Studieren hinter Gittern

Peter* studiert Philosophie – ohne den üblichen Austausch mit anderen Studierenden, fast ohne jegliche Ablenkung. Denn: Seit sieben Jahren sitzt er in einer Justizvollzugsanstalt in Berlin in Haft. Von Lena Marie Breuer.

Hinter diesen Mauern studiert Peter Philosophie. Foto: Tim Gassauer.

Vor einigen Jahren hat Peter schon mal studiert: Wirtschaftsrecht in Mainz. Studierende seien dort weniger links und Burschenschaften präsenter gewesen, erinnert er sich. Sein Diplom schloss er erfolgreich ab, er fand Arbeit. Doch er wurde kriminell. Was er getan hat, will er nicht sagen. Das Urteil: mehrjährige Freiheitsstrafe. Sieben Jahre hat Peter in der Justizvollzugsanstalt (JVA) in Berlin nun hinter sich. Das Ende seiner Haftstrafe nähert sich, beruflich müsse er sich wegen seines Diploms anschließend keine Sorgen machen, sagt er. Dennoch studiert er zurzeit ein weiteres Mal: Philosophie an der Fernuni Hagen – unter besonderen Bedingungen fernab der Studierendenschaft.

Peter hofft, dass er in anderthalb Jahren in den offenen Vollzug darf. Das heißt, er könnte ein relativ normales Leben führen, nur zur Übernachtung müsste er noch in die JVA. Daher bemühe er sich, sein Benehmen den Anforderungen anzupassen und gleichzeitig sein geistiges Potenzial auszuschöpfen, sagt er. „Es ist wichtig, im Knast den Verstand zu nutzen, wenn man über eine gewisse Intelligenz verfügt.“ Deswegen studiere er. „Man muss sein Potenzial fördern, um nicht geistig zu verarmen.“

Dass Peter sich an Regeln hält, war nicht immer so. Vor allem zu Beginn des Gefängnisaufenthaltes seien viele der Insassen aggressiv gewesen. Wer im Knast studieren will, muss sich zusammenreißen. Auch wenn das Studium größtenteils aus selbstständiger Arbeit an Texten besteht, braucht Peter gewisse Sondergenehmigungen. Einige Prüfungen finden in einem Studienzentrum in Berlin statt. Begleitet von zwei Beamt*innen fährt er mit den öffentlichen Verkehrsmitteln oder mit dem Taxi dorthin. Für seine Noten interessiere er sich kaum, doch da er nur wenige Ablenkungsmöglichkeiten habe, seien sie meistens im sehr guten Bereich. 

„Vorurteile anderer Inhaftierten mir und meinem Studium gegenüber gibt es nicht“, sagt Peter, zumindest würden sie das nicht zugeben. Auch seine Dozent*innen wissen von seiner Situation, sie reagieren darauf meist unterstützend und vorurteilsfrei. An der Fernuni Hagen ist er ohnehin kein Einzelfall. Peter würde gerne mit mehr Leuten über die Lerninhalte diskutieren. „Philosophie ist spannend, aber ohne Austausch doch etwas trocken.“ Gruppenarbeiten und endlose Diskussionen bei Zigaretten und Rotwein kennt er nicht. Mit immerhin zwei anderen Inhaftierten kann er über die gelesenen Texte sprechen. 

In der JVA werden den studierenden Gefängnisinsassen Arbeitsplätze bereitgestellt – bis zum Anfang des Jahres 2020 noch von 8 bis 15 Uhr. Peter nutzte die Chance, so lange wie möglich dort zu sitzen, aus: volle Konzentration auf die Philosophie, weit weg vom Gefängnisalltag. Seit Beginn der Coronapandemie sind die Räume jedoch nur noch zeitlich begrenzt verfügbar. 

„Es ist wichtig, im Knast den Verstand zu nutzen.“

Seither verbringt er den Vormittag damit, Texte und Bücher in seiner Zelle zu lesen. Nachmittags widmet er sich aktiv dem Studium, schreibt Texte oder bereitet sich auf Prüfungen vor. Studiert er nicht, nutzt Peter die wenigen Freiräume, um sich abzulenken: Er meditiert oder treibt Sport. Außerdem stehen eine Küche für gemeinschaftliches Kochen, ein Fernseher und ein öffentliches Telefon zur Verfügung. Der Besitz eines Smartphones ist im Vollzug untersagt. Sollte festgestellt werden, dass er illegal in den Besitz eines Gerätes gekommen ist, drohe ihm ein vierwöchiger Einschluss, bei wiederholten Verstößen eine Verlängerung auf sechs oder acht Wochen. Dann dürfte sich Peter ausschließlich in seiner Zelle aufhalten und an keinen Gruppenaktivitäten mehr teilnehmen. 

Bei härteren Vergehen wie Schlägereien würden die Inhaftierten in den ›Bunker‹ gebracht und komplett von anderen Insassen isoliert, berichtet Peter. Dort gebe es kein Tageslicht, die Einrichtung beschränke sich auf ein Steinbett, das direkt an die Wand betoniert sei, darauf eine feuerfeste Matratze, eine Toilette aus Metall und ein Waschbecken. Eine Kamera nehme unentwegt jede Handlung auf. Abgesehen davon befinde sich im ›Bunker‹ nichts, es gebe keine Beschäftigungsmöglichkeiten und Suizide seien ausgeschlossen. Der ›Bunker‹ zwinge dazu, sich mit dem eigenen Fehlverhalten auseinanderzusetzen, sagt Peter. Nur ein*e Wärter*in bringe regelmäßig Essen. Das sei der einzige menschliche Kontakt.

Peter findet das Konzept fragwürdig. Die Abschreckung sei auf jeden Fall gegeben. „Im Bunker kann man die Macht der Institution spüren, zusätzlich auch die eigene Ohnmacht.“ Viele erlebten anfangs einen Haftschock. Das Gefühl, im Knast des Knastes zu sein, mache sie aggressiv. In den letzten Jahren habe Peter sich einen gewissen Ruf unter den Inhaftierten aufgebaut, das erspare ihm viel Kritik. Wie er das geschafft hat, erläutert er nicht. Abgesehen davon hat er auch richtige Freunde gefunden, Menschen, mit denen er auch „danach“ in Kontakt bleiben will. Aggressiv sei er nicht mehr. 

Viele, sagt Peter, seien nicht in der Lage, zu Drogen und Gewalt „Nein“ zu sagen, aber er habe sein Ziel klar vor Augen. Über all das plaudert er, als würde er bei einem Glas Wein über seine Jugend reden, alles klingt irgendwie locker, fast schon belustigt. Genauso locker spricht er von den neuen Inhaftierten, die immer eine gewisse Aggressivität mitbringen. Und von der Gewalt, die immer wieder aufkommt. Auch wenn er positiv in die Zukunft blickt, umgibt sie ihn jeden Tag. Sie bricht nicht aus, aber sie ist immer da.

*Um Peters Anonymität zu wahren, wurden sowohl sein Name geändert als auch sein genauer Aufenthaltsort und sein aktuell angestrebter Abschluss nicht genannt. Der Kontakt zu Peter entstand mit Unterstützung der Organisation Tatort Zukunft, die sich für die Rechte von Inhaftierten einsetzt. Ihr Projekt Uni im Vollzug bringt inhaftierte und nicht inhaftierte Studierende in einem Seminar zusammen. Dafür kooperiert Tatort Zukunft mit der Alice-Salomon-Hochschule und der Freien Universität.

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