Polizeipräsenz und Einlasskontrollen auf dem Campus? Die neue Regel im griechischen Hochschulgesetz ist undemokratisch und missachtet die besondere Geschichte der Athener Unis, kommentiert Selma Müller-Sieslak.
In den vergangenen Wochen demonstrierten in Athen und anderen griechischen Städten Studierende, Lehrende und weitere Uni-Angestellte gegen das neue „Bildungsgesetz“. Das sieht in Zukunft neben der Exmatrikulation von Dauerstudierenden eine präsente Polizei und Einlasskontrollen auf den Unigeländen vor. Das ist ein weiterer Schritt in Richtung politischer Kontrolle der Studierenden, nachdem Griechenlands konservative Regierung 2019 das Polizeiverbot auf dem Campus abgeschafft hatte. Bis 2019 war Polizei auf dem Campus vollständig untersagt. Mit dem neuen Gesetzesentwurf erhoffen sich die griechische Regierung und die Bildungsministerin Niki Kerameus, dass nach Zwischenfällen und Drogendelikten wieder „Ordnung” auf dem Campus einkehrt. Dabei bestrafen sie die Studierenden und missachten die Vergangenheit der Athener Unis.
Polizei entdemokratisiert den Campus
Das 2019 abgeschaffte Polizeiverbot auf dem Campus hatte in Griechenland einen besonderen Hintergrund. Das Betreten von Hochschulgeländen war für die Polizei seit 1982 verboten, um regierungskritische Studierende und ihre politische Entfaltung zu schützen. Diese notwendige Maßnahme wurde durchgesetzt, da in Griechenland von 1967 bis 1974 eine Militärdiktatur herrschte, die den Freiheitskampf von Studierenden für mehr Mitbestimmung gewaltsam unterdrückte und auf die Besetzung der Polytechnio, der Technischen Universität, mit einem militärischen Panzereinsatz reagierte, bei dem es einige Tote gab. In Griechenland ist seit 1973 dieser Tag, der 17. November, ein Nationalfeiertag und jährlich findet in der Nähe der Polytechnio ein Gedenkmarsch statt, der Tausende von Griech*innen anzieht und zu einem Hauptanlass für Proteste gegen die Regierungspolitik geworden ist.
Berechtigter Frust von Seiten der Studierenden
In den vergangenen Jahren kam es in Griechenland rund um den Campus schon häufiger zu Zwischenfällen und Gewalttaten von Protestierenden und der Polizei, über die in den griechischen Medien nicht ausführlich berichtet wurden. Der Instagram–Account redfishstream dokumentiert einzelne Vorfälle durch Videos und klärt auf. Nur wenige Student*innen dürften nach diesen Entwicklungen über das neue Gesetz überrascht sein, sondern sie sind eher frustriert darüber und bezeichnen die Regierung als die neue Junta, als Militärregime, das die Gewaltverherrlichung legitimiert. Zurecht, denn was haben die Delikte, die auf dem Uni-Campus begangen werden, mit dem Studierendenalltag zu tun? Polizeiliche Kontrollen können unter Umständen viel belastender sein als das Aufkommen kleinerer Delikte von Straftäter*innen, die eigentlich nichts mit den Universitäten zu tun haben.
Natürlich kann dem entgegengesetzt werden, dass die Studierenden dadurch nichts zu befürchten hätten, aber spätestens seit 2020 sollte in europäischen Gesellschaften angekommen sein, dass es bei Polizeikontrollen und erhöhten Vorsichtsmaßnahmen häufig zu Diskriminierungen von Unschuldigen kommt. Und wenn es Aufstände an der Uni gibt, die ihre demokratische Notwendigkeit haben, ist die Polizei schon vorher da und gut aufgestellt, verweigert möglicherweise gleich den Einlass auf den Campus. Gäbe es nicht deutlich sinnvollere Maßnahmen als einen Ausschluss von Menschen an Hochschulen einzuführen?
Es gäbe vor allem einen deutlich besseren Zeitpunkt für das neue Hochschulgesetz: Obwohl es Studierende und Dozierende etwas angehen sollte, wird es mitten in der Pandemiezeit eingeführt, in der die Vernetzung und der Protest über den Campus nur bedingt möglich ist. Die Bildungsbeauftragte Niki Kerameus kommentiert auf ihrem Facebook-Account fröhlich das neue Gesetz und kritisiert die Gegendemos als nicht umsichtig gegenüber den hohen Coronazahlen. Seit Januar gehen dennoch Tausende Menschen auf die Straße und demonstrieren, sie überlassen ihren Campus nicht einer athenischen Mrs. Umbridge. Das ist ein ermutigendes Zeichen und sollte auch von deutschen Universitäten wahrgenommen werden.