„Ich habe mich gefühlt wie ein Zombie”

Mangelnde Konzentrationsfähigkeit, extreme Erschöpfung und Schlafstörungen: wie beeinträchtigt Long Covid eigentlich das Studium? Um das herauszufinden, hat sich Charlotte Aebischer mit drei betroffenen Studentinnen unterhalten.

Long Covid umfasst eine große Bandbreite an Symptomen – zum Beispiel Erschöpfung. Illustration: Sophie Aebischer

Vor einem Jahr wäre der Alltag von Anna, Vanessa und Aicha wohl kaum von dem eines*r jeden anderen Studierenden zu unterscheiden gewesen. Doch mittlerweile klafft aufgrund von Corona eine große Lücke zwischen ihren Lebensrealitäten und denen anderer junger Leute in ihren Zwanzigern. Wie jede*r zehnte Genesene in Deutschland (Zahlen noch nicht belastbar) leiden die drei jungen Frauen noch Monate nach ihrer Infektion an den Langzeitfolgen des Virus. Das zeigen die Ergebnisse einer im The Lancet Regional Health veröffentlichten wissenschaftlichen Studie.

Alles beginnt mit einem Auslandssemester

Anna, die eigentlich anders heißt, ist 26 Jahre alt und hat vor Kurzem ihr BWL-Studium in Irland abgeschlossen. Sie infiziert sich vor circa einem Jahr während ihres Auslandssemesters in Stockholm mit Corona. Da sie während der Erkrankung mit ausgeprägten Symptomen zu kämpfen habe, wundere sie sich zunächst nicht über die Schlappheit, die sie auch nach 14 Tagen noch empfinde. Erst eine Woche später kämen die ersten Anzeichen dafür, dass etwas nicht stimme. An einem Abend werde sie plötzlich von Herzschmerzen überwältigt und könne sich kaum noch bewegen: „Ich habe mich gefühlt wie ein Zombie. Das war total gruselig, aber ich hatte auch nicht die Kraft durchzudrehen.” Bei Untersuchungen im Krankenhaus könne nichts Außergewöhnliches beobachtet werden.

Seitdem habe Anna mit extremer Erschöpfung zu kämpfen. Obwohl der Krankheitsverlauf wellenartig sei, betont sie, „es war nie normal”. Im Studium mache sich das bemerkbar. Die Masterarbeit, welche noch zwischen ihr und ihrem Studienabschluss steht, stellt sich als große Herausforderung dar: „Es gab Zwischenfälle, wo ich gar nichts mehr konnte”, erinnert sich Anna, „noch nicht mal mehr sprechen.” Für sie sei es ein Glück, dass die Masterarbeit zu zweit geschrieben werden kann, somit bekomme sie die Unterstützung einer guten Freundin und könne die Deadlines einhalten.

Doch das Studium besteht aus mehr als nur dem Studieren. Auch der soziale Teil des Studierendenlebens falle der Erschöpfung zum Opfer. An einem ihrer besseren Tage habe sich Anna mit Freunden getroffen, jedoch wehmütig den anderen beim Tanzen zusehen müssen, während sie selbst noch nicht mal mehr genug Energie gehabt habe, um sich zu unterhalten. Sie gesteht ein: „Du musst dich zurücknehmen, das ist als Studentin nicht einfach.”

Böse Überraschungen

Auch die 24-Jährige Vanessa, die in Stuttgart studiert, lebt nun schon seit einem Jahr mit vergleichbaren Symptomen. Als im Februar 2021 ihre gesamte Familie an dem Virus erkrankt, steckt auch sie sich an, hat aber einen vergleichsweise milden Krankheitsverlauf. Erst einen Monat nach der Infektion treten die ersten Ungewöhnlichkeiten auf: neben Atembeschwerden leidet auch sie an Symptomen wie extremer Erschöpfung. Und auch bei ihr kann bei diversen Ärzt*innen nichts festgestellt werden. Long Covid sei „wie ein Überraschungsei” gewesen, erzählt sie, jede Woche seien neue Symptome hinzugekommen. Von kognitiven Einschränkungen über Übelkeit und Geschmacksstörungen, bis hin zu Haarausfall und Zahnfleischentzündungen.

