Nun endet das vierte Corona-Semester und allein Hybrid-Seminare sorgten für diejenigen, die nachts vom Campus träumten, für Hoffnung. Tim Leuxe blickt auf dieses Format und argumentiert, warum Hybrid-Lehre auch unabhängig von der Pandemie das Potenzial hat, Universitäten positiv zu verändern.
Eine energische Diskussion brach zwischen zwei Lagern aus, als in einigen Seminaren den Studierenden die wichtige Entscheidung überlassen wurde, ob die Lehrveranstaltung online oder in Präsenz stattfinden sollte. Die einen argumentierten, dass der soziale Kontakt für ein erfülltes Studium unverzichtbar sei. Nach drei Online-Semestern und wegen der erwiesenen psychischen Belastung durch die Einsamkeit sei es für sie unverhältnismäßig, weiterhin alleine hinter einem Bildschirm zu studieren. Die anderen, darunter Risikopatient*innen, waren in Sorge, sich anzustecken. Auch die lange Fahrt zur Uni könne in bestimmten Lebenssituationen beschwerlich sein. Die Online-Lehre böte viel mehr Flexibilität und Effizienz. Aufgrund der starken Argumente und der persönlichen Betroffenheit auf beiden Seiten wurde aus der Diskussion schnell ein Streit. Doch dann kam die Hybrid-Lehre ins Spiel.
Das Potenzial des Hybridunterrichts
Hybrid bedeutet, dass verschiedene Menschen an einer Veranstaltung zeitgleich online und in Präsenz teilnehmen können. Somit ermöglicht dieses Format allen Studierenden die Teilnahme an gewünschten Seminaren. Ursprünglich wurde das Konzept dazu an den Universitäten eingeführt, um Präsenzveranstaltungen trotz angespannter Corona-Lage aufrechterhalten zu können. Studierende wurden damals in verschiedene Gruppen eingeteilt, die abwechselnd online und in Präsenz teilnahmen. Mittlerweile werden simultane Übertragungen der Präsenz-Veranstaltungen meist bevorzugt. Allerdings sollte sich Hybrid-Lehre nicht auf die Pandemiezeit beschränken, da sie auch in Zukunft ein barrierefreies und dadurch hochwertiges Studium für Menschen unter besonderen Umständen ermöglicht. Dazu zählen beispielsweise Personen, die mit einer chronischen Krankheit oder Behinderung leben sowie Menschen, die Familienmitglieder betreuen. Diesen Menschen fehlt oft die Zeit, die Energie oder die angemessene Infrastruktur, um zur Uni zu kommen – nicht der Wille, zu lernen. Die Hybrid-Lehre könnte in diesen Fällen eine lang erhoffte Lösung sein.
Technische Herausforderungen
Eine gute Gelegenheit, unsere Studiengänge integrativer zu gestalten. Doch bisher bleibt sie schwer durchzusetzen: Die technischen Schwierigkeiten müssen erst einmal überwunden werden. Es fehlen Steckdosen an den Plätzen der meisten Seminarräume, die Bild- und Tonqualität ist nicht optimal, die Einbindung der Online-Teilnehmenden ist mühsam. Mikros und Kameras des CeDiS können zwar eingesetzt werden, dieses Angebot muss aber erstmal beantragt werden und geht nicht immer mit einer guten Qualität einher. Angesichts dieses Aufwandes bleibt es ein Zweckformat, das in der aktuellen Form genauso schnell wieder verschwinden könnte, wie es erschienen ist.
Die Verantwortung der Hochschulpolitik
Hier ist die Hochschulpolitik gefragt, Regelungen festzulegen und technische Mittel zur Verfügung zu stellen. An der FU ist das CeDiS mit der Digitalisierung beauftragt. Das Center für Digitale Systeme versucht bereits, das Hybrid-Format zu standardisieren, wie auch die Online-Lehre einst standardisiert werden musste. Das heißt, dass nach einfachen und erprobten Konzepten gesucht wird, die die Qualität des Formats steigern und den Aufwand der Betroffenen maximal reduzieren. Einige Räume wurden zudem mit modernen Geräten ausgestattet, um Online-Teilnehmende besser zu integrieren. Für die ganze Universität sind solche Einrichtungen jedoch aus finanziellen und praktischen Gründen kaum vorstellbar. Präsident Ziegler betonte auf Nachfrage, dass es auch Grenzen gebe: Bei bestimmten technischen Studiengängen mache das Streamen keinen Sinn, da vor allem die Praxis im Vordergrund läge. Außerdem sei für ihn eine Rückkehr zur Präsenzlehre die oberste Priorität.
Den Klimawandel nicht aus dem Blick verlieren
Doch auch der Aspekt der Nachhaltigkeit ist zu berücksichtigen. Wenn alle Kurse systematisch online übertragen und möglicherweise auch aufgenommen würden, fiele die Energiebilanz schlecht aus. So waren Rechenzentren bereits 2015 für 2% der globalen CO2-Emissionen verantwortlich, stellt Esther Gonstalla im Klimabuch fest. Die Tendenz ist steigend, da das Internet immer mehr Platz in unseren Leben einnimmt. In der Klimakrise ist dies nicht bedeutungslos.
Einen Mittelweg für mehr Integration finden
Das Thema Hybrid-Lehre ist deswegen sehr politisch und hat weitreichende Folgen. Dabei dürfen nicht diejenigen vergessen werden, die persönlich große Schwierigkeiten haben und nur eins wollen: Trotz allem studieren. Es findet sich bestimmt ein Mittelweg und es lohnt sich, darüber zu diskutieren. Es könnte zum Beispiel ein Sonderrecht für die betroffenen Studierenden eingeführt werden, auf Anfrage beliebigen Kursen hybrid zu folgen. In der Zwischenzeit bietet die pandemische Lage die Gelegenheit, Schwächen des Hybridunterrichts nachzugehen und bestehende Probleme zu lösen, um eine solidarische Digitalisierung zu ermöglichen.