Kulturreif Spezial: die besten Neuerscheinungen zum feministischen Kampftag


Zum heutigen Weltfrauentag hat sich Greta Linde vielversprechende Neuerscheinungen angesehen – und von Gehaltsverhandlungen, Gebeten und Hirnoperationen gelesen.

Foto: Greta Linde

Alexandra Zykunov: „Wir sind doch längst alle gleichberechtigt!” – 25 Bullshitsätze und wie wir sie endlich zerlegen

Die Redakteurin Alexandra Zykunov widmet ihr Buch ihren Kindern, damit „sie in 30 Jahren hoffentlich nicht dieselben Grabenkämpfe ausfechten müssen wie wir heute.” Das bringt ihr Werk eigentlich perfekt auf den Punkt. Denn „Wir sind doch längst alle gleichberechtigt!” ist kein literarisch anspruchsvolles Buch oder ein vielschichtiger Essay, sondern vielmehr eine unterhaltsame Handlungsanleitung und ein Ratgeber für alle, die sich tiefgreifender mit Feminismus beschäftigen möchten.

Situationen, die jede(*r) kennt

Zykunovs Kapitel sind recht kurz und ihr Buch keine 300 Seiten lang. Sie berichtet von Aussagen, die jede Frau schon einmal selbst oder mindestens in ihrem Bekanntenkreis erlebt hat. Von „Hast du ein Glück, dass dein Mann zu Hause so viel mithilft” über „Durch Pandemie und Homeoffice haben doch schon viel mehr Männer Care-Arbeit übernommen” bis zu „Frauen müssen einfach öfter über Geld reden” widerlegt Zykunov durch persönliche Erfahrungen und zahlreiche Studien gängige Vorurteile und zeigt Hürden auf, mit denen Frauen und Mädchen noch immer zu kämpfen haben: „Bei fiktiven Lebensläufen werden Gehälter von gleichqualifizierten Männern und Frauen um die 30 als gleich angemessen angesehen. Sind diese Männer und Frauen allerdings um die 50, wird die Gehaltssumme bei Männern als angemessen, dieselbe Summer bei der Frau aber als überzogen erachtet.”

Dieses Buch ist kein Must-have im feministischen Bücherregal, jedoch ein Lesetipp sowohl für alle, die gerade erst anfangen, sich mit Feminismus zu befassen, als auch für diejenigen, die sich in Konfliktsituationen oder Gehaltsverhandlungen nach schlagfertigen Argumenten sehnen. Und ein Geschenktipp für Männer, die meinen, wir seien längst alle gleichberechtigt, ist dieses Buch sowieso.


Tanja Raich (Hg.): Das Paradies ist weiblich – 20 Einladungen in eine Welt, in der Frauen das Sagen haben

Die Liste der Autor*innen, die für Tanja Raichs feministischen Sammelband Beiträge verfasst haben, liest sich wie die Gästeliste eines angesehenen Literaturfestivals: Unter anderem Mithu Sanyal (Identitti), Linus Giese (Ich bin Linus), Kübra Gümüşay (Sprache und Sein) und Tonio Schachinger (Nicht wie ihr) schreiben, was Feminismus und Emanzipation für sie bedeutet.

Wissenschaft, Erzählungen und Essays klug verpackt

Dass das sehr individuell sein kann, zeigt die Vielfalt an Beiträgen. So gibt Mithu Sanyal, Autorin und Kulturwissenschaftlerin, einen historischen Überblick, in welchen Gesellschaften Frauen im Laufe der Zeit als überlegen galten. Der Schriftsteller Feridun Zaimoglu adressiert ein Gebet an Asnath, die Ehefrau Josefs im Alten Testament, in dem sein Erzähler aus der Haft mit vertauschten Rollen berichtet. Und Kübra Gümüşay steuert eine Kurzgeschichte bei: „Das Blatt ist immer noch leer. Es ist kein Platz für mich in dieser Sprache. Kein Platz für mich auf dieser Welt. Die Frau blickt sich im Arbeitszimmer um. Alles ist zu klein. Alles muss anders werden. Weil es anders gehen muss. Das Geglotze der Menschen ist ihr unerträglich. […] Die übergriffigen Hände auf ihrem Körper, der Druck, der sich an ihrem Dasein, ihrem Sosein, ihrer Liebe entlädt. Die Gesellschaft, ihre Normen und Regeln, ihre Sprache. Nichts davon ist für die Frau gemacht. Alles raubt ihr die Luft zum Atmen.”

