Zwischen Glaube und Hörsaal

Jochanan ist Jude, Anna Katholikin und Diem Buddhistin. Sie vereinen ihr wissenschaftliches Studium mit ihrem Glauben. Drei Gespräche über Toleranz, Vorurteile und Fortschritte. Von Lena Marie Breuer und Isabell Geidel.

Illustration: Anne Hasert

Jochanan ist gläubiger Jude. Er ist 25 Jahre alt und studiert an der Uni Heidelberg Klassische und Vorderasiatische Archäologie. 

FURIOS: Woher wissen andere, dass du gläubig bist?

Jochanan: Ich gehe mit meiner Religion sehr offen um. Religiöse Symbole trage ich kaum. In Gesprächen kommt mein Glaube meistens eher zufällig raus, es sei denn es geht beispielsweise um Israel, dann gebe ich mich zu erkennen. Wenn ich merke, dass mein Gegenüber gewisse Ansichten hat, erwähne ich meinen Glauben lieber nicht.

Hast du schon Diskriminierung aufgrund deines Glaubens erlebt?

Bisher kamen eher interessierte Fragen. In der Schule wurde ich leider oft mit unangenehmen Vorurteilen konfrontiert, in der Uni fast gar nicht. Es kam aber schon auf Partys vor, dass Leute auf mich gezeigt haben und gesagt haben: »Guck mal, da ist der Jude«. Ich habe aber zum Glück Freund*innen, die mich in solchen Situationen unterstützen. 

Unterstützt deine Uni deinen Glauben?

Ich bin zum Glück an einem relativ familiären Institut mit verhältnismäßig wenig Studierenden und vielen Dozierenden. Dadurch herrscht ein angenehmes Klima. Ich habe zum Beispiel schon Fristverlängerungen bekommen, weil ich an den jüdischen Feiertagen nicht meine Hausarbeit schreiben konnte.

Wie sieht es in der Mensa aus, gibt es dort koscheres Essen?

Koscher bedeutet, nicht nur auf Schweinefleisch zu verzichten, sondern auch Milch- und Fleischprodukte getrennt zu essen. Bei der Aufbewahrung bin ich allerdings nicht so streng. Ich muss das einfach realistisch sehen. Es gibt außerdem koscheres Schlachten, das wird in Deutschland allerdings kaum praktiziert. Daher ernähre ich mich fast immer vegetarisch, und dahingehend hat meine Mensa glücklicherweise ein großes Angebot. 

Was wünschst du dir von deiner Uni im Hinblick auf religiöse Offenheit?

Ich wünsche mir, dass sie auf religiöse Feiertage eingehen würde, egal welcher Religion. Wenigstens darauf aufmerksam zu machen, wäre wirklich schön.

Gibt es einen Unterschied zwischen Studierenden, die religiös sind und denen, die es nicht sind?

Von Studierenden wird eigentlich immer erwartet, dass sie auch samstags Zeit haben, um Veranstaltungen nachzuholen. Das geht absolut gegen die Religiosität einiger Studierender.

Wenn eine Veranstaltung nachgeholt wird, darf die Uni keine Anwesenheitspflicht überprüfen, dann gehe ich oft einfach nicht hin. Bei Klausuren schlucke ich das runter und nehme trotzdem teil. 

Wie gehst du mit Witzen über deine Religion um?

Wenn sie von langjährigen Freund*innen kommen, ist das meistens okay. Fremde Personen weise ich darauf hin, dass die Witze nicht unbedingt angemessen sind. Wenn ich aber merke, dass die Person da sehr festgefahren ist, halte ich mich auch einfach fern. Es ist nicht meine Pflicht, jede*n zu belehren.

Musst du viel Aufklärungsarbeit leisten?

Ja. Oft muss ich einfach erzählen, was ich erlebt habe, das öffnet vielen die Augen. Es gibt immer noch Antisemitismus in Deutschland, mittlerweile wird er sogar wieder salonfähig. Manchmal nehme ich mir vor, weniger über das Judentum zu reden, da das für mich auch belastend ist. Hinterher ist mir aber klar, dass die Aufklärung zwar anstrengend war, aber dass ich immerhin Leute aufgeklärt habe. Ich gehe auch freiwillig an Schulen und rede mit Kindern über das Judentum.


Anna ist seit ihrer Kindheit Katholikin. Sie ist 21 Jahre alt und studiert Europäisches Management in Wildau. 

FURIOS: Was bedeutet die Kirche für dich?

