Berlin – Stadt der Wissenschaftlerinnen?

Das Berlin Institute of Health stellt im Roten Rathaus 22 Wissenschaftlerinnen aus, die in den vergangenen zwei Jahrhunderten die Wissenschaft in Berlin mitgestaltet haben – oftmals im Schatten ihrer männlichen Mitstreiter. Laura von Welczeck hat sich auf Spurensuche begeben.

Ausgestellte Wikipedia-Artikel im Foyer des Roten Rathauses. Foto: Laura von Welczeck.

Lise Meitner begegne ich oft. Meistens in Eile und mit den Gedanken schon bei meiner nächsten Vorlesung, während ich am Hahn-Meitner-Bau für Chemie und Biochemie in der Thielallee vorbeilaufe. Wirklich zum Nachdenken hat mich der Gebäudename bisher noch nicht gebracht. Das hat sich mit der Ausstellung Berlin – Hauptstadt der Wissenschaftlerinnen geändert. Seit Ende Oktober sind im Foyer des Roten Rathauses Plakatwände über Wissenschaftlerinnen ausgestellt, die in Berlin wirken oder gewirkt haben. 

Eine dieser Frauen ist Lise Meitner, die gemeinsam mit Otto Hahn entscheidend an der Entdeckung der Kernspaltung beteiligt war. Da Frauen das Studieren in Preußen bis 1909 verboten war, musste Lise Meitner durch die Hintertür in die Gebäude schleichen, bevor sie dann inoffzielle Assistentin von Max Planck und später Mitglied im Kaiser-Wilhelm-Institut in Berlin-Dahlem, heutiger Hahn-Meitner-Bau, wurde. Nach dem ersten Weltkrieg war Meitner die erste Professorin für Physik an der damaligen Berliner Universität, bevor sie vor den Nationalsozialist*innen fliehen musste. 1957 erhielt sie die Ehrendoktorwürde der FU, den Nobelpreis für den Beitrag zur Kernforschung erhielt Otto Hahn hingegen alleine.

Professorinnen an deutschen Universitäten? Es ist kompliziert!

Heutzutage hat sich die Situation für Frauen an deutschen Universitäten natürlich verbessert, immerhin laufen wir mittlerweile selbstbewusst durch den Haupteingang in unsere Vorlesungen und rund die Hälfte aller Hochschulabsolvent*innen definiert sich als weiblich. Trotzdem war laut einer Untersuchung der WBS-Gruppe 2018 nur knapp jede vierte Professur in Deutschland von einer Frau besetzt (veranschaulicht in der ZEIT). Immerhin: Die FU ist hier Spitzenreiterin mit einem Professorinnen-Anteil von 37,8 Prozent. 

Viele Frauen gehen also auf dem Weg zwischen Uni-Abschluss und Professur verloren. Oft habe das leider immer noch viel mit der (Un-)Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu tun, schreibt die ZEIT an gleicher Stelle. Außerdem würden die meist männlichen Professoren häufig ebenfalls männlichen Nachwuchs rekrutieren. Durch die Corona-Pandemie werde dieses Ungleichgewicht nochmals verstärkt, denn Frauen würden durch die erhöhten Fürsorgeaufgaben stärker belastet als Männer, mahnt Jutta Allmendinger, Professorin für Soziologie an der Humboldt-Universität und Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin. Im einleitenden Text zur Ausstellung betont sie den Mehrwert, den Frauen in der Wissenschaft durch ihre neuen Ansätze und Methoden einbringen. 

Das wird auch in der darauffolgenden Betrachtung der einzelnen Plakatwände deutlich. Von der Informatik über die Migrations- und Geschlechterforschung bis hin zur klassischen Archäologie – in allen Bereichen wirken Berliner Wissenschaftlerinnen maßgeblich mit. So war Cécile Vogt 1893 eine der ersten weiblichen Medizinstudentinnen in Paris und wurde für ihre langjährige Arbeit in der Hirnforschung 13-mal für den Nobelpreis nominiert – bekommen hat sie ihn jedoch nie.

Bénedicte Savoy hingegen wirkt vor allem in der heutigen Zeit. Als Professorin für Kunstgeschichte an der TU beleuchtet sie den kolonialen Kunstraub und setzt sich für die Restitution afrikanischer Kulturgüter ein, wofür sie vom TIME Magazine 2021 zu den 100 einflussreichsten Persönlichkeiten der Welt gezählt wird. 

Wikipedia – Männer schreiben sich die Welt, wie sie ihnen gefällt

Initiiert wurde die Ausstellung vom Berlin Institute of Health der Charité (BIH), das, passend zum Wissenschaftsjahr 2021 in Berlin, die Sichtbarkeit von Frauen in der Wissenschaft erhöhen möchte. Dazu wurden Wikipedia-Artikel zu Wissenschaftlerinnen recherchiert, verfasst und veröffentlicht. Denn die größte und meistgenutzte Enzyklopädie der Welt ist bisher vor allem eines: männlich. Nur 17 Prozent aller biografischen Artikel sind über Frauen. Diese seien außerdem häufiger negativer konnotiert und behandelten vergleichsweise oft Beziehungs- und Familienthemen, berichtet die Süddeutsche Zeitung. Das sei kein Zufall, lautet die Schlussfolgerung, denn neun von zehn Wikipedia-Autor*innen sind männlich. Zudem werden Artikel über Frauen häufiger abgelehnt oder gelöscht.

Mit dem Projekt greift das BIH sogenannte Edit-a-thons auf, Veranstaltungen bei denen Autor*innen von Online-Plattformen wie Wikipedia gemeinsam Artikel schreiben oder weiterentwickeln. In drei solcher mehrtägigen Schreibwerkstätten haben nun 84 Teilnehmer*innen gemeinsam 50 Wikipedia-Artikel geschrieben. Herausgekommen sind die genannten 22 Beiträge zu bemerkenswerten Berliner Wissenschaftlerinnen. 

Obwohl eine*n im Roten Rathaus keine pompöse Ausstellung erwartet und die Plakatwände im oberen Teil des Foyers ziemlich unkommentiert herumstehen, lohnt sich ein Besuch auf jeden Fall. Gerade für uns Studierende, als möglicherweise nachwachsende Wissenschaftler*innen, zeigt die Ausstellung die Geschlechterungleichheit im Wissenschaftsbetrieb auf. 

Die vielen Schritte in die richtige Richtung, die gesellschaftlich seit dem Studienverbot von Frauen zur Zeit von Lise Meitner erfolgt sind, stimmen optimistisch. Trotzdem sollten die aktuellen Hürden und Hindernisse nicht übersehen werden. Sicher werde ich auf meinem nächsten Weg zur Uni am Hahn-Meitner-Bau gedanklich kurz innehalten und zurück an die Ausstellung denken.


Die Ausstellung „Berlin – Stadt der Wissenschaftlerinnen“ ist noch bis zum 20.12.21 werktäglich von 9-18 Uhr im Roten Rathaus öffentlich und kostenlos zugänglich. Danach wird sie als Wanderausstellung an verschiedenen Orten in Berlin zu sehen sein. Außerdem sind die einzelnen Porträts jederzeit im Netz auf der Seite des BIH aufrufbar.

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