„Man kann nicht übersetzen, ohne zu verstehen”

Karin Betz war in diesem Semester Gastprofessorin für Poetik der Übersetzung an der FU. Sie übersetzte unter anderem Literatur der Nobelpreisträger für Frieden (Liu Xiaobo) und Literatur (Mo Yan) aus dem Chinesischen. Im Gespräch mit Tim Leuxe erzählt sie über ihren Beruf und ihr Leben.

Die Übersetzerin Karin Betz war in diesem Semester Gastprofessorin an der FU. Foto: Alexander Neroslavski

Mit dem Ende des Semesters endet auch Karin Betz’ Schlegel-Gastprofessur für Poetik der Übersetzung des Peter Szondi-Instituts. Über diese habe sie sich gefreut, da sie mehr Aufmerksamkeit für das Übersetzen biete, obwohl der Beruf sonst so wenig davon erhalte. Sie nahm sich die Zeit für ein Gespräch mit FURIOS.

FURIOS: Bis 2008 haben Sie im Sektor des Kulturaustausches gearbeitet. Seitdem sind Sie Übersetzerin. Wann war für Sie klar, dass diese Tätigkeit zu Ihrem Hauptberuf würde?

Karin Betz: Das ist bis heute nicht klar. Ich bin immer noch am Zweifeln, was nicht am Beruf liegt, sondern an ökonomischen Gründen. Es ist ein Ärgernis, dass das Übersetzen von Literatur notorisch schlecht bezahlt wird. Es war früher zwar oft so, dass Uniprofessor*innen nebenbei aus Muße übersetzt haben. Heute hat sich das Übersetzen aber zu einem eigenen Beruf entwickelt, mit einem Ethos, einem Verband und tollen Leuten. Sie sind auch das, was mich am Beruf gehalten hat. Man trifft sich einmal pro Jahr auf einem Übersetzer*innen-Treffen oder bei Workshops. Wir sind Profis, die Vergütung unserer Arbeit aber entspricht der von ungelernten Hilfsarbeiter*innen.

Die schlechte Bezahlung treibt Sie und Ihre Kolleg*innen dazu, neben dem Übersetzen anderen Tätigkeiten nachzugehen. Ist dies für Sie eine Last oder hat es auch Vorteile?

Ich unterrichte gern an der Uni. Schon vor einigen Jahren hatte ich zum Beispiel einen Lehrauftrag an der Uni Göttingen. Ich komme auch gern durch Lesungen, Vorträge oder als Workshopleiterin weg von meinem Schreibtisch. Die Gastprofessur ist eine große Chance, dem Übersetzen mehr Aufmerksamkeit zu geben. In der Kunst oder in der Musik gibt es das schon seit Langem, beim Übersetzen erst seit 15 Jahren. Ich fühle mich geehrt, eine dieser Professuren vertreten zu dürfen. Damit hätte ich nicht gerechnet, als ich mit dem Übersetzen angefangen habe. Ohne Stipendien wie das des Deutschen Übersetzerfonds könnten aber die meisten nicht davon leben. Das ist ein Problem.

Wie könnte sich der Blick auf Ihren Beruf konkret verändern?

Der Verband deutschsprachiger Übersetzer*innen (VdÜ) arbeitet daran und gibt Handreichungen für Best Practice. Zum Beispiel wird empfohlen, dass neben dem Namen der Autor*innen auch der Name der Übersetzer*innen auf dem Titel steht. Einige Verlage machen das konsequent, wie Matthes und Seitz in Berlin. Die Tendenz ist richtig, mir persönlich ist das allerdings nicht so wichtig, denn die Geschichte ist nicht von mir. Ich habe sie übersetzt und der deutsche Text ist dann auch tatsächlich urheberrechtlich mein Text, aber die Fantasie, der Stoff und der Stil – abgesehen vom Stil der Übersetzung – sind nicht meins. Die äußerliche Anerkennung ist jedoch wichtig, um hoffentlich irgendwann auch finanzielle Anerkennung zu bekommen.

In Ihrer Antrittsvorlesung haben Sie erwähnt, dass viele klassische Gedichte der Tang-Dynastie noch unübersetzt sind, Sie selbst aber dazu keine Zeit haben. Wie suchen Sie sich die Texte aus, die Sie ins Deutsche übersetzen wollen? Haben Sie Ihren eigenen Stil?

Nein, es sind Aufträge von Verlagen, die mir zugetragen werden. Ich kann es mir allein zeitlich nicht leisten, etwas zu übersetzen, wofür ich keinen Auftrag erhalten habe. Das machen auch die wenigsten der Übersetzer*innen. Andererseits übersetze ich auch nichts, was mir nicht gefällt. Es gibt nichts Schlimmeres, als einen schlechten Roman zu übersetzen! Tatsächlich würde ich gern tang- und songzeitliche Lyrik übersetzen und glaube, dass mir das liegt – aber das wäre ein Projekt, das viel Zeit erfordert. Man kann etwas vorschlagen, aber nach meiner Erfahrung wird wenig davon umgesetzt. Die Verlage sind skeptisch und haben eigene Agent*innen, die ihnen Werke zutragen.

