„Es muss nicht langweilig sein, akademisch zu schreiben“

Johanna Engemann und Frederik Luszeit gehören zum Gründungsteam des kunsthistorischen Journals re:visions, das längst über die Grenzen der FU hinaus bekannt ist. Was es mit dem Namen re:visions auf sich hat, welche Kriterien sie für gute Journal-Beiträge haben und mehr erzählen die beiden im Interview mit FURIOS. Annika Böttcher berichtet.

Die letzte Ausgabe des kunsthistorischen Journals re:vision drehte sich um das Alltägliche. Copyright: Tang Han/ Julia Grüßing/ Studio Triple.

FURIOS: Wie wurde das Journal gegründet?

Johanna und Frederik: Wir sind die studentischen Hilfskräfte von Eric de Bruyn, der im Bereich Zeitgenössische Kunst am Kunsthistorischen Institut der FU arbeitet. Er kam im März 2020 auf uns zu und hat uns vorgeschlagen, das Journal im Rahmen eines Projektseminars zu initiieren. Wir haben deshalb in den Semesterferien mit der Vorbereitung angefangen und dann mit einer Gruppe von Studierenden über das Sommersemester 2020 hinweg die Spezifika ausgearbeitet. Es ist also ein Corona-Projekt. 

FURIOS: Wie kann man sich eure Arbeit vorstellen? 

Johanna: In unserem internationalen 13-köpfigen Team wechseln wir regelmäßig die Verantwortlichkeiten. Alle Mitglieder arbeiten ehrenamtlich für das Projekt. Die Texte im re:visions-Journal sind entweder deutsch- oder englischsprachig; Übersetzungen übersteigen leider unsere derzeitigen Kapazitäten. Beim letzten Mal haben wir mehr englische Beiträge aufgenommen, gerade weil es auch Texte sind, die nicht aus Deutschland kommen; das ist auch die allgemeine Tendenz. Einsprachige Ausgaben wollen wir aber auf jeden Fall vermeiden. 

FURIOS: Warum habt ihr euch für das Format eines Journals entschieden?

Johanna: Für uns ist das Journal eine Anknüpfung an Fachzeitschriften, die uns auch durch das Studium begleiten. Das ist ein Format, was wir persönlich schätzen. Wichtig sind für uns auch die Struktur und damit einhergehend die Professionalität, die ein Journal vorgibt. Gleichzeitig vereinen wir verschiedene Textformate wie Reviews, Essays oder auch experimentelle Schreibformen. 

Frederik: Am Anfang des Projekts haben wir uns gefragt: Wie sieht akademisches Schreiben eigentlich aus? Für viele Studierende wirkt es sicher oft abschreckend und gestelzt, obwohl das nicht der Fall sein muss. Wir versuchen darum, akademisches Schreiben anders zu zeigen. Die Beitragenden können das, was sie beschäftigt, in eine andere Textform bringen. 

Das Journal ist eine Möglichkeit, zu netzwerken, über die Uni hinaus, auch international. Wir bieten eine Plattform an und treten mit Leuten in Kontakt, die zu ähnlichen Themen arbeiten wie wir selbst.

FURIOS: Inwiefern ist ein Journal denn dialogfördernd? Liest nicht jeder Mensch für sich allein?

Johanna: Man liest allein, ja, aber man schreibt auch viel allein – manchmal zu allein. Dadurch, dass wir in einem gemeinsamen redaktionellen Prozess schreiben, treten wir in einen Dialog. Wir halten es für wichtig, darüber zu reden, wie und worüber wir schreiben, und wollen uns gegenseitig unterstützen. 

Der Produktionsprozess ist also kollektiv gestaltet: In jede unserer bisherigen Aktionen sind immer über zehn Leute eingebunden gewesen, und die Zusammenarbeit mit den Autor*innen ist ein Austauschprozess, der sowohl für uns als auch eben jene sehr spannend ist. Wir hoffen, dass es auch für Leser*innen interessant ist, zu sehen, was andere Unis und Fachbereiche machen. Außerdem versuchen wir, mit anderen Journal-Projekten in Kontakt zu treten, in Wien und Köln zum Beispiel. Der Dialog entsteht zusätzlich zwischen den Beiträgen in den Ausgaben, darauf achten wir bei der Auswahl. Wir wollen Vielfältigkeit produzieren. Für die Leser*innen entsteht so hoffentlich auch das Gefühl, mit uns in ein Gespräch zu kommen. Diese Idee vom Austausch ist also auch ein ideeller Wert. 

