Über einen 60-jährigen Regierungssprecher, der in der Gegenwart die zukünftigen Erinnerungen junger Menschen definieren möchte. Eine Glosse von Julian Sadeghi.
So viel Aufmerksamkeit hat der Twitteraccount des Regierungssprechers Steffen Seibert selten. Seibert, das menschgewordene Aktenkonvolut, lässt dort sonst nur stakkatoartig die Kernaussagen der Reden der Bundeskrisenmanagerin Angela Merkel in den sozial-medialen Resonanzraum flattern. Doch seit dem Wochenende versammelt sich um Seiberts Account die durch die Timeline grindende Netzgemeinde und hat Streit. Es geht um zwei PR-Videos der Bundesregierung, die offenkundig eine junge Zielgruppe ansprechen sollen und anhalten möchten, doch bitte zur Pandemiebekämpfung zu Hause zu bleiben. Eine fünfstellige Zahl an Herzchen, tausende Retweets: Aufmerksamkeit für eine sinnvolle Sache zu erregen – das hat die Kampagne jedenfalls erreicht. Doch die Clips polarisieren stark, die Rezeption changiert zwischen „Hohn” und „Humor”. Selten war der Begriff des „viralen Hits“ treffender.
Kritiker*innen monieren die verwendete Kriegsanalogie. Und in der Tat, die Clips entstammen offenkundig dem weiterhin unbegreiflichen bundesrepublikanischen Fetisch für ZDF-History-artige Wehrmachtsdokus, deren Publikum mit der Generation U30 wenig Schnittmengen hat.
Ein FU-Professor stört sich an der Ästhetik des „Opa erzählt vom Krieg”, wittert daher „Traudl-Junge-Vibes” und damit wäre eigentlich auch schon alles gesagt:
Eines bleibt aber doch noch offen: Mit welchem Recht unternimmt ein 60-jähriger Ministerialbürokrat den Versuch, die zukünftigen Lebenserinnerungen der heute jungen Menschen zu definieren?
Inmitten der militaristisch-melodramatischen Metaphorik sticht ein Satz des fiktiven Zeitzeugen des Hier und Jetzt besonders hervor: „Wir taten, was von uns erwartet wurde.“ Mit anderen Worten: Ja, wir waren’s auch 2020 noch; gehorsam, wir willfährigen jungen Deutschen! Damit hier kein falscher Eindruck entsteht: Wir jungen Menschen sollten natürlich zu Hause bleiben. Aber hoffentlich werden wir es nicht deshalb getan haben, weil Vater Staat es paternalistisch von uns erwartete, sondern weil wir es selbst für richtig hielten.
Der zweite Punkt, den das Seibertsche Drama-Tape verkennt: Auch uns trifft die Krise hart! Das Video ist ein Affront gegenüber all denjenigen jungen Menschen, die aus unterschiedlichsten Gründen zurzeit nicht auf dem Sofa rumlümmeln können. Zum Beispiel, weil sie im beengten Studiwohnraum ganz einfach kein Sofa haben. Oder weil sie zwar junger Mensch, aber auch Krankenpfleger*in auf der Intensivstation sind. Weil sie dringend auf der Suche nach einem neuen Job sind oder in einer psychischen Krise stecken, etwa weil Angehörige verstorben sind.
Vielleicht setzt sich ja irgendwann doch noch die Einsicht durch, dass die „Generation Corona” mehr verdient hat, als die Videos eines Ex-Nachrichtensprechers der heute-Sendung, die uns apostelartig erklären, wie wir morgen auf das Heute zu blicken haben.
Gähn. Alles Deutschen sind „Nazis“, die mindestens hundert Millionen Opfer der Kommunisten sind egal. „Mensch“ schreibt man nicht. Ich wundere mich, weshalb ich nicht Journalist geworden bin. Kann jeder Ius-Proffffff, also nichts besonderes.
Bin ich froh, wenn ich tot bin; ich lebe nur, weil ich in der Tat Gott, Christus, mehr gehorche als den Menschen, die ewige Verdammnis fürchte. Sonst hätte ich mir längst eine Luger ans Ohr gehalten und mein Hirn durchgeschoßen.
Was für ein Mist diese immer fremder, dümmer, brünstiger und vulgärer werdende Zirkusgesellschaft doch ist.