Zimmerpflanze statt Schmerztablette

Monstera, Aloe und Yucca – was vor fünf Jahren noch nach lateinischen Fremdwörtern klang, sind für viele Studierende inzwischen die liebsten Mitbewohner*innen. Zimmerpflanzen sind aber mehr als nur Wohnungsbegrünung. Wie sie auch unsere psychische Gesundheit aufblühen lassen, hat Julia Wyrott herausgefunden.

Monsteras sind die Superstars unter den Zimmerpflanzen. Illustration: Stefan Gehrt

Sara studiert Theaterwissenschaften und hat zwei Pflanzen in ihrer Wohnung in Rummelsburg. Raíssa, Grundschullehramtsstudentin, wohnt in Tempelhof und hat zehn. Matthäa studiert Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, lebt im Prenzlauer Berg und toppt die anderen mit 34.

So unterschiedlich die Studiengänge und Wohnbezirke der drei FU-Studentinnen auch sind, eins haben sie gemeinsam: Zimmerpflanzen. Der Hype um die lebendigen, aber stillen Mitbewohner*innen ist mittlerweile bei jungen Menschen angekommen. Das stereotype Bild der verrauchten Student*innenbude ist längst überholt. Nahezu biedermeierlich wird gesät, gegossen und gedüngt. Bei manch einer*m verwandeln sich die eigenen vier Wände in einen urbanen Großstadtdschungel. Aber warum?

In unserer kleinen FURIOS-Umfrage sind sich die drei Studentinnen einig. Raíssa findet: „Sie sehen schön aus und machen die Wohnung lebendiger.“ Ähnlich begründet auch Matthäa ihren Hang zu Pflanzen, die ihre „kleinen Sauerstofffabriken“ als belebende Deko-Elemente schätzt. Sara sagt: „Mit Pflanzen sieht die Wohnung nicht so klinisch aus, es ist wohnlicher und man kann sich um etwas kümmern.“

Pflanzen können aber noch sehr viel mehr als das. Die positiven psychischen und physischen Auswirkungen begrünter Räume wurden schon mehrfach wissenschaftlich nachgewiesen. Im Jahr 2000 veröffentlichten Lohr und Pearson-Mims eine Studie zum Einfluss von Pflanzen auf den Menschen in der Fachzeitschrift HortTechnology. Studierende wurden gebeten, so lang wie möglich eine Hand in Eiswasser zu tauchen, manche von ihnen in Räumen mit, andere in Räumen ohne Zimmerpflanzen. Als Indikator für den erlebten ‚Schmerzstress‘ wurde der elektrische Hautwiderstand der Proband*innen erfasst. Die Forschenden fanden heraus, dass Studierende in begrünten Räumen länger dazu fähig sind, die Hand im Eiswasser zu behalten, weil der wahrgenommene Schmerz geringer war als in Räumen ohne Zimmerpflanzen. Bei Studierenden mit Pflanzen in den Räumen lag demnach ein geringeres Stresslevel und eine größere Selbstkontrolle vor. Ähnliches zeigte eine zweite Studie, die 2009 in der HortScience veröffentlicht wurde. Unter dem Titel Therapeutic Influences of Plants in Hospital Rooms on Surgical Recovery untersuchten Park und Mattson, welche Auswirkungen Zimmerpflanzen auf Patient*innen in einer Klinik hatten. Die erstaunliche Erkenntnis: In Räumen mit Pflanzen wurden niedriger dosierte Schmerzmittel benötigt, weil die Schmerztoleranz höher eingestuft wurde und die Menschen weniger unter Angst und Erschöpfung litten.

„Die Liebe zu Pflanzen hat mich begleitet, als es mir schlecht ging, aber auch auf dem Weg da raus“, erzählt Sarah Remsky. Sie ist ehemalige FU-Studentin, Autorin und Journalistin und sammelt Zimmerpflanzen wie andere Briefmarken. Über 200 Pflanzen mit Namen wie Philodendron oder Anthurie leben in ihrer Wohnung. Auf ihrem Instagram-Profil zeigt sie ihre Schmuckstücke und deren richtige Pflege.

