50 Jahre BAföG: Ein Kommentar zur deutschen Bildungspolitik

Bad Honnef, ein kleines unscheinbares Rheinstädtchen nahe Bonn, schrieb Politikgeschichte. Denn es gilt als Geburtsstätte einer der wichtigsten bildungspolitischen Reformen Deutschlands. Zum Anlass des 50. Jubiläums verfolgt Maximilian Bensinger kritisch die Spuren des BAföG bis heute.

Finanzieller Unterstützungsbedarf war von Anfang an da: Demo 1982 zur Beibehaltung der BAföG-Sätze. Bild: Picture Alliance

Am Anfang war nichts

Innerhalb von zwei Jahren entstand in zwei verschlafenen Vororten Bonns das Epizentrum deutscher Bildungspolitik. Im Jahre 1957 wurde das Honnefer Modell auf den Weg gebracht; es bildete die Grundlage für das 1971 eingeführte Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG). Wenige Kilometer weiter verabschiedete die SPD 1959 das „Godesberger Programm“ und transformierte sich zur Volkspartei. Die Sozialdemokraten waren als Regierungspartei in der weiteren Geschichte immer wieder prägend für eine progressivere Bildungspolitik. 

Doch der Weg dorthin war ein langer. Anfang der 50er-Jahre war die Forderung nach Bildungsförderung ein exklusiver Wunsch der direkt betroffenen Studierenden. Ihr Aufschrei fand jedoch wenig Gehör, denn die meisten Deutschen profitierten vom wirtschaftlichen Aufschwung und den damit verbundenen allgemein gestiegenen Sozialleistungen. Die Regierung unter Konrad Adenauer hörte den Studierendenwerken über viele Jahre zwar zu, aber auf viel zustimmendes Kopfnicken folgten keine Taten. Eine Parallele zur aktuellen Corona-Krise, in der Studierende von der Regierung bislang auffallend deutlich ignoriert wurden. 

Ob Aufschwung oder Krise, die Geschichte des BAföG steht auch immer wieder stellvertretend für die Rolle des Bildungsnachwuchses in der politischen Debatte. Nur selten erleben sie mit ihrem Aufbegehren die nötige Salienz, um ernsthaft politisch mitgestalten zu dürfen. 

Förderung der Privilegierten

Das 1957 gestartete Honnefer Modell war zwar eine Maßnahme zur Bildungsförderung, nicht jedoch zur Bekämpfung von Bildungsungleichheit. Zum einen galt das Modell ausschließlich für Studierende an Universitäten, zum anderen handelte es sich nur um Förderrichtlinien. Es gab keinen rechtlichen Anspruch.

Zum Höchststand wurden 19,2 Prozent der Studierenden gefördert; die Quote sank in den 60er-Jahren aber drastisch. Auch deswegen reifte in der politischen Opposition (SPD) der Wunsch nach einem Ausbildungsförderungsgesetz. 

Aus Kompromiss wird echte Willenserklärung

Die Sozialdemokrat*innen nahmen sich im Wahlkampf der potenziellen Wählerschaft an. Ein dankbares Wahlkampfthema für die oppositionelle SPD. Bis heute befindet sich die Partei in ständigen Identitätsdebatten, die Bildungspolitik gehört dabei traditionell immer zu den Wahlkampfthemen. Noch während der Großen Koalition unter Kanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU) wurde 1969 das Afög auf den Weg gebracht. Der direkte Vorgänger – und schlechte Kompromiss – zum BAföG, das wiederum 1971 unter dem ersten SPD-Kanzler Willy Brandt endlich in Kraft trat. Der Start war vielversprechend. Als 100-prozentiger Zuschuss fand die neue Förderung nach einem Jahr bei 44,6 Prozent der Studierenden Gefallen – eine nie mehr erreichte Quote.

