Am 25. Mai wurde der Holocaust-Überlebenden und engagierten Zeitzeugin Margot Friedländer die Ehrendoktorwürde der FU verliehen. Gesine Wolf und Laura von Welczeck berichten von der Veranstaltung.
„Dem Vergessen etwas entgegensetzen“ – das ist der Auftrag, den Margot Friedländer sich in ihrem sogenannten „vierten Leben“ selbst gestellt hat. Für dieses Leben wurde ihr nun vom Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften die Ehrendoktorwürde verliehen.
Aus dem Versuch ein Leben zu machen, werden ganze vier
Ihre Biografie beschreibt Friedländer in vier Abschnitten. 1921 in Berlin geboren und rund um die Skalitzer Straße in Kreuzberg aufgewachsen, beginnt ihre Kindheit, ihr erstes Leben. Ihren zweiten Lebensabschnitt läutet die Machtübernahme des NS-Regimes 1933 ein. Friedländer ist zu der Zeit 12 Jahre alt. Als Jüdin versteckt sie sich 15 Monate lang vor den Nazis, während ihre Familie nach Auschwitz deportiert und dort ermordet wird. Schließlich wird auch sie gefunden und in das KZ Theresienstadt deportiert.
Margot Friedländer überlebt und wandert im Jahr 1946 mit ihrem Mann, den sie in Theresienstadt kennenlernte, in die USA aus. In New York verbringt sie ihr drittes Leben. Nachdem ihr Mann 1997 verstirbt, fängt sie an, ihre Erinnerungen an die Vergangenheit aufzuschreiben. 2010 erscheint schließlich ihr Buch unter dem Titel Versuche dein Leben zu machen – die letzten Worte ihrer Mutter, welche sie durch all ihre Leben begleiten. Mit der Rückkehr nach Berlin, wo sie bis heute lebt, beginnt sie ihren jetzigen und vierten Lebensabschnitt, der von Aufklärungsarbeit geprägt ist.
Friedländer tritt als Zeitzeugin auf und hat sich zum Ziel gemacht, vor allem den jüngeren Generationen von den Grauen des Holocausts zu erzählen. Seitdem schreibt, spricht, liest und diskutiert sie unermüdlich gegen das Vergessen an – und das, obwohl sie letzten Herbst bereits 101 Jahre alt geworden ist. Damit leiste Margot Friedländer einen Beitrag zur öffentlichen Geschichte, den Wissenschaftler*innen heute nicht mehr erbringen können, betont die FU.
Dr. h.c. Margot Friedländer
Für diesen Einsatz wurde sie von der FU nun in dem voll gedrängten Max-Kade-Auditorium ausgezeichnet. Viele Studierende und Mitarbeitende der FU, Personen der Berliner Verwaltung und Presse sowie Freunde Friedländers sind gekommen, um die Zeitzeugin zu sehen und zu hören. Ihr Leben und ihre Verdienste werden von verschiedenen Sprecher*innen gelobt. FU-Präsident Günther Ziegler eröffnet die Veranstaltung und richtet sich an das Publikum mit einem Zitat von Friedländer: „Seien Sie die Zeitzeugen, die wir nicht mehr lange sein können.” Anschließend folgt ein Grußwort von der Berliner Senatorin für Wissenschaft, Gesundheit, Pflege und Gleichstellung Ulrike Gote. Sie spricht über den zweiten Weltkrieg und wie sich ein grausamer Krieg in der Ukraine vor unseren Augen abspielt. Sie huldigt das Engagement der Zeitzeugin, über solche Taten zu sprechen: „Mit Ihren Worten erklären Sie eine Welt, für die es keine Worte gibt.”
Nach der Laudatio von Prof. Dr. Dr. h.c. Aleida Assmann, die an der Uni Konstanz Kulturwissenschaften lehrt, erfolgt schließlich die feierliche Übergabe der Ehrendoktorwürde durch die Dekanin des Fachbereichs Geschichts- und Kulturwissenschaften Eun-Jeung Lee. Unter dem Applaus der Anwesenden nimmt Margot Friedländer ihre Urkunde entgegen. Sie lacht freudig ins Publikum und zeigt stolz das Dokument. Dann umarmt sie das Buch, in dem sich die Urkunde befindet. Sie sagt: „Was Menschen getan haben, weil sie sie nicht als Menschen angesehen haben, darf nie wieder passieren.”
Doctor honoris causa
Doch was ist eigentlich eine Ehrendoktorwürde? Der Doctor honoris causa, der Doktor ehrenhalber, kann Personen verliehen werden, die hervorragende wissenschaftliche, zumal auch kulturelle oder öffentliche Leistungen erbracht haben. Die Ehrendoktorwürde ist kein akademischer Grad und wird daher auch an Nicht-Akademiker*innen verliehen. Hierfür ist ein Antrag der*des Dekan*in, der Forschungskommission oder anderer Hochschullehrender notwendig. Außerdem müssen Gutachten erstellt und von der Promotionskommission geprüft werden.
Bei Margot Friedländer kam die Kommission zum Schluss, dass sie „eine Persönlichkeit [sei], deren unerschütterliche Haltung der Menschlichkeit aus schwieriger Erinnerung auf die unverzichtbaren Grundlagen freier und verantwortlicher Wissenschaft verweist.“ Dieser bürokratische Prozess zeigt sich auch auf der Verleihung, denn die Urkunde müsse in voller Gänze vorgelesen werden, sonst gelte sie nicht.
Zwei Generationen, zwei Perspektiven und eine Freundschaft
Auf die Vergabe des Titels folgt ein Podiumsgespräch, moderiert von dem Historiker und FU-Professor Dr. Paul Nolte. Neben Friedländer sitzt ein auffallend junger Mann. Vincent Bruckmann ist Masterstudent der Public History an der FU. Ihn verbindet eine besondere Freundschaft mit der Zeitzeugin. Zum ersten Mal traf er sie bei einer Lesung ihres Buches, bei der er, erzählt Bruckmann lachend, sogar zu spät kam. Seitdem steht der Student im engem Kontakt mit Friedländer und organisierte unter anderem eine Lesung mit ihr an der FU.
Sein Großvater, so erzählt Bruckmann, sei Wehrmachtssoldat gewesen. Durch die Auseinandersetzung mit der Schuld seiner Familie in den Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes, hat er begonnen, sich ebenfalls gegen das Vergessen einzusetzen. Er wird im Gespräch als „Zweitzeuge” bezeichnet. Damit tut er genau das, was Friedländer immer wieder betont: Junge Menschen sollen sich mit Geschichte beschäftigen und die Arbeit weiterführen, die Zeitzeug*innen, wie sie, nicht mehr lange machen können.
Es ist unglaublich, was ein Mensch erleben und leisten kann. Margot Friedländer kann sich zurecht nun mit dem Titel Dr. h.c. schmücken. 101 Lebensjahre und eine Menge Aufklärungsarbeit. Wie lange sie das noch weitermachen möchte? Das tut Friedländer ganz lässig ab: „Solange es geht, gehts noch!”