Verschmelzungstaktik: Sexualität im Buddhismus

Sex und Religion – wie geht das zusammen? Der Podcast des Instituts für Religionswissenschaft an der FU-Berlin geht genau dieser Frage nach. Isabell Geidel hat reingehört und weiß nun ein bisschen mehr über den Buddhismus.

Verschmelzen zwei Partner*innen beim Sex miteinander, können sie ihre Ich-Bezogenheit überwinden lernen. Illustration: Patrycja Komor

Zugegeben: Das erste, was vielen bei den Schlagwörtern „Sexualität“, „Geschlecht“ und „Buddhismus“ vielleicht einfällt, sind Tantra und Kamasutra. Gerade, wenn Religion und Sexualität aufeinandertreffen, gibt es immer noch viele Missverständnisse und Mythen. Auch deswegen gibt es nun den Podcast „Religion, Geschlecht und Sexualität“ aus dem Institut für Religionswissenschaften. Im Fokus stehen die fünf großen Weltreligionen – und ihr Verhältnis zu Sexualität und Geschlecht. Nun startet die zweite Staffel: In der ersten Folge begeben sich Almut-Barbara Renger, Professorin am Institut für Religionswissenschaft der FU-Berlin, und ihr Gast, Michael von Brück, auf Spurensuche im Buddhismus.

Gleich zu Beginn wird klar: Buddhismus ist nicht gleich Buddhismus. Je nach Region und soziokultureller Färbung gehen die Auffassungen von der „richtigen“ Auslebung der Religion weit auseinander. Übrigens: Das Kamasutra ist nicht einmal buddhistisch, sondern hinduistisch.

Sexualität und Spiritualität

Zunächst einmal gehe der Buddhismus davon aus, dass Menschen immer nach Gemeinschaft streben. Er sehe die Gesellschaft als „ein hoch komplexes Geflecht aus Bedürfnissen und Trieben“, sagt von Brück, Religionswissenschaftler und Buddhismus-Experte. Das größte Problem stelle das eigene Ego dar, das durch die Gier nach Macht und Besitz bestärkt würde. Aber dieses sei nur ein großes Trugbild, das zwangsläufig ins Leid führe.

Demnach könne man Sexualität auf zwei Arten ausleben: Entweder als Ausdruck von Gemeinschaft und Verschmelzung oder als Mittel der Machtausübung und zum Push des eigenen Egos. Ein Verhaltensmuster, das auch heute noch auftritt: Bevor man das nächste Mal die Tinder-App öffnet, lohnt es sich vielleicht, darüber nachzudenken.

„Darauf kommt es den Buddhisten an, dort eben nicht eine Einverleibung und eine Abhängigkeit und eine ich-hafte Struktur zu erzeugen, (…) sondern die Möglichkeit der Verschmelzung mit dem Anderen gerade dazu zu nutzen, von dieser Ich-haftigkeit wegzukommen. Und dadurch (…) kann, zumindest in manchen buddhistischen Traditionen, Sexualität zu einem Vehikel der spirituellen Praxis werden.“

Michael von Brück, Religionswissenschaftler

Sexualität kann so Türen öffnen und helfen, eigene egoistische Verhaltensmuster zu durchbrechen. Doch trotz dieses eher romantisch anmutenden Konzepts sieht die Realität leider anders aus. Denn wie in fast allen Teilen der Welt spielen Frauen auch im Buddhismus eine untergeordnete Rolle und werden zum Teil auch heute noch als spirituell minderwertig erachtet.

Von göttlichen Geschlechtsumwandlungen

Von Brück erzählt hierzu eine Anekdote aus einem zentralen Text im Mahayana-Buddhismus, der vor allem in Süd- und Ostasien verbreitet ist: Ein Mönch unterhält sich mit einer weiblichen Göttin. Im Laufe des Gesprächs fragt er sie, warum sie nicht als Mann wiedergeboren worden wäre – ob denn ihre spirituellen Kräfte dafür nicht ausreichen würden. Daraufhin lacht sie und verwandelt ihn in eine Frau und sich selbst in einen Mann, um ihm zu zeigen, wie unwichtig das Geschlecht sei.

Doch bis diese Botschaft in allen Teilen der Gesellschaft angekommen ist, wird wohl noch eine Menge Zeit vergehen. Viele buddhistisch geprägte Regionen seien jedoch bereits im Wandel. Auf eben jene zeitgenössischen Entwicklungen im Buddhismus geht von Brück zwar nicht ein. Ein wichtiger Bestandteil für die Emanzipation der Frau sei jedoch vor allem eine wirtschaftliche Unabhängigkeit, die vielerorts, vor allem in klösterlichen Strukturen, leider noch nicht gegeben sei.

Missbrauch im Buddhismus

Nicht nur in christlichen Kirchen kam es in den letzten Jahren zu Missbrauchsskandalen. Obwohl der Buddhismus allgemein oft als „Religion des Friedens“ bezeichnet wird, gibt es schwarze Schafe überall. Doch warum kommt es zu sexuellen Übergriffen innerhalb einer Religion, die sich eindeutig für eine Sexualität ausspricht, die nicht egoistisch ist?

Laut von Brück ist die Ursache für sexualisierte Gewalt vor allem darin zu finden, dass Lehrende, die aus Asien nach Europa kommen, vorher meist in klösterlichen Strukturen gelebt haben. In Europa fehle dann sowohl eine kontrollierende Instanz als auch ein stabiles soziales Umfeld. An dieser Stelle warnt von Brück jedoch davor, dies als ein Problem buddhistischer Traditionen zu werten; wir sollten nicht mit dem Finger auf einzelne Religionen, Traditionen oder Institutionen zeigen, sondern überlegen, wo die Ursachen liegen und wie man dagegen vorgehen kann. Hier schlägt von Brück mehr Kontrolle und psychologische Betreuung in religiösen Institutionen vor.


Hörempfehlung – trotz teils monotoner Gesprächsführung

Insgesamt ist der Podcast wirklich spannend und deckt auch mit den kommenden Folgen eine große Themenvielfalt ab, sodass wohl für jede*n etwas dabei ist. Etwas schade ist, dass die Folge eher im Frage-Antwort-Format statt als natürliches Gespräch daherkommt. Daher kann es dem*der Hörer*in mitunter schwerfallen zu folgen, da Themenwechsel zum Teil sehr abrupt erscheinen. Gerade wenn man sich auf dem Themengebiet noch nicht gut auskennt, wären tiefgreifendere Ausführungen wünschenswert. Das Rollenbild der Frau oder auch verschiedene Beziehungsmodelle im Buddhismus hätten sicher ebenfalls interessanten Gesprächsstoff geboten.


Die zweite Folge der zweiten Staffel ist mittlerweile ebenfalls veröffentlicht und geht thematisch in eine ähnliche Richtung: Frauen in Indien: Leben zwischen Unterdrückung und Widerstand.

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