Studierende und der Krieg in der Ukraine: „Wir haben jetzt die Chance zu zeigen, dass wir keine Kriege mehr zulassen“

Viktoriia studiert an der FU, während ihre Familie in Kyjiw ausharrt. Mit ihr haben Julia Wyrott und Valentin Petri darüber gesprochen, wie sie den Krieg erlebt und was sie sich von der FU erhofft.

Auf der Karte sind die Orte vermerkt, zu denen die interviewten Studierenden Bezug haben. Viktoriia erzählt uns von ihrer Heimatstadt Kyjiw. Illustration: Julia Wyrott

Der russische Krieg gegen die Ukraine hat gewaltige Auswirkungen auf das Leben von ukrainischen Studierenden. FURIOS hat mit drei Studierenden in unterschiedlichen Situationen darüber gesprochen, wie sie den Krieg erleben. Das ist der erste Artikel dieser Reihe.

Wir treffen Viktoriia in einem Café im Prenzlauer Berg. Unsere Interviewanfrage hat sie schnell bestätigt. Ihr sei die Präsenz des Ukraine-Kriegs in allen Medien sehr wichtig. In unserem Gespräch wird Viktoriia sagen: „Dieser Krieg ist vor allem ein Informationskrieg” und viele ihrer Aussagen werden sich darum drehen.

„Dieser Krieg ist vor allem ein Informationskrieg.”

Vielleicht liegt das unter anderem an ihrer Fächerkombination: Sie studiert im Bachelor an der FU Publizistik- und Kommunikationswissenschaft mit dem Nebenfach Politikwissenschaft. Vor drei Jahren hat Viktoriia die Ukraine verlassen, um in Deutschland ihr Studium zu beginnen. Zuerst besuchte sie für ein Jahr ein Studienkolleg in Heidelberg. „Danach wollte ich irgendwohin, wo es ähnlicher zu Kyjiw ist, meiner Heimatstadt: groß und chaotisch.“ Und so landete sie in Berlin.

Als der Krieg in Kyjiw ankommt

In Kyjiw wohnt Viktoriias ganze Familie. Dazu gehören ihr Bruder, ihre Oma und ihr Opa. Ihre Eltern sind gestorben, als sie noch klein war. Der 18-jährige Bruder darf das Land als Mann im wehrfähigen Alter nicht verlassen. Kurz vor Kriegsbeginn wollte Viktoriia ihre Familie noch aus der Ukraine rausholen, aber niemand hatte erwartet, dass es so schlimm kommen würde. „Viele haben gedacht, es wird die Ost- und Südukraine treffen. Aber dass sogar Raketen in Kyjiw oder in noch westlicheren Städten fliegen – Das konnte man nicht vorhersehen”, sagt sie uns im Interview.

Am 24. Februar, dem ersten Tag der russischen Invasion, will Viktoriia gerade die Rückreise von einem Verwandtschaftsbesuch in der Schweiz nach Berlin antreten. „Der Plan war, in Berlin meine Sachen zu packen, um dann zwei Tage später zu meiner Familie nach Kyjiw zu fliegen.“ Dann hört sie von der russischen Invasion, ruft sofort ihre Familie an. „Die waren schon seit fünf Uhr wach, weil sie von den Geräuschen der Bomben aufgewacht sind. Es ging ihnen aber gut.“ Gegen Mittag bekommt sie die Nachricht, dass ihr Flug in die Ukraine storniert wurde. „Mein erster Gedanke war, irgendwie noch mit dem Zug oder Bus zu meiner Familie zu fahren, aber ich habe schnell festgestellt, dass ich nicht viel helfen kann. Ich würde später bei der Ausreise nur jemandem den Platz wegnehmen.“

Statt Nachrichtenmoderator*innen lieber Taten sprechen lassen

Die ersten Nächte bleibt Viktoriia wach, verfolgt den nonstop Livestream des ukrainischen Fernsehens „ohne Schlaf und Essen“, wie sie sagt. Schläft sie doch einmal ein, stellt sie sich stündlich Wecker, um sicherzugehen, dass es ihrer Familie noch gut geht. Irgendwann merkt sie aber, dass das nichts bringt, „wenn etwas Schlimmes passiert, kann ich nichts daran ändern“.

Stattdessen sucht sich Viktoriia Wege, von Berlin aus zu helfen. Sie engagiert sich als Freiwillige bei der Versorgung von Geflüchteten, die am Berliner Hauptbahnhof ankommen, und unterstützt bei Spendensammel-Aktionen, die unter anderem von der Gruppe Vitsche organisiert werden. Viktoriia ist der Meinung, dass jede*r nach eigenen Kapazitäten helfen kann – ob mit Geld- und Sachspenden, Unterkünften, durch Hilfe bei Übersetzung, Abholen vom Bahnhof oder der Teilnahme an einer Demonstration. Von der FU erhofft sie sich für das nächste Semester Lehrveranstaltungen, die die Entwicklungen nach der russischen Invasion in den Blick nehmen.

Gegen das Vergessen

Am wichtigsten ist ihr aber, dass der Krieg in der Ukraine nicht vergessen wird. „Wir müssen etwas tun, damit die Lage in der Ukraine nicht aus dem Blick der Medien gerät, wie das bei anderen Kriegen, zum Beispiel in Syrien, der Fall ist.“ Sie sieht derzeit eine große Wende durch die deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine oder dadurch, dass die Schweiz ihre Neutralität ablegt.

„Wenn wir das jetzt wieder vergessen, dann stehen wir immer noch da, wo wir früher standen.”

Dieses Veränderungspotential will sie nun auch in den Medien sehen, oder besser, in der allgemeinen Aufmerksamkeit für den Krieg in der Ukraine. „Wenn wir das jetzt wieder vergessen, dann stehen wir immer noch da, wo wir früher standen. Wir haben jetzt die Chance zu zeigen, dass wir im 21. Jahrhundert leben und keine Kriege mehr zulassen.“

Autor*innen

Valentin Petri

Verbringt seine Zeit gerne in stickigen und langwierigen Sitzungen und schreibt über Hochschulpolitik.

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