Ist der Henry-Ford-Bau nach einem Antisemiten benannt oder nach seinem Enkel? Die Frage scheint nicht mehr aufzuklären zu sein. Umso wichtiger wäre eine universitätsweite Diskussion über die (Um-)Benennung. Doch die findet weiterhin nicht statt. Von Julian Sadeghi und Kira Welker.
Mehr als eine Million US-Dollar. So hoch war die Spende, die die wenige Jahre zuvor gegründete Freie Universität 1951 von der amerikanischen Ford Foundation erhielt, um ihren weiteren Aufbau zu ermöglichen. Verwaltet wurde die Stiftung damals vom amerikanischen Unternehmer Henry Ford II. Sie entstand aber mit dem Vermögen seines Großvaters, dem amerikanischen Autounternehmer Henry Ford I.
Dieser dürfte heute vor allem durch die Konzeption einer industriellen Fließbandproduktionsweise und der damit einhergehenden Arbeitskultur des Fordismus ein Begriff sein. Neben seiner Rolle als Großindustrieller war Henry Ford I. auch publizistisch tätig. In seiner Zeitung veröffentlichte er in den 1920er-Jahren zahlreiche antijüdische Hetzartikel unter eigenem Namen sowie Ausschnitte aus der antisemitischen Fälschung Die Protokolle der Weisen von Zion. In den 1930er-Jahren produzierten die Ford-Werke in Deutschland Fahrzeuge für die Wehrmacht, später wurden dort auch Zwangsarbeiter*innen aus NS-Konzentrationslagern eingesetzt.
Die Spende der nach Fords Tod aufgebauten Ford Foundation erlaubte der Freien Universität den Bau der Universitätsbibliothek sowie des Hörsaalgebäudes. Dessen verglaste Treppenhalle durchquert in Präsenzunizeiten noch immer fast jede*r FU-Studierende ab und zu: der Henry-Ford-Bau am U-Bahnhof Thielplatz. Benannt aus Dank für die Großspende, die seinen Bau ermöglichte. Aber auch: Benannt nach einem antisemitischen Publizisten und Träger zahlreicher NS-Orden?
Eine lange Vorgeschichte
Schon lange hatte der FU-Asta die Namensgebung des repräsentativen Baus thematisiert. 2007 wurde das Gebäude nach längerer Sanierung mit großer Öffentlichkeitswirksamkeit wiedereröffnet, ein Spektakel, das den damaligen Asta-Referenten Ralf Hoffrogge zu Recherchen im Universitätsarchiv anstieß. Sein Fazit, das vom Asta anlässlich der Wiedereröffnung publiziert wurde: „Ziel einer solchen Debatte kann nur eine Umbenennung des Gebäudes sein, denn es ist unerträglich, dass das symbolische Hauptgebäude der FU den Namen eines bekennenden Antisemiten trägt.”
Neuen Aufwind erhielt die Kontroverse Anfang 2020, als die Umbenennung der Beuth Hochschule für Technik beschlossen wurde. Grundlage war auch hier der antisemitische Hintergrund des Namensgebers. Dass eine Namensänderung sichtlich doch durchsetzbar war, veranlasste den Asta, eine erneute Stellungnahme zu veröffentlichen und die Frage im Februar 2020 erneut im Akademischen Senat der FU zu thematisieren.
Daraufhin forderte die FU Unterlagen aus dem Rockefeller Archive an, welches das Archiv der Ford Foundation verwaltet. Man erhoffte sich wohl endlich stichhaltige Beweise für die von der FU-Leitung seit langem vertretene „Enkelthese“, das Gebäude sei nach dem Enkelsohn Henry Ford II. benannt. Dieser saß der Stiftung in den 1950er-Jahren vor und betreute die Spende mit. Anhand der FU-eigenen Protokolle aus jener Zeit war diese Behauptung nicht belegbar. Doch auch das mehrere hundert Seiten starke Material aus den Vereinigten Staaten brachte keine Klarheit: Es belegt wiederum nur eine Ehrung von „Ford“ – welcher gemeint ist, bleibt weiterhin gänzlich offen.
