Augen auf!

Mit Don‘t look up erscheint auf Netflix eine Allegorie der Klimakrise und deren Leugnung, aber auch des Umgangs mit der Corona-Pandemie. Der Film zeigt auf, welche fatalen Folgen systematisches Wegsehen haben kann. Ein Kommentar von Luca Klander über Wissenschaftsleugnung und Ignoranz.

Akzeptanz oder Ignoranz? Illustration: Luca Klander.

Filme, die auf wahren Begebenheiten basieren, kennt man. Doch wie ist das eigentlich bei Ereignissen, die unweigerlich in der Zukunft bevorstehen? In dieser Hinsicht ist Don’t look up ein Novum, denn der menschengemachte Klimawandel und seine existenziellen Folgen sind ein solches Ereignis. „Basierend auf zukünftigen Begebenheiten“ wäre also das passende Prädikat. Allerdings wird die Klimakrise im Film mit keinem Wort erwähnt. An ihre Stelle tritt ein auf die Erde zusteuernder Komet, vor dem die Wissenschaft mit vereinter Stimme warnt. Was folgt ist eine Reise in das Reich der menschlichen Dummheit und Ignoranz.

Wissenschaftler*innen hadern mit ihrer neuen Beratungs-Existenz und dem öffentlichen Dasein, während Politiker*innen die Erkenntnisse ignorieren oder instrumentalisieren. Wirtschaftliche Eliten versuchen mit Desinformationskampagnen, die drohende Katastrophe zu monetarisieren. Währenddessen muss sich die Bevölkerung im Angesicht des Kometen zwischen Hoch- und Hinunterschauen, beziehungsweise Akzeptanz und Ignoranz entscheiden. In diesem Ringen um Handlungshoheit gleicht das kapitalistische System einer alles umhüllenden, katalysierenden Dunstglocke.

Und was hilft gegen diesen Wahnsinn? Nicht hinsehen oder die Augen gleich ganz schließen – das propagiert zumindest die US-Präsidentin als unverkennbare, weibliche Version Donald Trumps in der namensgebenden don‘t look up–Kampagne. Denn ein ‚Planetenkiller‘, den man nicht sieht, kann einem schließlich auch nicht wehtun.

Wissenschaftskommunikation und ihre Fallstricke

In der Wissenschaft wird kontinuierlich gestritten – wenn sie sich einig ist, sollte man aufmerksam zuhören, was sie zu sagen hat. Durch das kritische Hinterfragen aller Ideen und Erklärungsansätze kommt es zwangsläufig zur Selektion, zur Entstehung eines wissenschaftlichen Konsenses. Zum Beispiel besteht Einigkeit darüber, dass die Erde eine Kugel ist und keine Scheibe. Auf diesem Konsens basieren nicht nur die öffentliche Debatte, sondern auch politische und juristische Entscheidungen.

Die von Leonardo DiCaprio verkörperte Hauptfigur des Filmes stellt einen Wissenschaftler dar, der mit seiner Beratungs-Existenz ringt. Sein Auftritt in einer Talkshow und der holprige Erklärungsversuch der kosmischen Bedrohung erinnern an die von „also” gespickten Sätze Karl Lauterbachs. Dem liegt auch ein Kommunikationsproblem zugrunde: Erkläre die Laufbahn eines Kometen ohne Mathe, die T-Zell-Antwort ohne medizinische Fachbegriffe. 

Trotz der sprachlichen Hürden wird beiden im Verlauf der Krise eine entscheidende Rolle zugeteilt. DiCaprio ist Kosmologe und wird Chefberater und TV-Gesicht der Wissenschaft. Lauterbach, Abgeordneter mit virologischer Expertise, wird Talkshow-König und Gesundheitsminister.

Währenddessen kommt Jennifer Lawrence die Rolle der bedachten, später als hysterisch, psychisch labil angesehenen Stimme der Wissenschaft zu. In der Klarheit ihrer Worte zum bevorstehenden Fiasko hebt sie sich von ihrem Kollegen klar ab – und wird dafür von der Öffentlichkeit verurteilt und geschmäht. Hier drängt sich der Vergleich mit Greta Thunberg auf, das Gesicht von Fridays for future. Mit ihren alarmierenden Reden und prägnanten Sätzen warnt sie nicht nur eindringlich vor der Klimakatastrophe, sondern muss dafür auch viel Spott ertragen. Die Gesichter der beiden Frauen finden sich im Film, wie in der Realität, als Aufkleber auf Skateboards und Dieselhecks und werden zudem viel geteilte Memes in den Sozialen Medien.