Doch schon drei Jahre nach dem Start wurde aus dem Zuschuss, trotz der Proteste vieler Studierender, ein anteiliges Darlehen (bis zu 150 DM). Als Ergebnis sank die Zahl der Geförderten deutlich. Dennoch gelten die 70er-Jahre als Meilenstein der Bildungsförderung, da das BAföG eine wichtige Rolle bei der Öffnung der Hochschulen für alle sozialen Schichten spielte. Es profitierten nicht nur Studierende, sondern auch Auszubildende und Schüler*innen. Die Bildungsrevolution fand jedoch mit der wiedererstarkten CDU ihr jähes Ende.

Die kohlsche Bildungszäsur

Helmut Kohl setzte 1982 zum sogenannten „Kahlschlag” an und machte BAföG zum Volldarlehen. So startete ab 1983 ein*e  (mit Höchstbetrag) geförderte*r Absolvent*in bei durchschnittlicher Studienzeit mit 70.000 DM Schulden ins Arbeitsleben. 1989 lag die Förderquote nur noch bei 18,3 Prozent. Heute liegt sie unter 12 Prozent – Tiefststand.

Es ist die ernüchternde Erkenntnis, dass deutsche Bildungspolitik zumeist nur als Experimentierwiese für kurzfristigen Aktionismus dient. Da verwundert es nicht, dass Studien der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) dem deutschen Staat seit Jahrzehnten schlechte Ergebnisse im Bereich der Bildungsmobilität attestieren. Gerade hier wäre ein gutes Konzept zur Ausbildungsförderung von Nöten. 

Bildungspolitik in der Sackgasse

Das zeigt auch ein Blick auf die Entwicklung des durchschnittlichen Förderbetrags. Dieser änderte sich zwischen 1977 (225 Euro) und 2001 (326 Euro) kaum. Erst mit der rot-grünen Koalition, unter Kanzler Gerhard Schröder, wurden durch viele Reformen die Einschränkungen Kohls wieder aufgehoben. Seitdem steigt der Betrag sukzessive und liegt aktuell bei durchschnittlich 574 Euro. 

Seitdem folgte Reform auf Reform und aus einem Gesetz für mehr Bildungschancen ist ein unbewegliches Bürokratiemonster entstanden. Auch deswegen hat es das BAföG wieder auf die politische Agenda geschafft. Jetzt stehen alle Zeichen auf Ampel und die Hoffnung ist groß, dass  auch die Bildungsförderung reformiert wird. 

Gute alte Zeiten oder Modularität?

Die aktuellen Sondierungspapiere versprechen Neuerungen, aber es bleiben viele Fragen, wie die wahrscheinlich zentralste, nach einer möglichen Rückkehr zu einem Vollzuschuss. Auch ein Baukastenprinzip (viele Staffelungen, höheres Kindergeld) ist möglich, das aber viele Probleme überstrahlt: viel Bürokratie, wenig schnelle Hilfe. Zudem wirkt die Rückzahlung eines Darlehens (vor allem bei Arbeiterkindern) weiterhin abschreckend.

Über den Weg wird weiterhin gestritten. Das Ziel ist jedoch klar – der Zugang zur Ressource Bildung muss endlich deutlich vereinfacht werden. Apropos Zugang: Mittlerweile kann man sogar in Bad Honnef studieren! An der privaten IU Internationalen Hochschule kosten die Bachelor-Studiengänge um die 13.000 Euro. Was wohl einige Studierende aus den 50ern darüber denken? 


Anmerkung der Redaktion: Die Zwischenüberschrift “Bildungspolitik, ein Spielball der Alt-Parteien” wurde, nach einem Hinweis auf die problematische gegenwärtige Verwendung des Begriffs “Alt-Parteien”, ersetzt. FURIOS grenzt sich von jeglichem faschistischem Gedankengut ab.

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1 Response

  1. J sagt:

    Der Artikel ist ja gar nicht so schlecht, aber wie kommt die Bezeichnung “Alt-Parteien” hier bitte rein, liebe Furios? Mir ist schon klar, dass es den Begriff schon vor der AfD gab, aber heutzutage wird er eigentlich nur noch von den Faschist_innen und ihren Freund_innen benutzt. Was will also der Autor/die Redaktion damit ausdrücken?

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