Durch Enteignung zu mehr Demokratie?

Im vergangenen Jahr sorgte die Berliner Initiative Deutsche Wohnen und Co Enteignen für Furore. Das Ergebnis: ein Referendum über ein Gesetz zur Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne. Hutham Hussein und Felix Wortmann Callejón haben sich gefragt, ob Beteiligung von Bürger*innen in einem solchen Rahmen zu mehr Demokratie führt.

Ein Zimmer so groß wie eine Sardinenbüchse – für manche Berliner Studierende gar nicht so weit von der Realität entfernt. Illustration: Lara Rau

„Nur seriöse Anfragen. Wenn du es nicht magst, bewirb dich nicht! SIMPEL!! Wir hatten viele zufriedene Mietende in unserem schönen Badezimmer!

Dieses Inserat, das eine Bleibe in einem von zwei Badezimmern in einer WG für 100 Euro warm anbietet, geisterte vor knapp einem Jahr durch das Netz. Zwischen 6:30 und 8 Uhr müssten die zukünftigen Mietenden das Zimmer täglich verlassen, damit die anderen WG-Mitglieder duschen könnten, hieß es weiter. Diese Anzeige – ebenso frech wie bizarr – las sich wie ein Sketch aus einer politischen Satiresendung, der den Berliner Mietmarkt pointiert darstellen soll. Sie war jedoch echt. 

Zu wenige Wohnungen bei zu hohen Preisen: ein klassisches Problem von steigender Nachfrage bei stagnierendem Angebot. Quadratmeter-Preise jenseits von zwölf Euro sind in den innerstädtischen Ortsteilen Berlins vollkommen normal. Der Lösungsansatz des Berliner Abgeordnetenhauses wurde am 30. Januar 2020 in einem einzigartigen Gesetz verkündet: Das MietenWoG Bln, umgangssprachlich auch als ›Mietendeckel‹ bezeichnet, sah neben einem Höchstmietpreis für neue Mietverträge auch die Absenkung zu hoher Bestandsmieten vor. Lange konnten die Berliner Mieter*innen jedoch nicht durchatmen. Ein gutes Jahr danach gab das Bundesverfassungsgericht bekannt, dass der Mietendeckel nicht in der Gesetzgebungskompetenz des Landes Berlin läge. 

Aber sollte ein sozialer Rechtsstaat nicht das Grundrecht jedes Menschen auf Wohnen gewährleisten und auch verteidigen? Stattdessen würden die in Berlin lebenden Menschen aufgrund nicht bezahlbarer Mieten aus ihren Kiezen verdrängt, berichtet Paula Schumm. Dies sei ein Grund für ihr Engagement in der Hochschulgruppe der Initiative Deutsche Wohnen und Co Enteignen (DWE) an der Freien Universität. Paula studiert Politikwissenschaft und wurde als gebürtige Berlinerin bereits sehr jung mit dem Problem der Privatisierung von Wohnraum konfrontiert. Denn das Haus, in dem sie mit ihrer Familie lebte, wurde trotz des Protests der Mietenden an eine Investmentfirma verkauft. 

Deutsche Wohnen und Co Enteignen hat das skandalisiert, was zu Recht schon viel früher hätte skandalisiert werden müssen, und Anfang der 2000er-Jahre nicht hätte passieren dürfen“, schildert die Psychologiestudentin und Berlinerin Viviane Baginska. Sie ist Gründungsmitglied der DWE-Hochschulgruppe. „Wenn man weiß, was für eine krasse Verwertungsstrategie Deutsche Wohnen, Vonovia und Co. verfolgen und wie Vermögensverwaltungsgigant BlackRock an der Auspressung der Menschen hier in Berlin mitverdient, wird man einfach wütend“, schildert sie.

Deutsche Wohnen und Co. enteignen 
Die Initiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen ist eine Berliner Bürger*innenbewegung, die durch soziale Mobilisierung ein Referendum über ein Gesetz zur Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne im Stadtgebiet erwirkt hat.