Lukrative Lügen

Die Informationen der Wissenschaftler*innen treffen oft auf Desinformationskampagnen durch Industrieunternehmen und Lobbyverbände. Im Film behauptet ein superreicher Mobilfunkmogul, den Kometen durch seine Technologien nicht nur unschädlich zu machen, sondern auch die darin enthaltenen, wertvollen Rohstoffe konservieren zu können. 

Auch in der Realität leistet die Wirtschaft einen Beitrag zu Ignoranz oder Monetarisierung wissenschaftlicher Tatsachen: Die Tabakindustrie verfolgte in den 1950er Jahren mit gezielten, pseudowissenschaftlichen Kampagnen eine Agenda der Bestreitung des Zusammenhangs zwischen Rauchen und Lungenkrebs. Auch lukrative Fußballspiele wollten in Pandemiezeiten von tausenden Zuschauer*innen gesehen werden – und wurden dafür zur Not, wie beim EM-Finale in London, als Studie eingestuft. Der Weltklimagipfel 2018 in Kattowitz wurde teils von Kohleunternehmen finanziert. Dabei führt die Verteidigung von Dieselabgasen und fossilen Energieträgern zur Verzögerung von klimapolitischen Zielen.

Hinsehen oder Wegsehen? 

Wissenschaftsleugnung ist oft eine Folge der Diskrepanz zwischen Wissen und Handeln. Wir wissen, welche Konsum- und Lebensweisen Krankheiten hervorrufen. Wir wissen, dass es Corona gibt und welche Vorsichtsmaßnahmen einer Infektion vorbeugen. Gleiches gilt für die Klimakrise – aber passen wir unser Verhalten auch an dieses Wissen an?

Auf individueller Ebene kann dadurch ein Eingangstor für Pseudowissenschaften, systematische Lügen und Verschwörungstheorien entstehen, die das eigene, bedrohte Weltbild aufrecht erhalten und die fehlende Kompetenz zu forschen oder Forschung zu rezipieren, verdecken. Soziale Medien wie Twitter dienen dabei dem Aufbau einer Art Echokammer, durch die Individuen eine Vielzahl von Menschen erreichen können. Meinungen und (fragwürdige) Fakten werden so ungeprüft verbreitet.

PLURV
Das Akronym PLURV veranschaulicht die Methoden der Desinformation und Wissenschaftsleugnung: Pseudoexpert*innen (z.B. ehemalige Forschende aus fachfremden Bereichen), Logikfehler („Corona ist wie eine Grippe”), Unerfüllbare Erwartungen (Null-Fehler-Toleranz bei Prognosen rennomierter Wissenschaftler*innen zum Pandemieverlauf), Rosinenpickerei (Konzentration auf anormale Teilergebnisse von Studien), Verschwörungstheorien.

Auch auf der politischen Ebene wurde das Wegsehen in der Praxis etabliert – mit fatalen Folgen: Die AIDS-Leugnung der Regierung Südafrikas Anfang der 2000er Jahre führte zu hunderttausenden vermeidbaren Todesfällen. Mit Donald Trump wurde zudem ein Klimawandelleugner US-Präsident. Die EU blendet mit der geplanten Einstufung von Atomkraft und Erdgas als nachhaltige Energiequellen die erheblichen Umweltrisiken beider Energieträger aus. Diese Form von Greenwashing, Atomkraft sei CO²-arm, ist ein Beispiel für die Instrumentalisierung wissenschaftlicher Fakten, wenn diese der eigenen Profilierung dienen.

Die Klimakatastrophe und Coronaleugnung filmisch für ein Millionenpublikum aufzubereiten ist selten so gelungen wie mit Don’t look up. In einer satirischen Hülle kommt die Dystopie daher, doch die überspitzten Darstellungen entpuppen sich bald als bloße Abbilder der Realität, in der wir leben. Die Laufbahn des Kometen ist ebenso vorgezeichnet wie eine kollabierte Erde, die uns unausweichlich mit der Klimakrise bevorsteht. Eine realistische Dystopie also? Vielleicht. Ob der Film auf zukünftigen Begebenheiten basiert, hängt davon ab, ob wir uns entscheiden, hinzuhören, hinzusehen und unsere Laufbahn neu auszurichten. 

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