In einer denkwürdigen Sitzung hat der Akademische Senat am vergangenen Mittwoch das Verhalten von FU-Kanzlerin Andrea Bör missbilligt. Rücktrittsforderungen an die Kanzlerin blieben zwar erneut aus, Vertreter*innen aller Statusgruppen machten jedoch deutlich, dass sie eine vertrauensvolle Zusammenarbeit derzeit für unmöglich halten. Valentin Petri berichtet.

Der Akademische Senat (AS) der Freien Universität hat den Alleingang von FU-Kanzlerin Andrea Bör, die im Zuge der FU-Präsidentschaftswahlen eigenmächtig eine externe Personalagentur beauftragt hatte, missbilligt. Eine knappe Mehrheit der AS-Mitglieder entzog der Kanzlerin zudem per Protokollnotiz das Vertrauen. In der Sitzung wurde deutlich, dass das Vertrauen in der Hochschulpolitik zutiefst erschüttert ist.
Wie berichtet, wurde im Oktober öffentlich, dass die FU-Kanzlerin wohl an allen Entscheidungsgremien vorbei eine Personalagentur mit der Suche nach Kandidat*innen beauftragt hatte, die in den anstehenden Wahlen gegen den amtierenden Unipräsidenten Günter Ziegler antreten könnten. Hintergrund ist ein Machtkampf zwischen Ziegler und Bör, deren Verhältnis als zerrüttet gilt. Der Alleingang sorgte für massive Kritik an der Kanzlerin und schlug hohe Wellen bis in die Spitze der Landespolitik. Der AS setzte nach Bekanntwerden der Vorgänge eine Arbeitsgruppe ein, die die Vorkommnisse aufarbeiten und Akteneinsicht nehmen sollte. Deren Bericht wurde im AS diesen Mittwoch vorgestellt.
„Die Universität hat ein problematisches Verhältnis mit der Öffentlichkeit.“
Bereits der Beginn der AS-Sitzung verlief ungewöhnlich: Über die Genehmigung der Tagesordnung – meist nur eine Formalie – brach zwischen den Mitgliedern eine Diskussion darüber aus, welche Teile des betreffenden Tagesordnungspunkts öffentlich und welche nicht-öffentlich verhandelt werden sollten. Prof. Reinhard Bernbeck, Sprecher der Professor*innenliste Dienstagskreis, beantragte, den Bericht und die Beschlussvorlage der Arbeitsgruppe öffentlich verlesen zu lassen und erst die anschließende Diskussion unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu führen.
Dabei stellte er fest: „Die Universität hat ein problematisches Verhältnis mit der Öffentlichkeit“. Es sei unverständlich, warum ein Prozess, der für die gesamte Universität entscheidend ist, hinter verschlossenen Türen verhandelt werden solle. Aus den Reihen der Vereinten Mitte, der auch Unipräsident Ziegler angehört, wurde wiederum auf die guten Erfahrungen verwiesen, die man mit nicht-öffentlichen Verfahren gemacht habe. Der Antrag Bernbecks wurde mit überraschend eindeutiger Mehrheit angenommen. Einzig die Mitglieder der Vereinten Mitte stimmten zum überwiegenden Teil gegen den Antrag.
Beteiligungsrechte des AS wissentlich missachtet
Aus dem Bericht, der von Prof. Maria Kristina Parr vorgetragen wurde, sticht besonders ein pikantes Detail hervor: Die Kanzlerin hatte die Einschaltung einer Personalagentur für die Suche nach weiteren Präsidentschaftskandidat*innen dem Präsidium wohl schon im August vorgeschlagen. Die beiden Vizepräsidentinnen Verena Blechinger-Talcott und Marianne Breig hatten damals erklärt, dass sie bei einer Änderung des Wahlverfahrens, die ein solches Vorgehen bedeutet hätte, die Einbeziehung des Kuratoriums und des AS für erforderlich hielten. Den Ausführungen von Prof. Parr zufolge war eine Beteiligung des AS in dem Angebot der Personalagentur nicht vorgesehen. Im Gegenteil verweise die Vergabedokumentation explizit auf die „Erfordernis von Geheimhaltung hin”.
„Eine friedvolle Zusammenarbeit erscheint derzeit schwierig bis unmöglich.“
Im Ergebnis kommt die Arbeitsgruppe zu dem Schluss, “dass das Vertrauen auf eine respektvolle Zusammenarbeit der Gremien in der akademischen Selbstverwaltung […] durch das Verhalten einzelner Hochschulmitglieder nachhaltig erschüttert ist.“ Eine friedvolle Zusammenarbeit, schloss Parr, erscheine derzeit „schwierig bis unmöglich.“
In der anschließenden 90-minütigen Beratung unter Ausschluss der Öffentlichkeit, einigten sich die AS-Mitglieder auf folgende Beschlussformulierung.
