Zu Fuß in die Vergangenheit

Spazierengehen ist für viele zum festen Bestandteil des neuen Corona-Alltags geworden. Damit das nicht langweilig wird, bietet die Web-App lialo Touren durch Berlin. Leonie Beyerlein hat eine getestet und dabei einen Kriminalfall aus den 1920ern aufgeklärt.

Das Ballhaus Berlin in der Chausseestraße 102 ist einer der Zwischenstopps auf der Krimi-Tour durch Berlin-Mitte. Foto: Leonie Beyerlein.

Brillanten-Willi wird von einer Gruppe Damen beobachtet. Darunter ist vermutlich auch eine „Heimliche“, wie Hardy sie nennt, eine Kriminalkommissarin, die Willi an die Polizei ausliefern will. Er ist ein Kleinkrimineller, der den Journalisten Hardy Worm mit Informationen über alle Machenschaften im Kiez versorgt, und dafür im Gegenzug von Hardy Dokumente aus dem Kriminalgericht bekommt. Hardy will verhindern, dass Brillanten-Willi im Gefängnis landet – und ich soll ihm dabei helfen.

Dabei befinde ich mich gar nicht wirklich im Geschehen. Es ist eine Geschichte, die sich auf meinem Handy abspielt. Für einen Spaziergang der etwas anderen Art probiere ich die Plattform lialo aus. Lialo steht für like a local und ist eine kostenlose Website, die seit dem Spätsommer verschiedene Touren zu Fuß, mit dem Fahrrad oder der S-Bahn durch Berlin anbietet; eine Anmeldung ist nicht nötig. Jede Tour bietet interessante Hintergrundinformationen zu dem jeweiligen Kiez und ist mitunter in eine spannende Geschichte eingebettet, wie die von Hardy und Brillanten-Willi. Unterwegs müssen immer wieder Aufgaben gelöst werden.

Hinweise verbergen sich in Mauerspalten

Brillanten-Willi – der übrigens genauso wie Hardy im Berlin der 1920er-Jahre lebt – hat uns eine Nachricht zu einem Treffpunkt hinterlassen. Dort kann er uns unbeobachtet seinen Koffer voller Informationen übergeben. Meine Aufgabe ist es nun, herauszufinden, wo er diese Nachricht versteckt hat. Ich habe vier Antwortmöglichkeiten, die alle reale Orte in der S-Bahnstation darstellen. Nachdem ich mich kurz umgesehen habe, entdecke ich einen kleinen Spalt in der Mauer der Bahnhofshalle. Für mich sieht das nach einem ziemlich guten Versteck für einen Zettel aus und auch auf der Website wird mir die Option vorgeschlagen. Ich wähle sie aus und im nächsten Moment leuchtet mein Bildschirm in siegreichem Grün. Lächelnd gehe ich zu der Mauerritze und entdecke dort tatsächlich einen mehrmals gefalteten Zettel. Darauf steht: „Wartehalle, Kleener!“

Der Berliner Dialekt zieht sich durch die gesamte Tour. Hardy „spricht“ zu mir ebenfalls im tiefsten Berlinerisch. Er erklärt mir den Weg zu unserem Treffpunkt und erzählt mir dabei ein wenig über die Geschichte des Nordbahnhofs, der in den 1920er-Jahren noch Stettiner Bahnhof hieß und der größte Berlins war. Bei Hardy handelt es sich übrigens um eine reale Figur – den Journalisten Hardy Worm gab es wirklich, wie mir Wikipedia verrät.

In den nächsten zwei Stunden laufe ich – mit Hardy als Erzähler und Begleiter auf meinem Handy – von einem Ort zum nächsten; über die Chausseestraße, das Gelände der Charité, vorbei an einem Friedhof. Unterwegs erzählt mir Hardy viele interessante Fakten über die historischen Gebäude um mich herum, die er mit externen Quellen belegt. Im Laufe der Tour verstricke ich mich immer tiefer in einen Krimi.

Kleine Tücken auf der Tour

Als ich am Deutschen Theater ankomme, stolpere ich zum ersten Mal über eine der Aufgaben. Ich soll eine chiffrierte Nachricht entschlüsseln. Dafür werde ich auf eine externe Internetseite mit einem entsprechenden Programm weitergeleitet, die mir jedoch eine Fehlermeldung anzeigt: Ich kann die Nachricht nicht entschlüsseln.

Mit der Tour kann ich fortfahren, jedoch bleibe ich bis zur letzten Station ein wenig verwirrt, was die weiteren Geschehnisse betrifft. Dies bessert sich auch nicht, als ich etwas später am Admiralspalast in der Friedrichstraße ankomme und dort nach einer weiteren Nachricht suchen soll, die ich nicht finden kann. Denn im Dezember 2020 wurde im Admiralspalast eine Teststation für potentielle Corona-Infizierte installiert, sodass ein Betreten des Gebäudes nur schwer möglich ist. An dieser Stelle zeigt sich erneut, dass die Touren regelmäßig geprüft werden sollten. Dafür bieten sich für Nutzer*innen das Bewertungssystem und die Kommentarfunktion an.

In der Friedrichstraße endet mein Spazierkrimi, der mich leider mit einigen offenen Fragen zurücklässt. Zugleich konnte ich jedoch viel Neues über das skandalöse Mitte der Wilden Zwanziger lernen. Die authentische Art, mit der ich durch die Tour geführt wurde – Hardy als liebenswürdiger Ur-Berliner – ließ mich gedanklich tief in die Geschichte eintauchen und mitunter schmunzeln. Lialo ist mit seinen zahlreichen Touren eine angenehme Abwechslung zum Spaziergang durch den nächstgelegenen Park, der wegen der Coronapandemie für so viele zur Routine geworden ist. Sowohl für Neuankömmlinge als auch für alteingesessene Berliner*innen stellen die Touren die Hauptstadt aus ganz neuen Perspektiven vor. Wer selbst kreativ werden möchte, kann eine eigene Tour erstellen. Das wäre nun der nächste Schritt für mich – und dann das Abenteuer für andere.


Rätselhafte Spazierrouten durch fast alle Berliner Bezirke können kostenlos unter lialo.com ausprobiert werden.

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2 Responses

  1. ST sagt:

    Hallo Leonie, danke für deinen tollen Artikel über meine Krimi-Tour. Der kaputte Link ist bereits repariert, die Situation am Admiralspalast schaue ich mir morgen gleich an. Danke für die nachträglichen Hinweise, die mich per App- Benachrichtigung tatsächlich sofort live erreicht hätten. Freue mich sehr, dass du trotzdem Spaß hattest mit Hardy und Co. Ich schreibe bereits an der Fortsetzung. 😉

    • ST sagt:

      Alles in Ordnung bei Hardy und Co. Die Dechiffriermaschine ist repariert, der zu findende Kassiber war wohlbehalten versteckt vor Ort und der Zugang zum Hof des Admiralspalast ist auch (wieder?) frei. Viel Spaß!

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