Dieser knapp 250-seitige Sammelband ist sicherlich nicht bahnbrechend, aber nichtsdestotrotz unbedingt lesenswert. Wem beispielsweise Eure Heimat ist unser Albtraum gefallen hat und wer sich mit Feminismus und Soziologie beschäftigen möchte, wird Das Paradies ist weiblich garantiert mögen.


Yael Inokai: Ein simpler Eingriff

Der neue Roman von Yael Inokai ist so vielschichtig, dass eine einzige Deutung nicht genügen würde. In Ein simpler Eingriff geht es um die Krankenpflegerin Meret, die einem angesehenen Arzt bei Hirnoperationen assistiert. Diese OPs sollen psychische Krankheiten heilen und vor allem Frauen zu einem vermeintlich normalen Leben verhelfen. Meret ist von den Eingriffen überzeugt, bis sie ihre Kollegin und spätere Freundin Sarah kennenlernt und diese sie am Sinn der OPs zweifeln lässt. Spätestens die Patientin Marianne, die aus einer wohlhabenden und angesehenen Familie stammt, führt Meret vor Augen, was so ein „simpler Eingriff” bewirken kann.

Präzise Sprache und zeitlose Handlung

Der Roman ist in drei Teile aufgeteilt, die nach Marianne, Sarah und Meret benannt sind und insgesamt keine 200 Seiten lang. Trotzdem erstreckt sich über diese verhältnismäßig kurze Seitenzahl jede Menge Handlung, was vor allem an der schnörkellosen Sprache liegt: „Ich war stolz darauf, wer ich war, wenn ich die Uniform trug. Ich erinnere mich ganz genau an das Gefühl in der Umkleide, Morgen für Morgen, der weiße, gestärkte Stoff auf meiner Haut, das Schließen der Knöpfe, das Anstecken der Uhr, das Aufsetzen meiner Haube. Die Person, die ich dann wurde. Nichts anderes war ich je lieber gewesen im Leben.”

Mit ihrem Roman erinnert Inokai an ein dunkles Kapitel der Psychiatrie: Bis in die Siebzigerjahre führten Chirurgen sogenannte Lobotomien durch, die Patient*innen operativ von Depressionen oder Angststörungen befreien sollten und teils gravierende Nebenwirkungen wie Hirnblutungen und Epilepsie hatten oder gar zum Tod führten. Doch Inokais Roman spielt weder zu einer bestimmten Zeit noch an einem konkreten Ort und ist somit nicht direkt auf ein reales Ereignis zurückzuführen. Außerdem ist er viel mehr als eine Kritik an vergangenen Behandlungsmethoden. Er wirft die Frage auf, warum wir stets nach vermeintlicher Perfektion streben (übrigens: Frauen lassen mehr Schönheitsoperationen durchführen als Männer) und wie moderne Gesellschaften mit psychischen Erkrankungen umgehen (übrigens: Frauen erkranken häufiger an Depressionen als Männer). Vor dem Hintergrund des feministischen Kampftags lässt sich dieser Roman ganz sicherlich auch als Kritik an Genderrollen lesen: Es sind schließlich vorrangig Frauen, die im Roman operiert werden und möglichst gefügig gemacht werden sollen. Mit Ein simpler Eingriff ist Yael Inokai ein zeitloser und feministischer Roman gelungen, den es sich zu lesen lohnt.


Das Paradies ist weiblich ist am 22. Februar bei Kein & Aber erschienen und kostet 24 Euro.  

Ein simpler Eingriff ist am 14. Februar bei Hanser Berlin erschienen und kostet 22 Euro.  

„Wir sind doch längst alle gleichberechtigt!” ist am 24. Februar bei Ullstein erschienen und kostet 10,99 Euro.

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2 Responses

  1. Levi sagt:

    Das Ganze feministischen Kampftag zu nennen, ergibt nur dann Sinn, wenn sich im Beitrag nicht nur auf Frauen bezogen wird… und natürlich ist es legitim, sich auf einen Teil von feministischen Themen zu fokussieren, aber dabei LINTA* Personen komplett außen vor zu lassen, wobei das immer eine der drängendsten Debatten ist…

    • Lisa Hölzke sagt:

      Liebe*r Levi,
      wir verstehen deinen Einwand. Im Sammelband Das Paradies ist weiblich – 20 Einladungen in eine Welt, in der Frauen das Sagen haben von Tanja Raich kommen jedoch auch FLINTA* sowie Männer zu Wort. Linus Giese zum Beispiel, der in der Rezension erwähnt wird, ist trans Mann. Vielleicht haben wir dich ja trotzdem zum Lesen angeregt.
      Liebe Grüße
      das FURIOS-Kultur-Team

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