„Auf der Basis der Akteneinsicht stellt der Akademische Senat fest, dass Teile des Vertragsinhalts mit dem Personaldienstleister Beteiligungsrechte des Akademischen Senats im Wahlverfahren zur Wahl des Präsidenten/der Präsidentin der Freien Universität missachten. Der Akademische Senat missbilligt das Vorgehen bei der Beauftragung eines externen Personaldienstleisters bei der für 2022 geplanten Wahl des Präsidenten/der Präsidentin der Freien Universität.“
Rücktrittsforderungen an die Kanzlerin aus den Reihen des AS wurden in der Diskussion dem Vernehmen nach nicht geäußert. Die Beschlussformulierung wurden nahezu einstimmig angenommen.
Mehrheit der AS-Mitglieder entzieht Bör das Vertrauen
Unmittelbar nach Annahme der zwei Beschlüsse, gaben die Statusgruppensprecher*innen der Wissenschaftlichen Mitarbeitenden, Sonstigen Mitarbeitenden, der Studierenden sowie die Professor*innenliste Dienstagskreis überraschend zu Protokoll, dass eine weitere vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Kanzlerin nicht gesehen werde. Die Studierenden sprachen der Kanzlerin zudem das Misstrauen aus. Die besagten Statusgruppen bzw. Listen stellen zusammen 15 Mitglieder und somit eine knappe Mehrheit der 25 AS-Mitglieder. In den Reihen der Vereinten Mitte sorgten die Protokollerklärungen für Unmut. Denn diese hätten, wie Prof. Andreas Löffler wiederum zu Protokoll gab, nicht den Inhalt der nicht-öffentlichen Diskussion wiedergegeben.
Das Misstrauensvotum mehrerer AS-Mitglieder und auch die Missbilligung ihres Vorgehens durch den AS haben für Bör keine konkreten Folgen. Allerdings wird sich aller Voraussicht nach auch das Kuratorium der FU mit der Sache befassen und könnte dabei womöglich zu einem anderen Schluss kommen.
Mehrere Tausend Euro an die Agentur geflossen
Wie der Tagesspiegel zuletzt berichtete, wurden Teile des Honorars, insgesamt wohl mehrere Tausend Euro, aufgrund der in der kurzen Vertragslaufzeit erbrachten Dienstleistungen an die Personalagentur gezahlt. Fraglich ist, ob dieser Umstand womöglich rechtliche Konsequenzen für die Kanzlerin nach sich ziehen könnte. Nach Informationen des Tagesspiegels ging bereits im Oktober bei der zuständigen Senatskanzlei für Wissenschaft eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Bör ein. Auf Anfrage von FURIOS teilte das FU-Präsidium mit: „Der Präsident hatte für zwei Angelegenheiten die zuständige Senatsverwaltung gebeten, rechtliche Überprüfungen vorzunehmen.” Unter anderem sei es dabei auch um den Vorgang „Beauftragung einer Personalagentur” gegangen.
Die Entwicklungen im Überblick
17.08.2021: FU-Kanzlerin Andrea Bör schlägt im Präsidium die Einschaltung einer Personalagentur vor. Präsidiumsmitglieder erklären daraufhin, dass sie für eine solche Verfahrensänderung, die Einbeziehung von Kuratorium und AS für erforderlich halten.
22.09.2021: Das Angebot eines externen Personalberaters wird unter Verweis auf eine mündliche Besprechung mit der Kanzlerin abgegeben und durch Bör bzw. die Vergabestelle der FU zwei Tage später angenommen.
12.10.2021: Auflösung des Vertrags durch den Personaldienstleister. Mehrere Tausend Euro des vereinbarten Honorars wurden bereits bezahlt.
19.10.2021: Der Tagesspiegel berichtet unter Berufung auf ein Schreiben an das Kuratorium erstmals über die Vorkommnisse. Die FU erklärt: „Innerhalb der Universitätsleitung wurde über die Beauftragung nicht informiert.“
20.10.2021: In einer außerordentlichen Sitzung berät der AS über den Vorfall und setzt eine Arbeitsgruppe ein, die Akteneinsicht nehmen soll.
08.12.2021: Der AS beschließt auf Basis des Berichts der Arbeitsgruppe, das Vorgehen der Kanzlerin zu missbilligen. Eine Mehrheit der AS-Mitglieder entzieht darüber hinaus Bör das Vertrauen.