Drei Webex-Sessions in einem Semester, das war‘s

Wenn die Notlösung von 2020 zum Lehrangebot für 2021 wird – Julia Wyrott studiert im vierten Semester Publizistik- und Kommunikationswissenschaft sowie BWL. Hier stellt sie klar, was in ihrem Sommersemester schiefläuft.

Studieren am Limit. Bild: Redaktion

Nach über einem Jahr Onlinestudium ziehe ich Bilanz. Von tiefer Verzweiflung bis zum großen Lernerfolg war alles dabei. Doch wenn ich mich bei Kommiliton*innen umhöre, dann überwiegt mittlerweile die Frustration.

Eine Freundin hat mich vor ein paar Wochen gefragt, ob ich mit ihr auf eine Demo gegen die reine Onlinelehre gehe. Ich bin nicht mitgekommen. Die Fallzahlen waren zu dieser Zeit sehr hoch. Das Lernen lief ganz okay. Und wenn ich ehrlich bin – ich hatte Angst, mit Coronaleugner*innen und Rechten in eine Schublade gesteckt zu werden. Das war im Wintersemester.

Nun ist das Sommersemester fast vorbei. Und ich bin richtig wütend.

Studieren ohne Plan

In puncto Planung schien die FU nicht sonderlich bemüht, Studierenden die Informationen zu geben, die sie bräuchten. Wie kann es sein, dass ich mich für einen Kurs mit 40 Teilnehmenden anmelde, um am Ende festzustellen, dass der Kurs erstens 120 Studierende umfasst, weil Seminare zusammengelegt wurden, und zweitens komplett remote stattfindet? Und wie kommen Lehrende auf die Idee, Klausuren mit 300 Prüflingen in Präsenz zu planen, wenn nicht mal Seminare mit zehn Leuten möglich sind?

Im Mai drängte der regierende Bürgermeister Müller im Wissenschaftsausschuss des Abgeordnetenhauses zu einer schnellen Öffnung der Hochschulen. Er hoffe, „dass die Unis schon vor Juni das möglich machen, was möglich ist.“ Es folgte ein gemeinsames Papier der Senatskanzlei Wissenschaft und Forschung und der Berliner Hochschulen. Darin wird schnell klar: Bis auf ein paar kleinere Kurse und das Abhalten von Prüfungen unter Abstands- und Hygienebedingungen ist für das Sommersemester nicht mehr sonderlich viel geplant, man konzentriere sich auf eine Vorbereitung zur Öffnung der Hochschulen im Wintersemester „bei niedriger Inzidenz und hoher Impfquote.“

Lektürekurse und Sprechstunden statt Seminare und Übungen

Ein Unitag sieht bei mir so aus: Aufstehen, viel Kaffee, manchmal Sport. Nach dem Frühstück 60 Seiten Studien lesen, um ein paar Fragen zum Text zu beantworten und diese innerhalb der Deadline abzugeben. In den meisten meiner Seminare haben sich die Dozierenden dazu entschieden, Lektürekurse anzubieten. Das bedeutet minimalen Aufwand für Lehrende und maximale Langeweile für Studierende. Dabei wurde betont, dass uns das helfen würde, mit Texten für Hausarbeiten umzugehen. Ob es im vierten Semester wirklich oberste Priorität hat, Studierenden den Umgang mit wissenschaftlichen Texten nahezubringen, ist fraglich. Wir müssen schließlich seit anderthalb Jahren damit arbeiten – überraschenderweise auch für Hausarbeiten. Überhaupt – ich möchte die Aufgaben gar nicht dann erledigen, wenn es mir passt. Ich will ein verbindliches Online-Meeting, bis zu dem ich mich dazu aufgerafft haben muss. Ich möchte Austausch und Feedback zu meinen abgegebenen Texten. Stattdessen habe ich im ganzen Semester drei (!) Webex-Sessions – und eine Antwort auf meine abgegebenen Aufgaben habe ich auch noch nicht bekommen.

Studierende und Dozierende sind überhaupt nicht mehr auf Augenhöhe

Zu Beginn meines Studiums, vor Corona, war ich begeistert davon, wie Studierende einbezogen werden. Ich hatte das Gefühl, meine Stimme zählt. Von der Schule kannte ich das nicht. In Coronazeiten habe ich dieses Gefühl verloren. Trotz schlechter Evaluationsergebnisse werden Formate aus dem letzten Jahr exakt so übernommen. Die Notlösung von 2020 ist das Lehrangebot für 2021. In einem meiner BWL-Module muss ich das 1,5-fache pro Woche schaffen – wegen personeller Kapazitäten.

Für Dozierende mag es eine genauso schwere Zeit sein. Das Anbieten von Sprechstunden kann aber keineswegs bindende Seminarveranstaltungen ersetzen. Logisch, schließlich kann man sich angenehmeres vorstellen, als mit einem*r Professor*in über Webex Textpassagen zu besprechen, die man nicht verstanden hat. Für mich ist es in diesem Semester allerdings die einzige Möglichkeit, Fragen zu klären oder Denkanstöße zu bekommen.

Das beschreibt hoffentlich nur meine Studiensituation, denn ich wünsche mir, dass es bei anderen Studierenden besser läuft. Die Stimme der Studierenden ist gerade viel zu leise. Ich möchte nicht, dass sie verstummt. Deswegen werde ich meine Freundin zur nächsten Demo begleiten – für ein besseres Wintersemester.

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