Deutsche Wohnen teilen auf ihrer Website mit, dass sich 73,4 Prozent der Wohnungen ihres Konzerns in Berlin befinden. „In Berlin haben wir vor allem seit der Finanzkrise 2007/08 sehr viel globales Finanzkapital, das auf den Berliner Mietenmarkt eingeströmt ist als vermeintlich „sicherer Hafen“ in einer globalen Finanzkrise, also wird der Berliner Mietmarkt von globalen Machtgefällen beeinflusst“, beschreibt Viviane und fügt hinzu, dass „grundsätzlich mit der Miete von Menschen kein Profit gemacht werden sollte, da Wohnen ein Grundrecht ist und nicht als Ware behandelt werden sollte“. Das sei das Großartige an DWE, dass es im Kern der Kampagne darum ginge, das Grundrecht auf Wohnen für alle zu garantieren. „Gesellschaftliche Problematiken wie die Diskriminierung migrantisierter und rassifizierter Menschen oder die strukturelle Benachteiligung bei der Bezahlung von Frauen sind in Berlin konzentriert zu finden und führen dazu, dass diese Menschen schlechter aufgestellt sind.“ Der Kampf, den die Intiative führt, ist also durchaus ein intersektionaler.

Philippe Joly forscht als Post-Doc am Otto-Suhr-Institut der FU im Bereich der politischen Soziologie. Er meint, neben den rationalen Abwägungen einzelner Aktivist*innen seien auch weitere Faktoren wichtig, um die Beteiligung von Individuen an der Initiative zu erklären. So betont Joly die positiven Emotionen der Solidarität und das Gefühl, Teil von etwas Größerem zu sein, welche besonders wichtig seien, um Mitstreiter*innen für einen guten Zweck zu gewinnen. Dass die Initiative diese Gefühle bei den Aktivist*innen und Wähler*innen wecken konnte, zeigt sich in der Begeisterung, mit der Paula und Viviane sprechen, aber auch in ihren Schilderungen.

„Wenn wir kamen und sagten, wir sind ein Zusammenschluss von Berliner*innen und wir kämpfen, damit diese Stadt eine Stadt für uns alle bleibt, dann konnte man mit den Menschen reden und sie hatten super viel zu erzählen; man hat gemerkt, was für eine demokratische Blüte das war, die mit diesem Volksentscheid kam“, so Viviane.

Joly erklärt sich den Erfolg der Initiative aus drei Perspektiven: Die Bewegung selbst baue vor allem auf einen Kern gut vernetzter Aktivist*innen mit Erfahrungen aus vorherigen Mieter*inneninitiativen und anderem politischen Engagement. In Anbetracht der hohen Hürde, Unterschriften von sieben Prozent der Wahlberechtigten in nur vier Monaten zu sammeln, musste DWE Uneinigkeiten und Konflikte beiseitelegen und sich auf das Ziel konzentrieren. Aufgrund der Unterschriftensammlung waren die Wähler*innen schon früh in den direktdemokratischen Prozess involviert und mit der Initiative in Kontakt.

Weiter stellt Joly fest, dass die Initiative den*die durchschnittliche*n Wähler*in besser repräsentiere als andere soziale Bewegungen und Parteien. Die Aktivistinnen bestätigen dies: „Wir vertreten alle Berliner*innen, wir sind eine sehr heterogen zusammengewürfelte Gruppe“, erzählt Viviane. Die Berliner*innen konnten sich also in der Initiative selbst wiedererkennen, was sich positiv auf ihre Einstellung zur Bewegung auswirkte. 

Schließlich betont Joly, dass die politischen Rahmenbedingungen für die Bewegung sehr offen gewesen seien. Dies zeige sich darin, dass die Initiative im Abgeordnetenhaus wie im Senat in der LINKEN und in Teilen der bündnisgrünen Fraktion politische Verbündete hatte. Insofern waren die staatlichen Institutionen zumindest teilweise gewillt, die Belangen der Bürger*innen anzuhören. 

Auf die Frage hin, ob er glaube, dass der Senat den Volksentscheid tatsächlich umsetzen würde, äußert sich Joly verhalten. Sicher sei, dass das Gesetz zur Enteignung großer Wohnungskonzerne einer juristischen Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht standhalten müsse. Sollte es diese überstehen, könnte die tatsächliche Umsetzung der Verordnung zu politischem Sprengstoff in der Regierungskoalition werden. Völlig ignorieren können die Wahlgewinner*innen das Ergebnis des Volksentscheides jedoch nicht, denn damit würden sie riskieren, bis zu 1.035.950 Berliner*innen außen vor zu lassen. Aktuell versucht DWE durch individuelle Schreiben an Abgeordnete, den Druck auf die Politik aufrechtzuerhalten — ob dies auch langfristig gelingen wird, bleibt unklar.

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