Der Enkeltrick
Nachdem sich durch die neuerlichen Recherchen die Uneindeutigkeit nicht ausräumen ließ, entwickelte der Historiker Jochen Staadt für die FU-Leitung eine Erklärung, die die „Enkelthese“ mit Indizien unterfüttern soll. Im dazu verfassten und in der FU-Beilage zum Tagesspiegel im Dezember 2020 erschienenen Artikel muss er zur Begründung seiner Überlegungen einige argumentative Verrenkungen vornehmen.
So bezieht sich Staadt vor allem auf die Biografien der beteiligten Personen. Die Idee eines „Henry-Ford-Saals” warf im Jahr 1952 der Politikwissenschaftler Franz Neumann auf. Neumann war Jude und wurde von den Nationalsozialisten ausgebürgert. Als der Akademische Senat (AS) der FU 1954 beschloss, das Gebäude „Henry-Ford-Bau” zu nennen, hieß der Rektor der FU Ernst Eduard Hirsch; auch er war Jude, auch er musste nach der Machtergreifung 1933 vor den Nazis fliehen. Zwei weitere Figuren, die mit den amerikanischen Spenden befasst waren – Paul Hertz und Shepard Stone – waren ebenfalls jüdischer Herkunft.
Staadt führt zutreffend aus, dass weder beim Festakt zur Einweihung noch in damaligen Presseberichten der Name „Henry Ford I.” Erwähnung findet. Daraus schlussfolgert er: „Angesichts der Tatsache, dass Shepard Stone für seine Verdienste im Rahmen der Veranstaltung die Ehrendoktorwürde erhielt und Paul Hertz dort für die Ernst-Reuter-Gesellschaft sprach, wäre das eine Zumutung gewesen, die vermutlich weder Shepard Stone noch Paul Hertz hingenommen hätten: Beide waren jüdischer Herkunft, und beide konnten sich sicher sein, dass Rektor Hirsch keinen Antisemiten als Namenspatron des neuen Hörsaalgebäudes vorgeschlagen hätte.”
Studierendenvertreter bleiben skeptisch
Dieser Interpretation widersprachen zwei Studierendenvertreter in einem ausführlichen Artikel in der jungle.world, der die Staadt’sche Argumentation entkräftet. So sei in den Dokumenten zur Namensgebung immer nur die Rede von „Henry Ford”, wobei der autobauende Großvater der deutlich bekanntere Träger dieses Namens war. Zeitgenössische Pressetexte, die den stiftungsverwaltenden Enkelsohn erwähnten, hätten dies stets klargestellt, um Missverständnisse zu vermeiden. Auch FURIOS-Recherchen im Universitätsarchiv ergaben, dass in eigener Korrespondenz und Pressetexten der Ford Foundation klarstellend die Rede von „Henry Ford II” war, wenn der lebende Henry Ford gemeint war.
Staadts Bezug auf die zustimmende Beteiligung mehrerer jüdischer Personen bezeichnen die beiden als kaum tragfähiges „identitäres Argument”. Zudem hätten die meisten der Genannten an der Namensgebung nicht teilgehabt. Die Studierendenvertreter schließen mit der Forderung, das Gebäude mindestens eindeutig in „Henry-Ford-II-Bau” umzubenennen, lieber aber eine*n von allen Statusgruppen mitgetragene*n neue*n Namenspatron*in zu finden.
Von „Umbenennungsaktivisten” und leeren Gesprächsangeboten
Die Auswertung der US-amerikanischen Unterlagen und die Interpretation von Jochen Staadt legte Präsident Ziegler dem AS als letzten Tagesordnungspunkt am Ende einer außergewöhnlich langen Sitzung im November 2020 dar. Auf der zuvor veröffentlichten Tagesordnung angekündigt war das Thema nicht. Entsprechend überrumpelt war der anwesende Asta-Vertreter. Zu einer inhaltlichen Debatte konnte es während der Sitzung so gar nicht erst kommen: Die Senator*innen konnten sich darauf schlicht nicht vorbereiten.
