Das Ende der Privatsphäre?

Homeoffice, Homeschooling und Onlinelehre bestimmen seit Beginn der Corona-Pandemie das Leben vieler Menschen. Als Schutzmaßnahme ist dies notwendig, aber dieser eingeschränkte Aktionsradius hat negative Konsequenzen. Die Wohnung als Raum des Privaten droht verloren zu gehen. Ein Kommentar von Valentin Petri.

Über Webex, Zoom und Skype halten immer mehr Lebensbereiche Einzug in den vermeintlich privaten Wohnraum. Illustration: Malin Krahn

Die Wohnung ist ein Rückzugsort. Oder zumindest sollte sie das sein. Ein Ort, der frei von äußeren Zwängen ist, die durch Arbeit, Studium oder Ähnliches bestimmt werden. Eine private Sphäre. Natürlich ist die Realität für eine große Mehrheit der Menschen weit weg von diesem Ideal. Nicht nur in Großstädten wie Berlin leben immer mehr Menschen in engen, teils prekären Wohnverhältnissen. Die Arbeitswelt ermöglicht und verlangt mehr Flexibilität – manche mögen es Freiheit nennen. Schon vor Corona ging der Trend zum Homeoffice.

Wie so vieles hat die Pandemie auch diese Entwicklung verschärft. Durch Kontaktbeschränkungen, Onlinelehre, Homeoffice oder als freiwillige Vorsichtsmaßnahme haben wir unseren Aktionsradius verkleinert, im Extremfall nur auf unsere Wohnung beschränkt. Es steht außer Frage, dass diese Beschränkungen angesichts hoher Infektionszahlen und einer drohenden Überlastung des Gesundheitssystems notwendig, ja, die einzig richtige Entscheidung sind. 

Die Wohnung wurde Arbeitsplatz, Vorlesungssaal, Bibliothek, Klassenzimmer und vieles mehr zugleich. Doch bei allen Möglichkeiten, die diese Entwicklung mit sich bringen mag, hat sie doch tiefgreifende Konsequenzen: Die Grenzen zwischen den verschiedenen Sphären, Beruf beziehungsweise Uni und Privatem, werden verwischt.

Trotz fester Arbeits- oder Seminarzeiten entsteht der Druck der ständigen Erreichbarkeit. Die Vorlesung findet über Webex oder Zoom wortwörtlich in unserem Wohnzimmer statt. Es ist wenig verwunderlich, dass der Anteil an Kommiliton*innen, die ihre Kamera anmachen, immer geringer wird. Trotz Weichzeichner oder Karibikfoto im Hintergrund bleibt doch das Gefühl, sich ein Stück weit zu entblößen. Auch wenn wir es nicht so wahrnehmen: Jedes Videomeeting, an dem wir von unserem Wohn- oder Schlafzimmer aus teilnehmen, bleibt ein Eingriff in unsere Privatsphäre.

Darüber hinaus hängen die Teilnahmemöglichkeiten an der Uni nun noch stärker als zuvor von den Gegebenheiten zu Hause ab, auf die man als Mieter*in so gut wie keinen Einfluss hat. So kann schlechtes Internet die Teilnahme an Seminaren erschweren und damit ungeachtet aller Milde, die Dozierende oder die Uni walten lassen, den Lernerfolg. Aber auch vermeintlich banale Faktoren wie Lichtverhältnisse, Wohnungsgröße und Lautstärke wirken sich auf die Konzentration aus. Ganz zu schweigen von der Belastung, insbesondere für Alleinerziehende, wenn nebenbei auch noch die Kinder betreut werden müssen.Jetzt, da sich immer deutlicher abzeichnet, dass es keine Rückkehr zu einer Normalität, wie wir sie vor Corona kannten, mehr geben wird, stellt sich in vielen Bereichen die Frage, wie wir ›mit dem Virus leben‹ können. Es wäre ein falscher Schluss, einfach so viele Aktivitäten wie möglich in den privaten Raum zu verlegen. Vielmehr ist es notwendig, die Bedingungen am Arbeitsort, in der Universität oder der Schule langfristig so zu verändern, dass ein sicherer Aufenthalt möglich ist, und damit die Wohnung als das zu bewahren, was sie sein sollte: Privatsphäre.

Autor*in

Valentin Petri

Verbringt seine Zeit gerne in stickigen und langwierigen Sitzungen und schreibt über Hochschulpolitik.

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