Mysterium Mensch

Wie tickt der Mensch? Dieser Frage widmet sich der neue Podcast der Max-Planck-Gesellschaft „Ach, Mensch” aus verschiedenen geistes- und sozialwissenschaftlichen Perspektiven – mit nur mäßigem Erfolg, findet Clara Baldus. 

Die achte Folge ist bereits veröffentlicht und die Themen vielfältig – vom Einfluss der Umwelt auf unserer Gehirn bis zur Stadtwahrnehmung einer Kunsthistorikerin. Foto: Clara Baldus

In den immer dichter werdenden Podcast-Dschungel reiht sich seit Anfang Mai ein neuer Wissenschaftspodcast ein. Bei „Ach, Mensch”, einer Kooperation zwischen detektor.fm und der Max-Planck-Gesellschaft, ist alle zwei Wochen ein*e neue*r Wissenschaftler*in zu Gast. Allerhand Themen rund um den Menschen sollen aus verschiedenen Bereichen der Geistes- und Sozialwissenschaften beleuchtet werden. Dabei wird ein breites Spektrum an spezifischen Fragestellungen besprochen. Es geht unter anderem darum, welche Auswirkungen die Umgebung auf das Gehirn hat, warum Menschen wohnungslos werden und wie Musikgeschmack erforscht werden kann.

Viele Fragen, wenig Antworten

Die Moderatorin Lara-Lena Gödde wirft zu Beginn jeder Folge spannende Fragen auf, die verdeutlichen, von welcher Wichtigkeit die einzelnen Themen auch im Alltag sind. Die Antworten sind jedoch oft wenig befriedigend, bleiben abstrakt und kratzen eher nur an der Oberfläche. So auch in der zweiten Folge, in der Verhaltensökonom Mathias Sutter zu der Frage, wie Menschen im Team entscheiden, beginnt Formeln vor sich her zu predigen. Als Zuhörer*in fühlt man sich in den Mathematikunterricht zurückversetzt und neigt dazu schnell abzuschalten. 

Erst auf Nachfrage der Moderatorin unterbricht Sutter sein Mantra aus Rechenschritten und erklärt nochmal für die Laien: Teams treffen bessere Entscheidungen als Individuen, da es in Gruppen zu Diskussionsprozessen komme. Jedoch nehme dieser Vorteil mit zunehmender Personenzahl ab, gemäß dem Sprichwort „Zu viele Köche verderben den Brei”. Das Fazit der Folge scheint wenig revolutionär: „Es ist wichtig, verschiedene Perspektiven in einer Diskussion zuzulassen.”

Interessante Einblicke

Dennoch gibt es punktuell interessante Forschungseinblicke. Besonders die Folge „Wer lebt auf der Straße?” hebt sich hervor, in der mit Wohnungslosigkeit ein dringliches gesellschaftliches Problem adressiert wird, das auf Berlins Straßen allzu sichtbar ist. Die Anthropologin Luisa Schneider erzählt, dass sie zu Beginn ihrer Forschung selbst davon überzeugt gewesen sei, dass niemand auf der Straße leben müsse. Dies sei jedoch, wie sie heute wisse, eine naive Logik, da das Hilfesystem in Deutschland zu komplexe Anforderungen an die Bedürftigen stelle. Denn das Konzept basiere auf Individualisierung und es werde vorausgesetzt, dass die Betroffenen ihre Probleme selbst aktiv bekämpfen, um Zugang zu verschiedenen Hilfen zu erhalten. 

Schneider weist zudem darauf hin, dass Menschen aus allen Gesellschaftsschichten auf der Straße landen können. Auslöser sei oft soziales Leid, wie der Verlust eines*r Lebenspartner*in oder die Trennung der Eltern. Den Zuhörer*innen wird vor Augen geführt, welche gravierenden Folgen das Fehlen einer Wohnung als Rückzugsort für das Bedürfnis nach Intimität und Privatsphäre hat. „Viele Menschen leiden extrem darunter, dass sie in einem Raum leben, den andere Menschen nutzen und durchqueren.” 

Neues Wissen über das menschliche Gehirn liefert das Gespräch mit Simone Kühn. Die Umweltpsychologin erforscht, welchen Einfluss die Umgebung auf die neuronale Plastizität, also die Veränderbarkeit von Hirnstrukturen, hat. Einzelne Hirnregionen würden sich durch Neuvernetzungen oder Neurogenese (Zellwachstum) an die Umwelt, in der wir uns bewegen, anpassen. Wer seine Kognitionsleistung steigern will, sollte zum Beispiel regelmäßig in der Natur spazieren gehen. Kühn geht stark davon aus, dass auch der Lockdown durch die soziale Isolation Auswirkungen auf unsere Hirnstruktur hat. Erste Daten würden auf Reduktionen in gewissen Gehirnarealen hinweisen. Um welche Hirnareale es sich handelt, wird leider nicht aufgelöst.

Hörempfehlung?

Der Podcast hat das Potential, interessierten Hörer*innen wissenschaftliche Erkenntnisse zu einer Vielfalt an Themen zu vermitteln. Positiv fällt auf, dass der Podcast einige weibliche Wissenschaftlerinnen zu Wort kommen lässt. Die Titelthemen klingen jedoch meist vielsprechender als der besprochene Inhalt. So wird zu Beginn der Folgen teilweise zu umfangreich der persönliche Werdegang der Wissenschaftler*innen geschildert, was wenig relevant ist und eher an Selbstdarstellung anmutet.

Auch wenn einzelne Folgen gewinnbringende Einblicke gewähren, kann dieser Wissenschafts-Podcast, insbesondere angesichts des breiten Angebots, eher weniger überzeugen. Die ersehnten Aha-Momente bleiben größtenteils aus. Wer sich für spezifische Fragestellungen interessiert, der*die kann jedoch aus inhaltlich ausgewählten Folgen etwas mitnehmen.


„Ach, Mensch” gibt es auf der Seite der Max-Planck-Gesellschaft und auf dektor.fm sowie den gängigen Streaming-Plattformen Spotify, Deezer und Apple Music zu hören. Die neueste Folge handelt unter anderem von der Machtverteilung in der Stadt:

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