Im Akademischen Senat sollen alle Gruppen der Uni gemeinsam Entscheidungen treffen. Praktisch gibt aber die Präsidentenliste Vereinte Mitte den Takt vor. Wer mischt mit? Von Jette Wiese und Julian Sadeghi.
Der Text stammt aus dem aktuellen Heft. Redaktionsschluss dafür war der 20. Dezember 2020.
An der Freien Universität kommen auf etwa 35.000 Studierende rund 400 Professor*innen. In den meisten Gremien, die den Kurs der FU bestimmen, haben letztere die Mehrheit, obwohl sie zahlenmäßig so deutlich in der Minderheit sind. So auch im Akademischen Senat (AS), dem zentralen Gremium der Uni. Dort kommen Profs, Wissenschaftliches und Nichtwissenschaftliches Personal und Studierende zusammen, um von der Einführung neuer Studiengänge bis zur Wahl des Präsidiums alle wichtigen Entscheidungen der Uni zu diskutieren. Die Professor*innen nehmen 13 Sitze ein, die anderen drei Statusgruppen haben jeweils nur vier Sitze. Im Block könnten die Profs also über die Köpfe aller anderen Universitätsmitglieder hinweg regieren. Aber treten sie überhaupt geschlossen auf? Wie entstehen Mehrheiten für Beschlüsse – und wer mischt mit?
Die 13 Professor*innen im AS teilen sich auf in drei Listen. Da ist zunächst die Vereinte Mitte, die mit zurzeit acht Mandaten größte Liste, die auch den Universitätspräsidenten Günter M. Ziegler stellt. Die restlichen Sitze teilen sich in die Liberale Aktion und den demokratisch-pluralen Dienstagskreis auf. Jede Liste besetzt mindestens eine*n Vizepräsident*innenposten. Damit wolle man Streit unter den Professor*innen vermeiden, mutmaßt Janik Besendorf, der für die Studierendenschaft im AS sitzt.
Die Vereinte Mitte hält er für den »Versuch, möglichst viele Professor*innen unter sich zu vereinen, um dann pragmatische Politik zu betreiben.« Ähnlich beschreibt die Theaterwissenschaftlerin Doris Kolesch die Politik der Vereinten Mitte: »Pragmatisch, also am Gegenstand orientiert und eben nicht mit einer vorgefertigten Meinung entscheiden«. Kolesch sitzt selbst seit 2017 mit der Vereinten Mitte im AS. Die Stärke ihrer Liste sieht sie in der »breiten Verbindung in alle Fachbereiche.« So gebe es regelmäßige Treffen »immer vor AS-Sitzungen, um über die Gegenstände, die dort verhandelt werden, zu sprechen.« Man rede mit einigen Kolleg*innen der anderen Listen aber »mindestens genauso oft, wie mit denjenigen der eigenen Liste«, erklärt Kolesch. In jedem Fall sei eine professorale Liste keine Partei mit Fraktionszwang – aber eben auch kein einfacher E-Mail-Verteiler.
Während sich die Liberale Aktion selten öffentlich von der Vereinten Mitte abhebt, gibt sich der Dienstagskreis, die zweitgrößte professorale Liste, eher links und etwas studierendenfreundlicher als die anderen Listen. Reinhard Bernbeck, Professor für Vorderasiatische Archäologie und seit 2010 mit dem Dienstagskreis im AS, kann die Programmatik seiner Liste allerdings auch nicht richtig konturieren. Man streite ernsthaft und sei vielfältig. Er findet, der AS müsse neben dem Tagesgeschäft wieder mehr eigene Akzente setzen und gesellschaftliche Entwicklungen im Blick haben: »Es gibt selten allgemeinpolitische Themen, die nicht für die Universität relevant sind.« Doch gesellschaftliche Impulse hat auch seine Liste zuletzt selten in die universitäre Debatte eingeführt. Hochschulpolitisches Agendasetting, wie die Thematisierung der Plagiatsaffäre um Franziska Giffey oder der Namensgebung des Henry-Ford-Baus, betreiben meist Studierendenvertreter*innen wie Janik Besendorf.
Im AS gebe es insgesamt wenig Kontroverse, erzählt Besendorf. Vor allem die Vereinte Mitte, aber auch insgesamt die Gruppe der Profs versuche, Diskussionen in extra dafür einberufene Arbeitskreise zu verlagern, um an der Öffentlichkeit »möglichst wenig Streit sichtbar zu haben.« So moniert auch Reinhard Bernbeck: »Versucht man, etwas anzuschieben, dann wird erst einmal eine Kommission gebildet. Diese Kommission geht aus dem AS heraus und legt einen Bericht vor und der AS stimmt darüber ab.« Dadurch manövriere sich der AS aber in eine Situation, in der er nicht mehr viel zu diskutieren brauche, er müsse nur noch entscheiden.
Studi-Vertreter Besendorf sieht in der Einrichtung verschiedenster Arbeitsgruppen einen generellen Politikstil, »der versucht, studentische Kritik ins Leere laufen und es dabei so wirken zu lassen, als nähme man die Sorgen ernst.« Im Verhältnis zwischen Studierenden auf der einen und Professor*innen beziehungsweise Präsidium auf der anderen Seite, hat sich seit dem Präsidentenwechsel vor knapp drei Jahren dennoch einiges getan. Ziegler wird von vielen für seine diplomatische Moderation gelobt. Dass, wie zur Amtszeit des früheren Präsidenten Peter-André Alt, die Debatte eskaliert und es lautstarken Protest gibt, ist schon lange nicht mehr vorgekommen.
Doch die Kooperationsbereitschaft im AS hat nicht nur mit einem um Ausgleich bemühten Präsidium zu tun. Hinter der professoralen Zurückhaltung stecken teilweise persönliche Motive, erzählen Beteiligte gegenüber FURIOS. Ein Beispiel: Wer die eigene Professur dem warmen Geldregen der Exzellenzinitiative verdankt, wird diese öffentlich kaum scharf angreifen, selbst wenn ihm*ihr das dahinterstehende Wissenschaftsverständnis eigentlich missfällt. »Es passiert selten, dass mal gegen Anträge vom Präsidium gestimmt wird. Wenn sich enthalten wird, ist das schon Ausdruck von Protest, das ist eigentlich absurd«, findet Besendorf.
Wie steht es also um das Arbeitsklima im AS? Eindeutig ist: Man ist in den vergangenen beiden Jahren wesentlich dialogbereiter geworden. Zumindest versucht Präsident Ziegler, alle Senator*innen in Entscheidungen einzubeziehen. So tritt das ungleiche Kräfteverhältnis zwischen den wenigen Profs und der Hochschulleitung, die Beschlüsse fassen, und den vielen Studierenden und Mitarbeitenden, die diese betreffen, weniger offen zu Tage. Die diplomatisch-pragmatische Atmosphäre führt zwar zu einer Beschleunigung der Sitzungen. Die Tendenz, Meinungsverschiedenheiten in Arbeitskreisen und Kommissionen auszutragen, entzieht die Kontroverse aber auch der Öffentlichkeit des AS. Echte Diskussionen, bei denen öffentlich – und nicht nur informell vor der Sitzung – Meinungen ausgetauscht werden, gibt es selten. Wie und vor allem von wem Entscheidungen tatsächlich getroffen werden, bleibt meist intransparent – nicht zuletzt auch, weil sich die Profs als größte Gruppe im AS mit Kritik an ihrem Präsidium bedeckt halten.