Frederik: Einen weiten Austausch ermöglichen wir auch dadurch, dass wir das Journal nach dem Open-Access-Prinzip anbieten; ein Trend im akademischen Betrieb, um einen kostenlosen Zugang für möglichst viele Menschen zu schaffen.

FURIOS: Welche Bedeutung hat der Name des Journals?

Frederik: Re:visions ist ein Wortspiel mit mehreren Bezügen. Zum einen auf das englische Wort „revisions“, also Umarbeitung oder Änderung, die wir in der Kunstgeschichte machen wollen, Dinge, die wir neu denken möchten. Zum anderen spielt es auf die E-Mail-Abkürzung RE: als Antwort an, was kurz für „regarding“ ist –  unsere Antwort auf Fragen des Visuellen betreffend. 

FURIOS: Wie hoch ist die Reichweite? Wie viele Einsendungen bekommt ihr pro Open Call? 

Johanna: Unsere Website wird monatlich mehrere Hundert Male aufgerufen. Besonders in den Monaten, in denen die Journale erschienen, waren die Besucher*innenzahlen hoch. Die Interessierten kommen überwiegend aus Deutschland, aber wir registrieren auch eine hohe Zahl an Aufrufen aus allen möglichen Ländern: Dänemark, Südafrika, China oder Schweden zum Beispiel. 

Frederik: Bisher hatten wir zwei Open Calls [Ausschreibung/Aufruf zu Einsendungen, oft zu einem bestimmten Thema, Anm. der Red.]. Auf den letzten Open Call haben wir etwa 50 Beiträge aus aller Welt zugesendet bekommen: aus Indien zum Beispiel, aus verschiedenen europäischen Ländern, aus den USA. Auch unser Team wächst, wir haben neue Mitglieder aus anderen Ländern. 

FURIOS: Warum sollte man bei euch mitmachen?

Johanna: Wir richten uns in erster Linie an Masterstudierende, aber auch fortgeschrittene Bachelorstudierende oder Doktorand*innen. Das sind Phasen im Studium, in denen man viel schreibt, aber wenig publiziert. Das re:visions-Journal ist eine Einladung, sich auszuprobieren und den Schritt zu gehen, den Geisteswissenschaftler*innen ohnehin eines Tages gehen müssen. Re:visions ist aber auch eine Möglichkeit, über etwas zu schreiben, wozu man in der Uni keine Möglichkeit hat oder worüber man noch weiter nachdenken will. 

Frederik: Es ist also ein recht niedrigschwelliges Angebot, das auch andere Fachbereiche einbezieht, die sich mit visueller Kultur beschäftigen. Wir bemerken auch, dass Interdisziplinarität immer wichtiger wird. 

FURIOS: Was sind Kriterien für einen guten Beitrag? 

Frederik: Ein Text muss uns inhaltlich überzeugen, eine These oder ein Thema spannend sein, sodass wir denken, hier können die Autor*innen etwas mitbringen, was uns voranbringt. Natürlich müssen wir auch spüren, dass die Leute sich mit dem Thema auskennen. Wir diskutieren in der Gruppe die Texte und achten auch darauf, wie die verschiedenen Beiträge zusammenpassen.

Wir versuchen Beiträge zu nehmen, die thematisch zum jeweiligen Open Call relevant sind. Wir fragen also nach Proposals [kurze Beschreibung des Themas oder Forschungsvorhabens in einem Text, Anm. der Red.] und gehen davon aus, dass die Texte noch im Entstehen sind. Das ist eben ein Prozess, der gemeinsam mit den Beitragenden stattfindet. 

Johanna: Wir merken, dass es eher einen Fokus auf zeitgenössische Themen gibt. Gerade deshalb versuchen wir, auch anderes aufzunehmen und thematische Vielfalt abzubilden. Genauso achten wir darauf, eine Vielfalt an künstlerischen Praktiken zu zeigen.

Auch wollen wir Stimmen fördern, die im akademischen Feld marginalisiert sind. Kunstgeschichte hat einen sehr weißen Kanon und die Arbeit, das aufzubrechen, läuft schon lange. Dazu möchten wir unseren Teil beitragen. 

FURIOS: Das letzte Heft ist im Dezember 2021 erschienen: Worum ging es? Frederik: Das Thema war „The Everyday“, also, was wir unter Alltäglichem verstehen. Auf unserer Website findet man alle Beiträge. Wer bezüglich unserer Arbeit allgemein auf dem Laufenden sein möchte, kann auch auf unserem Instagram-Kanal vorbeischauen.

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