Meine Fitnessuhr gratuliert mir drei Mal am Tag dafür, dass ich so viel Sport mache, dabei putze ich mir nur die Zähne.

Vanessa, 24

Im Studium spricht Vanessa von Glück, dass sie als Studentin der Stadtplanung hauptsächlich graphisch und an Gruppenprojekten arbeiten müsse. Lesen sei bei ihr nicht mehr möglich, da sie nach einer Seite schon den Inhalt der vorherigen Seite vergessen habe. Einem normalen Arbeitspensum könne sie nicht nachgehen. Nach drei Stunden Vorlesung sei der Tag einfach „gelaufen”. Sie erzählt: „Meine Fitnessuhr gratuliert mir drei Mal am Tag dafür, dass ich so viel Sport mache, dabei putze ich mir nur die Zähne.”

Leben mit ständiger Übermüdung

Aicha, 22, studiert Agrarwissenschaften an der HU und kennt diese Schlappheit auch. Sie infiziert sich im Sommer 2021 mit Corona und merkt schon wenige Tage nach Ende ihrer Isolation, dass die Müdigkeit, von der sie überfallen wird, nicht normal ist. Sie berichtet, sie habe damals 17 Stunden pro Tag geschlafen und in den ersten Wochen auch prompt zehn Kilo verloren. Auch heute ginge es ihr so, dass sie an manchen Tagen aufwache und denke: „nee, heute nicht.”

An der Uni ergeht es ihr ähnlich wie Anna und Vanessa. Obwohl sich der Gehirnnebel, unter dem sie anfänglich leidet, nach und nach lege, müsse sie trotzdem alle ihre Klausuren streichen und plane nun mit einem verlängerten Studium. Auf gewisse Art und Weise sei die Krankheit für sie auch eine Existenzkrise.

Nein, wir können uns heute nicht mehr treffen, heute habe ich schon geduscht.

Aicha, 22

„Es ist nicht mehr alles so einfach und spontan wie früher”, erzählt sie in Bezug auf ihr Sozialleben, „alles muss getaktet werden”. Mit Humor berichtet Aicha von den abstrusen Situationen, denen sie nun täglich ausgesetzt ist: „Erst letztens musste ich einer Freundin sagen ‚Nein, wir können uns heute nicht mehr treffen, heute habe ich schon geduscht’”.

Systemsprenger*in?

Eine der größten Hürden, da sind sich die drei einig, sei das Unverständnis seitens der Ärzt*innen, die sie teilweise  als „angehende Hypochonderinnen” bezeichnet haben. Hinzu komme, dass das System insgesamt auch nicht auf solche komplexen Krankheiten ausgerichtet sei. „Man ist ein*e Systemsprenger*in: man hat ein zehn-Minuten Gespräch, bräuchte aber schon allein für die Auflistung aller Symptome länger”, erklärt Vanessa. Es gäbe zwar Covid-Ambulanzen, dort müsse man jedoch Monate auf einen Termin warten.

Unter Freunden und in der Uni sei das besser, obwohl auch hier ein grundlegendes Verständnis fehle. In der Unberechenbarkeit der Krankheit erfahren Anna, Vanessa und Aicha insbesondere durch Facebook- und lokale Selbsthilfegruppen¹ Unterstützung.

Trotz ihrer vielen Leiden stehen alle drei der Zukunft positiv entgegen: „Ich stecke nicht den Kopf in den Sand”, bekundet Vanessa entschlossen, „ich will wieder mit den normalen Problemen einer 24-jährigen Frau leben.” 


¹Bist du selbst betroffen und auf der Suche nach Austauschmöglichkeiten? In Berlin gibt es eine Selbsthilfegruppe oder Gruppen auf Facebook, an die du dich wenden kannst.

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