Let’s talk about race!

Der Roman Americanah begleitet die junge Ifemelu auf ihrem Umzug von Nigeria in die USA. Es geht um Migration, Depression und Identität. Und plötzlich auch um Rassismus. Eine Pflichtlektüre für alle deutschen Kartoffeln, findet Anna Maissen.

Adichie ist bekannt dafür, auf gesellschaftliche Missstände hinzuweisen. Foto: Anna Maissen. Illustration: Joshua Leibig

Ifemelu schaut auf den Sozialversicherungsausweis einer zehn Jahre älteren Nigerianerin, den ihr ihre Tante eben in die Hand gedrückt hat, und stutzt: „Die sieht aber ganz anders aus als ich, das wird doch nie funktionieren!“ Die nüchterne Antwort: „Mach dir keine Sorgen, für Weiße sehen wir alle gleich aus!“

Diese Szene aus dem Buch Americanah bleibt besonders im Gedächtnis. Es ist so absurd – und gleichzeitig so erschreckend zutreffend. Genau das ist die Stärke des Romans von Chimamanda Ngozi Adichie, der 2013 veröffentlicht wurde, aber aktueller nicht sein könnte.

Hoffnung, Heimweh & Haarprobleme

Das Buch begleitet die fiktiven Figuren Ifemelu und Obinze, die zusammen in Nigeria aufwachsen und als junge Erwachsene ihr Glück in den USA beziehungsweise in England versuchen. Wie wohl die meisten Leser*innen haben sie mit finanziellen Notlagen, Beziehungsproblemen und kulturellen Unterschieden zu kämpfen.

Adichie entführt die Leser*innen in die chaotischen Straßen von Lagos, in eine Kindheit, die der von Durchschnittsdeutschen in vielerlei Hinsicht ähnelt und sich in manch anderer völlig unterscheidet. Sie nimmt die Leser*innen mit in die USA, in das Leben von Migrant*innen, die finanziell und sozial nicht abgesichert sind, die sich für Vorstellungsgespräche die Haare mit Chemikalien glätten müssen und die mit der ständigen Angst leben, ausgeflogen zu werden, wenn ihr Arbeitsvisum nicht verlängert wird. Diese existenziellen Sorgen treffen auf den US-amerikanischen Lifestyle, was immer wieder zu absurden Situationen und Einsichten führt.

When it comes to dressing well, American culture is so self-fulfilled that it has not only disregarded this courtesy of self-presentation, but has turned that disregard into a virtue. ‚We are too superior/busy/cool/not-uptight to bother about how we look to other people, and so we can wear pajamas to school and underwear to the mall.’”

Der Roman erlaubt den Leser*innen, sich in Ifemelu hineinzuversetzen und ihre Sorgen und Freuden mitzuerleben. Auch die anderen Figuren werden anschaulich beschrieben, bleiben aber eher unbedeutend und entsprechend eindimensional. So fern deren Probleme den meisten deutschen Leser*innen auch sein mögen, die Autorin lässt sie in diese Lebensrealität eintauchen und deren Bedeutung erfassen.

Das kritische Abbild einer unfairen Gesellschaft

Chimamanda Ngozi Adichie ist eine nigerianische Schriftstellerin, die durch ihr vielseitiges Engagement zahlreiche Preise und eine breite Leserschaft gewonnen hat: Neben einer umfangreichen Beschäftigung mit postkolonialen und rassistischen Herausforderungen publiziert sie zunehmend auch Texte zum Thema Feminismus. Zuletzt brachte sie im September in einer Rede anlässlich der Eröffnung des Ethnologischen Museums in Berlin die Absurdität der Afrikanische-Kunst-zurückerstatten-oder-nicht-Diskussion auf den Punkt. Adichie ist bekannt für ihre fundierte und direkte Art, auf gesellschaftliche Missstände hinzuweisen, und ihren Leser*innen und Zuschauer*innen einen Spiegel vorzuhalten.

Das ist besonders wertvoll in einer Zeit und Welt, in der Rassismus gern der Vergangenheit zugeschrieben wird. In einer Zeit, in der mit den Augen gerollt wird, wenn das Thema angesprochen wird. In einer Zeit, in der Menschen sich nicht trauen, bestimmte Dinge zu äußern oder zu erfragen, um bloß nichts Falsches zu sagen. In einer Zeit, in der Verständnis und Empathie als Werte hochgehalten werden, umfassende Erläuterungen und Diskussionen aber tabu sind.

„Racism exists but racists are all gone.”

Mit Americanah schafft Adichie es, diese sensiblen Inhalte leicht zugänglich zu machen, denn der Roman erinnert an eine hochwertig produzierte Serie: Americanah unterhält, regt zum Nachdenken an und macht Lust auf mehr, ohne dabei an Qualität einzubüßen.

Mehrwert durch Simplizität

Das Buch ist in drei Segmente unterteilt, die den Lebensabschnitten der Protagonist*innen entsprechen und teilweise aus der Perspektive von Ifemelu sowie teilweise aus der von Obinze geschrieben sind. Dialoge und Zeitsprünge fesseln genauso wie die eingeschobenen Blogartikel von Ifemelu, die sich durch Schreibstil und Inhalt von der Erzählung abgrenzen, aber doch immer im Verhältnis dazu stehen.

Die tatsächliche Handlung ist nicht überraschend oder weltbewegend, aber die Stärke des Romans ist es, dass er diverse Themen vereint und zugänglich macht. Gegen Ende lässt die Spannung ein wenig nach, was die Handlung allerdings realistisch macht. Das Leben ist eben doch keine Fernsehserie.

Americanah sensibilisiert die Leserschaft für verschiedene tabuisierte Themen auf eine äußerst unterhaltsame Weise. Daher ist die Lektüre für alle zu empfehlen, die sich für andere Lebensrealitäten interessieren und gesellschaftspolitische Hot Topics gern besser verstehen wollen. 


Das englische Original erschien am 14. Mai 2013 bei Alfred A. Knopf. Auf Deutsch wurde der Roman am 25. Mai 2015 vom Fischer Verlag herausgegeben.

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