Bühne frei für die Berliner Stadtgesellschaft

Radikaldemokratisch organisiertes Theater, kollektive Teilhabe und machtfreie Bühnen: Klingt utopisch? Ist es aber nicht, findet das Kollektiv Staub zu Glitzer in Auseinandersetzung mit der umkämpften Berliner Volksbühne. Ella Rendtorff war bei einer offenen Lernwerkstatt mit dem linkspolitischen Theaterkollektiv dabei.

Die Volksbühne Berlin während der Besetzung 2017. Foto: Wikimedia Commons/Leonhard Lenz

„Kunst dem Volke“ – so lautet die Devise der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Einst mithilfe von sogenannten „Arbeitergroschen“ als öffentliches Stadttheater gegründet, wird nun bezweifelt, ob die Bühne in Berlin-Mitte ihren sozialdemokratischen Werten noch gerecht wird. Im Zentrum der Gentrifizierung stehend, hätten neoliberale Strukturen und elitäre Machtgefüge auch vor den Toren der Volksbühne keinen Halt gemacht, so der Vorwurf seitens der linken Kulturszene rund um das antikapitalistische Kollektiv Staub zu Glitzer. Als es zu einem stark in der Kritik stehenden Intendantenwechsel kommen sollte, spitzte sich der Konflikt um die Zukunft des Theaters im Jahre 2017 zu. Staub zu Glitzer ergriff diese Phase des Umbruchs als Chance für grundlegende Veränderungen an der Struktur der Berliner Volksbühne. Die Vision: ein neues, gemeinschaftlich organisiertes und demokratisch zugängliches Theater für die Stadtgesellschaft. 

Theater für alle! 

Fünf Jahre später sitzen drei Mitwirkende des Kollektivs zusammen mit Studierenden in einem Seminarraum am Campus der Freien Universität Berlin. Im Rahmen einer Veranstaltung des Grundlagenstudiums 1@FU zum Thema „Theaterpublikum im Wandel“ rekapitulieren Kasia Wojcik, Jan Stürner und Sarah Waterfeld die Ereignisse rund um die Volksbühne im Jahre 2017. In den folgenden zwei Stunden soll es um das Verhältnis von Theaterschaffenden und Publikum, um ausbeuterische Arbeitsbedingungen im Bühnenbetrieb und den Kampf um ein hierarchiefreies, offenes Theater gehen. Auch die heutige Lernwerkstatt soll einen offenen Raum für Diskussion bieten: Im Anschluss an den Vortrag sind alle Teilnehmenden dazu eingeladen, miteinander in Austausch zu treten. 

Unter dem Namen B6112 startete Staub zu Glitzer im September 2017 einen als „performative Intervention“ deklarierten  Besetzungsprozess. Über sechs Tage hinweg wurde die Volksbühne zu einem Ort der kollektiven Begegnung und des künstlerischen Austauschs. Darsteller*innen traten in Dialog mit dem Publikum, Wohnungslose trafen auf Kulturschaffende. Die Zukunft des Theaters wurde in demokratisch organisierten Arbeitsgruppen diskutiert und geplant. Auf der Agenda standen Vorhaben wie die Abschaffung der Intendanz, ein offener Zugang zu Vorstellungen und die generelle Verbesserung der Arbeitsbedingungen in Kulturinstitutionen. Das Kollektiv will progressives Theater für alle machen und die alten Eliten der Volksbühne aus den verrosteten Angeln heben. Starre Hierarchien und heteronormative Inszenierungen sollen durch queer-feministische, antirassistische und antikapitalistische Konzepte ersetzt werden.  

„DOCH KUNST“: die Volksbühne als große soziale Plastik 

An die 20.000 Menschen hielten sich während des Veranstaltungszeitraums auf dem Gelände der Volksbühne auf. Niemand habe mit einem solchen Andrang gerechnet, berichtet das Kollektiv, aber die soziale Performance schlug in den Diskurs um die Volksbühne ein wie eine Bombe. In diesem Sinne wird die Aktion B6112 ihrer Benennung gerecht, die in Anspielung auf den gleichnamigen Kernwaffentyp Aufmerksamkeit für die anhaltende Atomkraftdebatte generieren sollte. Über dem Eingang der Volksbühne hing während der Übernahme durch Staub zu Glitzer ein großes Transparent mit der Aufschrift „DOCH KUNST“. Alles, was in diesen bewegten Tagen hinter den Toren der Volksbühne passierte, sollte Teil einer umfassenden sozialen Plastik sein und alle, die das Theater betraten, als Partizipierende von B6112 begriffen werden, beschreibt das Kollektiv. 

An Tag sechs räumte die Polizei die wandelnde Bühne und die von Staub zu Glitzer als „transmediale Inszenierung“ bezeichnete Besetzung des Theaters wurde für beendet erklärt. Vielleicht kein Applaus im klassischen Sinne, doch der Nachhall der Performance ist dennoch groß. Die Geschehnisse an der Volksbühne erhielten starke Resonanz in Medien sowie Öffentlichkeit und regen auch weiterhin dazu an, produktiv und kritisch über eine gerechtere Zukunft des Theaters nachzudenken, so das Resümee der Veranstaltung an der FU.  Als die offene Lernwerkstatt  endet, ist der Tatendrang des Kollektivs spürbar: Der Kampf um einen hierarchiefreien Kulturraum für die Stadtgesellschaft sei nicht beendet und es gebe weiterhin Hoffnung, dass der Staub in der Volksbühne bald doch noch zu Glitzer wird.


Auch im kommenden Sommersemester bietet die Lernwerkstätten Geist & Kultur wieder Veranstaltungen an. Hier gibt es Raum für Begegnungen und Austausch über aktuelle Themen und Diskurse für Studierende.

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