Studierende und der Krieg in der Ukraine: „Es ist hart zu sehen, wie deine Heimat zerbombt wird“

Pavlo studierte in einer ukrainischen Stadt, wenige Kilometer von der russischen Grenze entfernt. Nach der Invasion flüchtet er in die Westukraine. Er hat Julia Wyrott und Valentin Petri erzählt, wie der Krieg sein Leben verändert hat.

Auf der Karte sind die Orte vermerkt, zu denen die interviewten Studierenden Bezug haben. Pavlo erzählt uns von seiner Heimatstadt Sumy sowie Lwiw, wo er sich im Moment aufhält. Illustration: Julia Wyrott

Der russische Krieg gegen die Ukraine hat gewaltige Auswirkungen auf das Leben von ukrainischen Studierenden. FURIOS hat mit drei Studierenden in unterschiedlichen Situationen darüber gesprochen, wie sie den Krieg erleben. Das ist der zweite Artikel dieser Reihe.

Pavlo ist 22 Jahre alt, Informatik-Student in der Ukraine und wehrpflichtig. „Bei Bedarf werde ich in der vierten Welle der Wehrpflicht eingezogen”, erklärt er uns schriftlich. Ein mündliches Interview möchte er, aus Angst falsche Aussagen zu treffen, lieber nicht führen. 

Als wir das erste Mal mit Pavlo in Kontakt treten, lebt er noch in seiner Heimat Sumy. Die im Nordosten der Ukraine gelegene Stadt hat etwa 250.000 Einwohner*innen und ist nur 30 Kilometer von der russischen Grenze entfernt. Pavlo wohnt dort gemeinsam mit seinen Eltern, studiert im vierten Jahr seines Bachelors an der Sumy State University und arbeitet seit eineinhalb Jahren Vollzeit im IT-Bereich.

Drei Tage Flucht 

An dem Tag, an dem Pavlo eigentlich auf unsere Fragen antworten will, beschließen er und seine Familie, in die Westukraine zu flüchten. Erst neun Tage später hören wir wieder von ihm. „Zuerst gab es Sicherheitskorridore für die Flucht aus Sumy, aber das russische Militär hat den Waffenstillstand immer wieder gebrochen”, erzählt er uns. Pavlo und seine Familie schaffen es trotzdem mit dem Auto aus der Stadt. Immer wieder müssen sie die Route wegen der gebrochenen Waffenruhe ändern. Auch der Verkehr hält sie am Vorankommen ab: „Rund um die Städte gab es riesige Staus, meist wegen Checkpoints, wo Ausweise und Autos kontrolliert wurden.” 

„Diese zwei Wochen kamen mir eher vor wie ein Tag.”

Drei Tage dauert es, bis sie Lwiw erreichen, eine Stadt im Westen der Ukraine. „Hier geht das Leben erst einmal weiter”, schreibt er uns. Dass er das trotz Ausgangssperren und vereinzelten Fliegeralarmen sagt, zeigt, wie heikel die Situation in Sumy gewesen sein muss. Knapp zwei Wochen hat er den Krieg nach der russischen Invasion am 24. Februar dort miterlebt. In diesen Wochen hat er sein Zeitgefühl verloren: „Diese zwei Wochen kamen mir eher vor wie ein Tag.”

Sumy während der russischen Invasion

Er erinnert sich aber noch an die Straßenkämpfe, die er in Sumy am ersten Tag vom Stadtrand her hören könnte. „Dann kamen die Bomben und das ständige Rein und Raus in den Luftschutzkeller.“ Seine Universität hat mit einer zweiwöchigen Pause reagiert.

Später spitzte sich die Lage in Sumy zu: Das wichtigste Elektrizitätswerk der Stadt wurde getroffen. Es gab Ausfälle in der Wasser-, Heiz- und Elektrizitätsversorgung. Auch nachdem das Werk repariert wurde, passierte das immer wieder. „Ein paar Tage später wurden Häuser von Zivilist*innen in Sumy bombardiert. 21 Menschen starben, darunter zwei Kinder”, schildert Pavlo. Da sei dann der Entschluss gefallen, die Stadt zu verlassen.

In Lwiw wohnt er nun mit seiner Freundin in einer kleinen Einzimmerwohnung. Seine Eltern sind bei Verwandten untergekommen. Er sieht sie nur noch alle paar Tage. Nach der Arbeit, der er wie bisher von zu Hause aus nachgehen kann, versucht sich Pavlo die Stadt anzuschauen. Er war noch nie in Lwiw.

Kontakt halten via Discord

Mittlerweile geht die Uni im Online-Format weiter. Das Bildungsministerium der Ukraine hatte darauf gewartet, dass es für Studierende und Dozierende wieder sicher genug ist, um mit der Lehre fortzufahren. „Schulen, Universitäten und sogar Kindergärten wurden angegriffen”, sagt Pavlo, „Daher hatten wir alle keine Ahnung, wann es weitergehen sollte.” Mit dem Rückzug russischer Truppen aus Sumy wurde die Lehre wieder möglich.

Mit seinen Kommiliton*innen ist Pavlo regelmäßig über Discord im Kontakt. Die meisten konnten ihre Jobs behalten, weil die Arbeit im IT-Bereich sowieso remote vonstatten geht. Einige sind wie er in den Westen der Ukraine geflüchtet. Er kennt aber niemanden, der*die in ein anderes Land geflüchtet ist.

Das Land zu verlassen ist keine Option

Auf die Frage, ob Pavlo das Land verlassen würde, wenn er könnte, sagt er: „Am Anfang der Invasion ja, aus Angst.“ Doch mit der Zeit verstehe er die Situation besser. „Es ist hart, meine Angehörigen weinen zu sehen, weil sie ihr Zuhause verlassen müssen. Es ist hart zu sehen, wie deine Heimat zerbombt wird.“ Pavlo findet, die Ungerechtigkeit, die den Menschen in der Ukraine widerfährt, muss aufgehalten werden – „und zurzeit scheint es so, als müssten wir das tun, ukrainische Söhne und Väter.”

“Sie können nicht 44 Millionen Leute töten oder hinter Gitter stecken.”

Zwar weiß Pavlo, dass er in der vierten Welle der Wehrpflicht eingezogen wird, allerdings weiß er nicht, in welcher Welle sie sich gerade befinden. Auf die Frage, wie es mit dem Krieg aus seiner Sicht weitergeht, antwortet Pavlo sehr überzeugt. “Sie können nicht 44 Millionen Leute töten oder hinter Gitter stecken.” Daher hält er die Besetzung der Ukraine für unmöglich. „Kein*e  Ukrainer*in ist willens, unter Putins Herrschaft zu leben.“

Autor*innen

Valentin Petri

Verbringt seine Zeit gerne in stickigen und langwierigen Sitzungen und schreibt über Hochschulpolitik.

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