Selbstsicher präsentierte Ziegler die Staadt’sche Lesart der Archivdokumente mit den Worten: „Eine andere Erklärung gibt es nicht”, und erklärte die universitätsweite Debatte so mit dem eigenen Beitrag für beendet, bevor andere Stimmen überhaupt zu Wort kommen konnten. Auf die Umbenennungsforderungen des Asta angesprochen, hatte es aus dem Präsidium im Frühjahr 2020 noch beschwichtigend geheißen, man stehe „einem Gedankenaustausch offen gegenüber”. Doch ein Austausch, der auch Studierende einbezieht, hat bis heute nicht stattgefunden.
Stattdessen veröffentlichte die Universität die Interpretation Jochen Staadts im Dezember 2020 in der FU-Beilage zum Tagesspiegel. Diese ist zwar alle zwei Monate der größten Berliner Tageszeitung beigefügt, wird redaktionell aber durch die Freie Universität betreut. Sie dient ihr also als eigenes Sprachrohr. Ein Verweis auf die jahrelange aktivistische Arbeit der Studierendenvertretung findet sich in diesem Artikel nirgendwo. Diesen Bezug stellt Staadt lediglich in einer längeren, polemischen Version des Textes her, die in der Zeitschrift seines eigenen Forschungsverbundes erschien. Dort wird deutlich, wie wenig ernst der Historiker das Bedürfnis der Studierenden nimmt, sich kritisch mit der Erinnerungskultur ihrer Universität auseinanderzusetzen. Er wirft den Studierendenvertreter*innen „Ignoranz” und „Einfalt” vor und tut sie als „Kampagnenführer” und „Umbenennungsaktivisten” ab. Ein Gespräch auf Augenhöhe klingt anders.
Fakten schaffen ohne Fakten
Im AS-Protokoll der besagten Sitzung im November 2020 findet sich der Satz: „Im Ergebnis kann festgestellt werden, dass der Bau zweifelsfrei nach Henry Ford II. benannt wurde.” Das ist jedoch so nicht richtig. Im Ergebnis stehen sich weiterhin zwei Interpretationen der nicht eindeutigen Quellenlage gegenüber. Eine objektive Wahrheit, die heute noch zu rekonstruieren wäre, gar eine „zweifelsfreie“ Faktenlage, gibt es schlichtweg nicht. Umso mehr verwundert es, dass die FU-Leitung so tut, als gäbe es sie. Problematisch und geradezu unwissenschaftlich ist es, dass dieser Satz nun in einem offiziellen AS-Protokoll steht, das seinen Weg irgendwann auch in das FU-Archiv finden wird. So wurden historische Tatsachen geschaffen, die überhaupt gar keine sind – und mit der Veröffentlichung in der Tagesspiegel-Beilage auch der Öffentlichkeit als Fakten präsentiert. „Der Henry-Ford-Bau der Freien Universität Berlin trägt einen guten Namen.”, bilanziert Staadt dort, doch diese Einschätzung bleibt trotz seiner Recherchen eine Frage der Auslegung.
Dass sich das Präsidium auf Staadts Interpretation versteift, ist aus Sicht der Professor*innen um Ziegler nachvollziehbar, geht es bei der Frage der Namensgebung doch um nichts weniger als den Gründungsmythos der FU. Würde man sich die uneindeutige Quellenlage eingestehen, täte sich für die Hochschulleitung das Problem auf, wie der amerikanischen Unterstützung weiterhin gedacht werden könnte, ohne den Namen Henry Ford zu verwenden. Die Lesart von Jochen Staadt umschifft diese Gefahr. Wohl deswegen hat das Präsidium sie in derart autoritärer Weise ohne weitere Debatte zur offiziellen Position der FU erklärt.