Remsky meldete 2018 ihre Masterarbeit an, als es ihr zunehmend schlechter ging. Bevor sie mit dem Schreiben der Arbeit begonnen hatte, bekam sie ein Burn-out und stressbedingte Depressionen. Ihr Werkstudent*innenjob bei ZEIT ONLINE ähnelte eher einer Vollzeitstelle, in den Semesterferien arbeitete sie sechs Tage die Woche. Ihr dunkles Ein-Zimmer-Appartement im Wedding war dabei nicht förderlich.

Ihre erste Pflanze war eine Monstera. „Ich erinnere mich noch genau daran: Ich habe sie bei Blume 2000 in der Seestraße gekauft.“ Nach und nach wurden es mehr. Mit der Zeit lernte Remsky ihre grünen Mitbewohner*innen zu schätzen, denn sie waren nicht nur belebende Elemente in ihrer Wohnung, sondern auch eine Unterstützung während ihrer psychischen Erkrankung: „Für mich waren die Zimmerpflanzen ein Grund, morgens aufzustehen. Einfach nur, um zu schauen, was sich verändert hat.“ Durch die Pflege der Pflanzen behielt sie eine gewisse Struktur im Alltag und bekam dafür etwas zurück: „Wenn sie gewachsen sind, hat mir das gezeigt, dass ich etwas gut gemacht habe.“

Das ist einer der Gründe, warum Remsky das Buch Aufblühen: Wie Zimmerpflanzen uns helfen, gesund zu bleiben geschrieben hat. Ihre individuelle Geschichte belegt sie durch wissenschaftliche Studien, die unter anderem zeigen, welche Wirkungen das Anfassen von Erde auf bestimmte Botenstoffe im Gehirn hat oder dass Zimmerpflanzen Effekte auf die Produktivität und den Serotoninspiegel haben. Letzterer ruft ein gesteigertes Wohlbefinden hervor. Diese Effekte werden beispielsweise in Gartentherapien genutzt, bei denen sich Patient*innen bei handwerklichen Aufgaben mit Pflanzen beschäftigen.

„Am Anfang sind mir meine Pflanzen oft weggestorben.“, erzählt Remsky. „Manche Menschen denken, dass sie keinen grünen Daumen haben, und damit wollte ich in meinem Buch aufräumen.“ Die 28-Jährige ist davon überzeugt, dass die richtige ‚Pflanzenfürsorge‘ erlernbar sei. Wer bereits zahlreiche Pflanzenleben versehentlich beendet hat, wird hier vielleicht Einspruch erheben, doch Remsky bleibt bei ihrer These. „Ich glaube, dass jeder Mensch eine Verbindung zu Pflanzen hat. Wir sind grundsätzlich mit der Natur verbunden, aber haben sie durch das Leben in Städten und mit Technologie aus den Augen verloren.“

Während des Pflegens ihrer Pflanzen kann Sarah Remsky vom stressigen Alltag loslassen. Pro Woche verbringt sie sechs bis acht Stunden damit, Erde anzumischen, die Luftbefeuchter zu kontrollieren, umzutopfen, zu beschneiden und zu gießen. „Normalerweise bin ich eine ziemliche Grüblerin, aber dabei kann ich die Zeit vergessen.“

Diese Begeisterung für die Pflanzenpflege scheint nicht die Norm zu sein. So lautet die Antwort auf die Frage: „Was ist deine Lieblingszimmerpflanze?“ doch meistens „Kaktus“. Zumindest sagen das die Studentinnen Raíssa und Sara, die die Pflegeleichtigkeit des stacheligen Mitbewohners zu schätzen wissen. Ganz nach der Devise: Lieber piksen statt gießen.

Matthäa dagegen ist Fan von ihrer Gefleckten Efeutute. Die Rankpflanze hat nicht nur einen lustigen Namen, sondern auch eine aufregende Blattmusterung. Letztendlich ist es doch aber egal, ob stachelig, herzförmig, gefleckt, gepunktet oder gestreift – die inneren Werte zählen.

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