Glücklich sein ist das, was zählt

Von „Bis dass der Tod uns scheidet“ zu „Wir entscheiden!“. Beziehungen ändern sich genauso wie unser Leben – über Jahre und Generationen. An welchem Punkt stehen wir? Von Hutham Hussein.

Eine Generation nie dagewesener Promiskuität – oder doch eher Stabilität und Reihenhaus? Illustration: Anna Kallidou

Wer bin ich? Wie möchte ich leben? Welche sexuellen Bedürfnisse habe ich? – All diese Fragen stellen wir uns im Rahmen unserer individuellen Selbstdefinition. Dies ist möglich, zumal wir den Raum, Lebensstandard und die gesellschaftlichen Möglichkeiten haben, uns überhaupt mit diesen Fragen zu beschäftigen und eventuell auch Antworten auf sie zu finden.

„In einer Kultur, in der der Lebensstandard der Menschen gering ist, werden typischerweise eher traditionelle Beziehungsformen praktiziert. Denn diese Beziehungen dienen eben nicht nur dazu, die eigene Sexualität oder Bedürfnisse nach Liebe und Zuneigung auszuleben, sondern stellen primär Versorgungseinheiten dar“, erklärt Dr. Bettina Hannover. Sie ist Psychologin und derzeit Professorin an der Freien Universität. Aufgrund des hohen Lebensstandards unserer Gesellschaft hätten Menschen die Möglichkeit, stärker nach innen zu schauen: Was möchte ich aus meinem Leben machen? Wenn diese Menschen Kinder bekommen, so Hannover, dann nicht aus Zwang, finanzieller Not, oder weil die eigenen Eltern es wollen, sondern weil sie selbst es möchten.

Liebe in Zeiten der Möglichkeiten

Wir befreien uns zunehmend von einer binären Zwangskategorisierung in die eine oder andere Geschlechtergruppe. Die Menschen sind zu divers, zu einzigartig, als dass man sie noch durch kollektive Oberbegriffe klassifizieren könnte. So auch in ihrer Beziehungsgestaltung. Ob monogam, polyamorös, in einer geschlossenen oder offenen Beziehung, in Partnerschaft oder in Ehe lebend – in Deutschland und vor allem in Berlin, in dem wir ein liberales Klima genießen, lieben die Menschen nach ihrer eigenen Fasson – auch jenseits des prototypischen Familienmodells. Obwohl die eigene Lebenszeit gefühlt rasend schnell vergeht, nimmt der Selbstfindungsprozess einen Großteil unserer Jugend ein – wenn nicht gar das gesamte Leben. Es geht bei der Partner*innensuche nicht mehr nur darum, einen Menschen mit möglichst hohem sozioökonomischen Status zu heiraten, sondern um Selbstverwirklichung und langanhaltendes Glück.

Wir steh’n auf wann wir wollen, fahren weg, wenn wir wollen. Seh’n aus wie wir wollen, haben Sex wie wir wollen, und nicht wie die Kirche oder Pornos es uns erzählen. Baby, die Zeit mit dir war so wunderschön. Ja, jetzt ist es wieder aus, aber unsere Kinder weinen nicht, denn wir ziehen sie alle miteinander auf.

K.I.Z.: Hurra die Welt geht unter

Ist die Jugend von heute bindungsängstlich?

Sexualwissenschaftliche Studien zeigen, dass sich das Verhalten von Jugendlichen und jungen Erwachsenen eher in die andere Richtung verändert hat, schildert Hannover. Einen großen Einfluss darauf hatte die Entdeckung des HI-Virus Anfang der 80er Jahre, die zu dramatischen Veränderungen des Sexuallebens führte. Junge Menschen hatten nun weniger Sexualpartner*innen als in den vorherigen Generationen. Die Tendenz zur monogamen Beziehung und eigenen Familiengründung habe sich in den letzten Jahrzehnten verstärkt.

Hannover erklärt: „Wir sehen über die vergangenen Jahre einen Rückgang in der Promiskuität (Anm.d.Red.: Geschlechtsverkehr mit beliebigen, häufig wechselnden Partner*innen) und gleichzeitig eine Erhöhung des Alters bei der ersten Mutter- oder Vaterschaft. Das ist Ausdruck davon, dass Menschen sich länger für eine Lebensphase der Unabhängigkeit Zeit nehmen wollen.“ Gerade in Zeiten der Ungewissheit suchen Menschen verstärkt nach Sicherheit, so auch aktuell während der Coronapandemie. Jedoch steht der Trend, sich eine gewisse Zeit lang unabhängig auszuleben, nicht im Widerspruch zu einem später aufkommenden Bedürfnis nach einer stabilen Partnerschaft.

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