders überzeugt.

Foto des Covers von "Zadie Smith, Intimations" für Kulturreif
Bildmontage / Foto: Greta Linde, Illustration: Joshua Leibig

Die zweite Corona-Welle trifft uns mit voller Wucht und während die meisten vermutlich nicht nur unter zu wenig sozialen Begegnungen, sondern auch den eingeschränkten Kulturmöglichkeiten leiden, gibt es durchaus Lichtblicke. Dazu gehören die aktuellen Essays von Zadie Smith und Elif Shafak.

Letztere hat im Juli How to Stay Sane in an Age of Division veröffentlicht. Auf nicht einmal 100 Seiten geht Shafak auf die Pandemie, den Tod von George Floyd und weitere Ereignisse des Weltgeschehens ein. Treffend beschreibt sie, wie westliche Gesellschaften sich in den letzten Jahren, und ganz besonders in diesem, auseinander entwickelt haben. Dabei kommt sie zu dem Schluss, dass immer mehr Menschen außen vor gelassen werden; sei es in der Politik, der Wirtschaft oder im Hinblick auf gesellschaftliche Teilhabe. Soziale Medien stellt sie einerseits als den größten Segen unserer Zeit heraus und verweist auf Entwicklungen wie den Arabischen Frühling oder die Black Lives Matter-Proteste. Gleichzeitig seien Dienste wie Twitter und Facebook ein Fluch; Filterblasen, Online-Radikalisierungen und anonyme Hetze nehmen zu. Als Folge, so argumentiert Shafak, treten wir immer seltener in den Dialog miteinander: Wer seine eigene Geschichte nicht erzählen darf, wird sich kaum die von anderen anhören.

Überforderung als kollektives Gefühl

Doch sie fasst nicht nur die großen Entwicklungen der letzten Jahre zusammen und analysiert deren Folgen, Shafak beschreibt auch, wie sie sich überfordert und abgehängt, aber trotzdem auch optimistisch fühlt. Hoffnungsvoll blickt sie auf die jungen Protestbewegungen und erinnert, dass es auch Lichtblicke in diesen schweren Zeiten gibt. Shafak bietet gegen Ende zudem konkrete Ideen an, um aus dieser Zeit (wann auch immer sie vorbei sein wird), gestärkt  hervorzugehen . Wir sollten Komplexität zu schätzen lernen, meint sie. Simple Antworten auf große Probleme könnten langfristig nicht funktionieren. Es gilt, Identitäten neu zu definieren, anderen zuzuhören und schließlich zu akzeptieren, dass Überforderung momentan zum Leben schlichtweg dazugehört.

Das mögen keine revolutionären Gedanken sein, doch die Stärke ihres Essays liegt ohnehin nicht in den Handlungsempfehlungen. Viel beeindruckender ist die klare Beschreibung dieser seltsamen Zeiten und der Gedanken, die damit einhergehen. Shafak findet Worte für das, was viele fühlen – und das hat etwas sehr Beruhigendes und Wohltuendes. Manchmal braucht es eben nicht mehr als verstanden zu werden.

Mit der Pandemie den Alltag überdenken

Zadie Smith wählt für ihre Sammlung Intimations, die aus sechs Essays besteht und ebenfalls im Juli erschienen ist, einen anderen Ansatz. Sie berichtet, wie die Pandemie in ihrem Alltag angekommen ist, was sie gedacht, gefühlt und wie sie gehandelt hat. Das mag erst einmal langweilig und belanglos klingen, doch diese Sammlung ist es keineswegs.

Unglaublich wortgewaltig und detailgetreu erzählt Smith aus ihrem Alltag, der beispielhaft für viele Schicksale steht. Wir alle können uns sicherlich genau daran erinnern, wie wir die Einschränkungen erlebt und die Tragweite des Virus begriffen haben. Smiths Schilderungen aus New York sind besonders interessant, weil sie einerseits sehr gewöhnlich sind und andererseits über eine der Städte berichten, die die Covid-19-Pandemie am härtesten getroffen hat. 

Weiter erzählt sie, was und wen sie plötzlich vermisst. So fehlt ihr plötzlich der Masseur aus einem Nagelstudio um die Ecke, mit dem sie sich eigentlich kaum unterhält, weil sie lieber liest, anstatt Smalltalk zu betreiben. Smiths bildhafte Sprache lässt einen nicht nur in ihren Alltag eintauchen, sondern auch über die eigene Situation nachdenken: Was für Kleinigkeiten, welche*n Spätiverkäufer*in oder welche*n Friseur*in vermisse ich eigentlich gerade?

Außerdem fängt Smith an, sich existenzielle Fragen zu stellen: Wieso tue ich überhaupt das, was ich tue? Warum schreibt sie beruflich, fragt sie sich. Nun mag nicht jeder von uns Autor*in sein, aber die Vielzahl an Existenzkrisen, Trennungen oder neuen Beziehungen dürfte doch den meisten bekannt vorkommen. Genau dieses Gefühl vom Stehenbleiben, Nachdenken und Hinterfragen bringt Smith perfekt auf den Punkt.

Während Shafak uns an die Hand nimmt, um über die großen Probleme der Zeit zu diskutieren, macht Smith das, was ihr Titel verspricht: Sie wird intim. Doch dadurch ist sie nicht weniger politisch – auch sie spricht beispielsweise über die Black Lives Matter-Bewegung. In den Essays, die meist jeweils nur zehn Seiten lang sind, schafft sie, gleichzeitig persönliche Gedanken und individuelle Schicksale zu teilen und trotzdem allgemeine Zweifel und Gefühle in Worte zu fassen.

Was Smiths und Shafaks Essays gemeinsam haben, ist das Gefühl, das sich auf die Lesenden überträgt. Beide Autorinnen geben Einblick in ihre existentiellen Krisen, hinterfragende Gedanken und die Angst vor Hilflosigkeit. Sie teilen ihr Leid, so banal es auch sein mag. Noch viel schöner ist jedoch das Gefühl, das sie zurücklassen: Einen Funken Hoffnung. Den können wir angesichts der aktuellen Lage besser denn je gebrauchen. 

How to Stay Sane in an Age of Division ist bei Profile Books erschienen und kostet 5,18 Euro. Intimations, Penguin Books, kostet 5,98 Euro. Beide Bücher sind bisher nur auf Englisch erhältlich.

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