Anna: Den Glauben an Gott und die Kirche als Institution trenne ich für mich. Das heißt, wenn jemand sagt, er oder sie ist* Christ*in, gehe ich nicht davon aus, dass die Person auch automatisch jeden Sonntag in die Kirche geht. Jede*r muss selbst entscheiden, ob man das für sich und seine Verbindung zu Gott braucht. Die Kirche gibt mir aber auch ein Gemeinschaftsgefühl.

Warum gehst du in die Messe?

Für mich ist es eine Stunde, in der ich in Ruhe und betend rekapitulieren kann, was ich erlebt habe. Dann zähle ich alles auf, was ich gemacht habe, was mich gefreut und geärgert hat und was ich mir für die nächste Woche wünsche. Früher war ich jeden Sonntag in der Kirche, mittlerweile gehe ich dort nur noch ungefähr einmal im Monat hin. Andere meditieren, ich gehe halt in die Kirche.

Hat sich deiner Meinung nach in den letzten Jahren etwas an der katholischen Kirche verändert?

Ich glaube das Bild oder Verständnis von Gott hat sich über die letzten Jahrzehnte nicht so sehr verändert. Trotzdem bin ich der Meinung, dass sich die katholische Kirche im Prozess der Veränderung befindet. Das merkt man vor allem an den unterschiedlichen Predigten. Die jüngeren Pfarrer haben oft einen moderneren Ansatz und predigen über alltägliche Probleme. Die älteren Pfarrer sagen eher: »Glaubt an Gott und alles wird gut.«

Wie ist dein Verhältnis zur Kirche als Institution?

Ich nehme nicht alles so an, wie die Kirche es vorgibt. Gott ist eine Stabilität in meinem Leben, trotzdem verantworte ich es vor mir selbst, wenn ich einen Fehler mache. Ich glaube, dass wir immer eine Wahl haben und unseren eigenen Teil zu unserem Glück beitragen.

Siehst du dich mit Vorurteilen konfrontiert? 

Ich empfinde es so, dass die katholische Kirche in der säkularen Welt eher einen neutralen bis schlechten Ruf hat. Dass der Papst die Segnung der Liebe homosexueller Paare verweigert hat und die Missbrauchsskandale machen mich sehr traurig. Manchmal fühle ich mich dann von anderen in die Position gedrängt, meinen Glauben rechtfertigen und die Kirche verteidigen zu müssen, was nicht meine Aufgabe ist und was ich auch nicht will.


Diem ist Mahayana-Buddhistin. Sie ist 30 Jahre alt und studiert Kultur und Technik an der TU in Berlin.

FURIOS: Wie reagieren andere, wenn du von deinem Glauben erzählst?

Diem: Selten überrascht, die Reaktion ist eher positiv. Dann reden wir darüber, was die Person mit meinem Glauben assoziiert oder schon darüber weiß: Dass der Buddhismus eine Religion des Friedens ist und dass man selbstbestimmt handelt, sagen die Leute oft.

Gibt es einen Widerspruch zwischen Religion und wissenschaftlichem Studium?

Wissenschaft kann Religion unterstützen, aber andersherum glaube ich, dass gewisse Wahrheiten von Religion und Spiritualität einfach noch nicht wissenschaftlich greifbar sind, und dass das zu unseren Lebzeiten vielleicht auch noch nicht möglich sein wird. Daher denke ich, dass Wissenschaft und Religion eher eine gemeinsame Zukunft haben als eine gegensätzliche.

Nichtsdestotrotz nimmt der Anteil an religiösen Menschen immer weiter ab. Welchen Mehrwert siehst du in Religion, speziell dem Buddhismus, heute?

Ich glaube, dass der Kern des Buddhismus auch in Zukunft noch Jüngere anspricht. Es wird aber zunehmend schwieriger sein, die Jugend zu erreichen. Gerade Social Media und diese ganze Reizüberflutung können in meinen Augen eine Leere und Einsamkeit hervorrufen, die Spiritualität, wie der Buddhismus, zu überwinden helfen kann. Ich hatte einmal einen Lehrmeister, der sagte, wenn man jüngere oder sehr gebildete Menschen an Religion heranführen möchte, ist es immer gut, einen wissenschaftlichen Ansatz zu haben und dann zu sagen: »sprinkle a little buddhism on it«. Das heißt, man sollte die Lehren des Buddhismus passend zur aktuellen Lebenssituation vermitteln, Interesse wecken und nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen.

Was wünschst du dir im Umgang mit dem Buddhismus?

Ich finde es in einer säkularen Gesellschaft wichtig, Religion und Wissenschaft zu trennen, aber auch für beides offen zu sein. Ich würde mich freuen, wenn es mehr Foren und Formate gäbe, die dahingehend sensibilisieren und Austausch schaffen.

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