Netflix ist mein Antidepressivum

In der Pandemie ist Netflix treuer Begleiter vieler Studierender geworden. Doch was früher einmal Entspannung bedeutete, ist heute einfach nur noch ermüdend, findet Laura Kübler.

Ein alltäglicher Anblick? Illustration: Laura Kübler

Es ist Samstagabend. Ich sitze vor dem Fernseher und klicke mich ungeduldig durch das Angebot von Netflix. Überforderung macht sich breit, denn keines der kleinen Vorschaubilder reizt mich. Mein Abendessen auf dem Couchtisch wird langsam kalt, deswegen entscheide ich mich kurzerhand für meine Standardserie Modern Family. Traurig, wenn man bedenkt, dass ich sie nun schon zum dritten Mal ansehe. Aber je mehr Optionen ich habe, umso schwerer fällt mir die Wahl.

Net…verflixt! 

Es ist paradox: Einerseits verbringe ich Stunden auf Netflix, andererseits finde ich kaum Angebote, die mich wirklich fesseln. Als wäre das nicht schon nervenzehrend genug, bin ich – nach langem Hin und Her – nicht hundertprozentig mit meiner Entscheidung zufrieden. Wie könnte ich auch? Im Hinterkopf schwirren noch die vielen anderen Serien und Filme herum, die gut als abendliches Unterhaltungsprogramm getaugt hätten und für die ich mich hätte entscheiden können. Die Fragen häufen sich im Kopf, wie Titel auf der Watchlist: Habe ich wirklich die richtige Wahl getroffen? Sollte ich nicht nochmal die verschiedenen Genres durchstöbern? Nochmal bei Action und Abenteuer reinschauen?

Nur noch eine Folge

Action und Abenteuer fehlen im Lockdown-Alltag dagegen leider. Einst bildete ein Filmabend das Highlight der Woche, heute finde ich mich an den meisten Tagen abends frustriert und in Jogginghose vor dem Bildschirm wieder. Es ärgert mich, dass die Streaming-Plattform Oberhand über mich gewonnen hat. Mein Körper scheint paralysiert: Ich schaue ganz genau hin, wenn das “Nächste Folge” Icon sich langsam von weiß zu grau verfärbt und – oh Schreck – die nächste Episode anspringt. Jedes Mal fühlt es sich kurz so an, als würde etwas überraschendes Neues auf mich warten. Aber immer wieder werde ich enttäuscht; ich habe die Kontrolle über meine Abendgestaltung an eine seelenlose Streamingseite abgegeben. “Nur noch eine Folge”  denke ich abermals und bemitleide mich dabei selbst. 

Beschäftigung statt Unterhaltung

Letztens saß ich auf meiner Couch, bereit die zwölfte Folge meiner Lieblingsserie anzuschauen, da wurde es mit klar: Netflix ist nicht nur eine Streaming-Plattform, Netflix ist mein Antidepressivum. So wie meine FFP2-Maske mich vor potentiellen Coronaviren in der Bahn schützt, schützt mich Netflix vor der potenziellen Vereinsamung im Lockdown-Leben. Nur leider kommt Netflix mit einigen Nebenwirkungen daher, unter anderem: Ernüchterung. Niemand hat mehr Lust, sich durch all die Titel zu klicken und von der Fülle an Angeboten erdrückt zu werden. Aus Unterhaltungsprogramm ist langsam, aber sicher Beschäftigungstherapie geworden. Leider ist das Ausweichen auf andere kulturelle Angebote in Zeiten von Corona schlicht unmöglich. 

Es ist nicht so, als wüsste ich meine Zeit nicht anders zu verbringen: Ich lese, telefoniere, gehe spazieren, koche, arbeite und studiere. Nur eines hat sich auffallend geändert: Früher hat mich Netflix am Abend entspannt, heute verspannt es mich. Meine müden Augen starren auf den Bildschirm, doch meine Gedanken schweifen ab zu meinen Freund*innen. Wie schön wäre es, jetzt beisammen zu sitzen. Sich bei einem Glas Wein auszutauschen. Und während ich den Fernseher ausschalte, denke ich: bald wieder.

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