Mit diesen vier Neuerscheinungen wird der Frühling bunter

Von starken Frauen, Familiendramen, Vertreibung und Körpern handeln diese spannenden Neuerscheinungen, die den Lesefrühling garantiert besser machen. Von Greta Linde.

Foto: Greta Linde

Bettina Wilpert: Herumtreiberinnen

Drei junge Frauen, drei Zeitebenen und ein Haus, was alle eint: die Riebeckstraße 63 in Leipzig. Hier wird Lilo in den Vierzigerjahren gefangen gehalten, weil ihr Vater Teil des kommunistischen Widerstands ist. In den Achtzigern wird Manja in das Haus eingewiesen, was inzwischen eine Venerologische Station für Frauen mit Geschlechtskrankheiten ist. Und im Jahr 2015 tritt Robin ihren Dienst in der Riebeckstraße an – als Sozialarbeiterin für Geflüchtete.

Bettina Wilpert erzählt bildreich und bewegend die Geschichte von drei Frauen, die auf den ersten Blick keinerlei Berührungspunkte miteinander haben. Am beeindruckendsten ist dabei Manjas Schicksal und vor allem dessen Hintergründe: Sechs sogenannte Tripperburgen, also Krankenhäuser für geschlechtskranke Frauen, gab es in der DDR. Allein im Jahr 1968 wurden fast 3.000 Frauen eingewiesen, für andere Jahre fehlen Zahlen, doch die Dunkelziffer dürfte hoch sein. Besonders erschreckend: Nicht einmal ein Drittel der Eingewiesenen hatte wirklich eine Geschlechtskrankheit. Vielmehr ging es um Disziplinierung von Frauen, die nicht ins sozialistische System passten.

Das ist es auch, was Wilperts Antiheldinnen eint: Sie wollen sich ihrem Schicksal nicht einfach hingeben. Dabei hätte Robins Handlungsstrang gern noch intensiver beleuchtet werden können, doch das tut dem Roman keinen Abbruch. Denn bei dieser Lektüre werden die Leser*innen lernen, leiden und das Buch am Ende mit Willen zur Veränderung zur Seite legen.

„Herumtreiberinnen“ ist im Februar im Verbrecher Verlag erschienen und kostet 25 Euro.


Fatma Aydemir: Dschinns

Auch Fatma Aydemirs neuer Roman vereint mehrere Handlungsstränge, die jeweils eine Person beleuchten. Im Familienroman Dschinns erzählt sie die Geschichte von Hüseyin, der sich Ende der Neunzigerjahre mit seinem Renteneintritt den Traum einer eigenen Wohnung in Istanbul erfüllt – und beim Einzug direkt stirbt. Zur Beerdigung reisen seine Frau und Kinder aus Deutschland an, alle mit verschiedenen Gefühlen ihrem toten Vater und Ehemann gegenüber und in verschiedenen Lebenslagen: Peri studiert und lebt in einem Rausch aus Sex, Uni und Drogen, während ihre große Schwester Sevda bereits Mutter ist und sich aus einer gewaltsamen Beziehung befreien konnte. Hakan hingegen boxt sich durchs Leben und Ümit darf seine wahre Sexualität nicht ausleben. Und dann ist da noch Emine, die Mutter, die alles richtig machen will und dabei doch ganz viel falsch macht.

Aydemir hat ihre Protagonist*innen genauestens durchdacht. Ihre Lebensläufe und Gedankengänge sind glaubwürdig und enorm nahbar niedergeschrieben. Die große Kunst dieses Romans ist, Situationen aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten und dabei niemals langweilig zu werden. Das liegt auch daran, dass es nicht nur um Familie geht, sondern auch um Selbstfindung, Machtstrukturen, Migration und Zugehörigkeit. Man möchte dieses Buch am liebsten gar nicht aus der Hand legen.

„Dschinns“ ist im Februar bei Hanser erschienen und kostet 24 Euro.


Laura Cwiertnia: Auf der Straße heißen wir anders

Zugegebenermaßen klingt die Handlung dieses Romans ähnlich der von Dschinns, geht es doch auch um eine Familie, die nach Deutschland migriert ist, sowie um die verschiedenen Generationen mit ihren Problemen, geeint durch das Gefühl der Nichtzugehörigkeit. Doch Auf der Straße heißen wir anders ist ein so gelungenes Debüt, dass ein Vergleich mit anderen Romanen nicht vonnöten ist. 

Die Hauptfigur, Teenagerin Karla, lebt in Bremen-Nord, doch wie viele ihrer Freund*innen kommt sie eigentlich woanders her. Obwohl Karla von den armenischen Wurzeln ihrer Familie weiß, weiß sie nicht, warum darüber geschwiegen wird. Als jedoch ihre Großmutter stirbt, schafft sie es, ihren Vater zu einer gemeinsamen Reise nach Armenien zu überreden, und macht sich mit ihm auf die Suche nach einem Gefühl von Heimat.

Enorm einfühlsam berichtet Laura Cwiertnia von der Reise, von der Kindheit des Vaters auf einer Klosterschule in Jerusalem, von der Großmutter als Gastarbeiterin in der Bundesrepublik der Sechziger und von Karlas Urgroßmutter in Istanbul. Dabei transportiert sie durch feine, gewählte Sprache und Humor das Gefühl, am Rand jeglicher Gesellschaft zu stehen und einem Schicksal erlegen zu sein, das niemanden zu interessieren scheint. Ein empfehlenswerter Roman – auch weil die armenische Diaspora hierzulande kaum Thema ist.

„Auf der Straße heißen wir anders“ ist im Februar bei Klett-Cotta erschienen und kostet 22 Euro.


Yade Yasemin Önder: Wir wissen, wir könnten, und fallen synchron

Wen dieser sperrig-poetische Buchtitel anspricht, der wird auch das Buch selbst mögen. In Yade Yasemin Önders Debütroman geht es um eine Ich-Erzählerin, die aus den ersten 30 Jahren ihres Lebens in Deutschland und der Türkei berichtet. Dabei wirft sie einen Blick auf das Deutschland der Neunzigerjahre, erzählt von ihrem toten Vater und seinem massiven Körper, an dem sie das Gefühl des Zu-viel- und Zu-wenig-Sein verhandelt. Sie berichtet beinahe beiläufig von Weggefährt*innen wie ihrem Opa, erinnert sich an warme Sommer in Istanbul und beleuchtet Herausforderungen der Migration und Integration. Dabei taucht der Vater immer wieder auf: Er steht für viele Fragen, die die namenlose Protagonistin auf ihrer Reise der Selbstfindung beschäftigen.

Dieser Roman ist weniger eine lineare Geschichte mit zusammenhängender Handlung, doch das macht ihn nicht weniger gut. Vielmehr handelt es sich um eine Collage aus Bildern, Gerüchen und Gefühlen – so poetisch geschrieben, dass man meint, beim Lesen Anis in der Nase und feuchtes Gras unter den Füßen zu spüren.


„Wir wissen, wir könnten, und fallen synchron“ ist im März bei Kiepenheuer & Witsch erschienen und kostet 20 Euro.

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