Was haben Sie aus Ihrem Studium behalten?

Ich glaube Konfuzius-Zitate. Lacht. Das meine ich ernst. Einer meiner prägnantesten Lehrer, Professor Heiner Roetz, ist jemand, der sich sehr mit dem Konfuzianismus auseinandergesetzt hat. Die konfuzianische Lehre ist nicht einfach eine Morallehre, sondern eine Philosophie, die unseren Moralphilosophien nicht fremd ist. Die Beschäftigung damit, was Fremdheit eigentlich ist, hat mich übrigens sehr geprägt. Als Übersetzerin versuche ich, eine andere Kultur in meine zu bringen, und muss dabei ständig Entscheidungen treffen, um das Eigenartige des Ausgangstexts adäquat zu erhalten. Dazu muss ich es zunächst einmal erkennen. Über diese Themen der Fremdheit haben wir auch viel im Seminar gesprochen.

Viele Studierende lernen mindestens eine Sprache. Haben Sie Ratschläge, wie man das Lernen angehen kann?

Ich kann zu kognitiven Prozessen nicht viel sagen. Für mich ist das Lesen wichtig, um besser zu verstehen, was mit der Grammatik passiert. Man sollte nicht nur auf Vokabeln achten, sondern auch auf ganze Sätze, um sie schneller nachzuahmen. Je mehr Sprachen man spricht, desto mehr entwickelt man eine Art persönliche Linguistik und erkennt ähnliche Strukturen schnell wieder.

Wie kamen Sie dazu, gleich sieben Sprachen zu sprechen?

Es ist ja nicht so, dass ich alle Sprachen wirklich fließend spreche. Chinesisch zu lernen war schwierig und zeitaufwendig. Vor lauter Frust habe ich angefangen, nebenbei Spanisch zu lernen, zur Erholung sozusagen. Englisch mochte ich schon immer, ich war auch als Jugendliche in England. Wenn man in China studiert, ist es aber leider so, dass mit der international community Englisch gesprochen wird und nicht Chinesisch. Ich habe mir deswegen bewusst das Zimmer mit einer Japanerin geteilt, deren Englisch nicht so gut war, um mehr Chinesisch zu sprechen. Dabei habe ich festgestellt, wie faszinierend Japan ist, und habe zurück in Deutschland angefangen, Japanisch zu lernen. Durch eine frühere Anstellung hatte ich dann viel mit Italien zu tun, sodass ich einen Italienischkurs finanziert bekam. Französisch hatte ich auch schon in der Schule gelernt. Ich bin einfach in verschiedenen Kontexten viel herumgekommen.

Sie haben durch Ihren Lebenslauf tiefe Verbindungen zu China und der chinesischen Sprache. In den letzten Jahren wirkt der chinesische Staat in vielerlei Hinsicht autoritärer. Wie fühlen Sie sich persönlich angesichts dieser Entwicklung?

Es ist für mich eine absolute Tragödie. Einerseits weiß ich nicht, ob ich in Zukunft überhaupt noch nach China reisen kann, da ich mich öffentlich kritisch äußere und regimekritische Autor*innen übersetzt habe. Früher habe ich mich deshalb nie verunsichert gefühlt. Der Umgang mit Hongkong und Taiwan macht mir besonders Sorgen. Andererseits erscheint mir problematisch, dass hinsichtlich übersetzter Literatur aus China der vermeintliche Dissidentenstatus von Autor*innen gern für Marketingzwecke genutzt und Literatur aus China oft nicht vorrangig wegen der literarischen Qualität verlegt wird.

Welche Eigenschaften sollte ein Mensch haben, der hauptberuflich übersetzen möchte?

Empathiefähigkeit, Neugier, Liebe zur Literatur und Sprachtüftelei. Und ohne Disziplin und Geduld geht es auch nicht. Ich hätte mich allerdings früher nie als diszipliniert und geduldig bezeichnet, dazu haben mich die dicken chinesischen Romane erzogen! Es braucht zudem Lebenserfahrung: viel sehen, hören, erleben, lesen, tanzen, Fußball spielen. Der emotionale Zugang zu Sprache ist ein ganz wichtiger. Wer nie im Leben Schmerz und Verlust erfahren hat, findet in der Literatur auch schlecht Sprache dafür. Faktisches muss man recherchieren. Beim Übersetzen von Cixin Lius Science-Fiction-Romanen habe ich so viel recherchiert, dass ich mich kurz vorm Physikdiplom wähnte. Man kann nicht übersetzen, ohne zu verstehen. Das geht nicht.

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