Das Herz klopft, Gänsehaut macht sich am Körper breit und der Atem stockt – Angst ist eine Emotion, die wir alle kennen. Doch was, wenn Angst zum ständigen Begleiter wird? Wie sich Angststörungen anfühlen und warum so viele Studierende unter ihnen leiden.
Es war an einem Sommerabend im Freiluftkino. Zoé guckte in den dunklen Nachthimmel. Sie erblickte eine Sternschnuppe, doch anstatt sich etwas zu wünschen, bekam sie es mit der Angst zu tun. Kam die Sternschnuppe immer näher? Würde gleich ein Meteorit einschlagen? In der Zeit danach träumte sie jede Nacht davon, dass die Welt untergeht.
Zoé erinnert sich noch gut an die Anfänge ihrer Angststörung, damals war sie 18. Heute ist sie 26 Jahre alt und studiert Geschichte und Politikwissenschaft an der FU. Seit dem Abend im Freiluftkino begleiten sie Angstzustände in ihrem Leben. An einem Café vorbeilaufen, in einer vollen U-Bahn sitzen oder eine fremde Person anrufen – was für andere alltägliche Aktivitäten sind, ist für Zoé nur schwer möglich. „Ich habe immer das Gefühl, dass irgendwo eine Gefahr lauert und ich aufpassen muss“, erzählt sie.
Angststörungen verursachen nicht nur psychische Symptome
Eigentlich ist Angst etwas ganz Normales. Sie soll uns davor schützen, Gefahren einzugehen, und ist somit lebensnotwendig. Treten diese Ängste übermäßig auf, sodass die Lebensqualität eingeschränkt wird, spricht man von einer Angststörung. Unterscheiden lassen sich generalisierte Angststörungen, Panikstörungen und Phobien. Während bei Phobien spezifische Situationen Besorgnis erregen – wie beispielsweise bei der sozialen Phobie, wo alltägliche soziale Interaktionen zur Belastung werden –, treten bei der generalisierten Angststörung eher diffuse Ängste auf. Die Panikstörung dagegen beschreibt das Auftreten massiver Panikattacken, die mit starken körperlichen Symptomen wie Herzrasen und Schwindel einhergehen.
Die Angststörung gilt zwar als psychische Krankheit, doch für Diplompsychologin Brigitte Reysen-Kostudis, Mitarbeiterin an der psychologischen Beratungsstelle der FU, ist klar: „Körper und Psyche können nicht getrennt werden, das gehört immer zusammen.“ So würden körperliche Schmerzen nach einem Unfall auf die Psyche schlagen. Umgekehrt reagierten auch Organe auf psychische Belastungen, wofür Magen-Darm-Probleme ein typisches Beispiel seien.
So schildert auch Zoé, wie sich das Zusammenspiel von Psyche und Körper bei ihr auswirkt: „Wenn ich Angst habe, dann werde ich müde und schlapp und kann mich nicht bewegen.“ Während andere bei Aufregung Herzklopfen bekommen, hat Zoé das Gefühl, ihr Herz bliebe stehen. Anders ist das, wenn Zoé eine Panikattacke hat: „Dann zittere ich, kriege schlecht Luft und habe Herzrasen. Ein paarmal dachte ich schon, das sei ein Herzinfarkt, und habe einen Krankenwagen gerufen. Ich dachte, ich würde sterben.“
Einen großen Anteil ihrer Angststörung machen bei Zoé soziale Phobien aus. Sie erklärt, mit Menschen in Kontakt treten zu müssen, löse bei ihr Unbehagen aus. „Ich darf nicht so lange unter zu vielen Menschen sein und brauche immer wieder Zeit, um durchzuatmen. Ich passe auf, dass ich nur mit Leuten unterwegs bin, die empathisch sind und bei denen ich mich wohlfühle.“
Studierende und Angststörungen
Ängste sind unter Studierenden an der FU keine Seltenheit – das zeigt der University Health Report aus dem Jahr 2021. In der Onlinebefragung gaben 38 Prozent der befragten Studierenden an, unter Symptomen einer Angststörung zu leiden. Erfragt wurden Symptome wie „Nervosität, Ängstlichkeit oder Anspannung“ sowie ein „Mangel an Kontrolle über die eigenen Sorgen“. Diese Ergebnisse sind zwar nicht mit diagnostizierten Angststörungen gleichzusetzen, doch auch der Gesundheitsreport der Techniker Krankenkasse im Jahr 2015 lieferte schon Hinweise darauf, dass Studierende, verglichen mit jungen Erwerbstätigen, verhältnismäßig oft unter Angsterkrankungen leiden. Aber woran liegt das?
„Bei Studierenden fehlen oft Strukturen, die Sicherheit geben“, erklärt Reysen-Kostudis. Durch ihre Tätigkeit als psychologische Beraterin an der FU kennt sie die individuellen Sorgen der Studierenden, aber auch die Bedingungen des Studiums, die diese auslösen. So sei das große Maß an Selbstorganisation und oft fehlender Rückmeldung seitens der Lehrkräfte ein Auslöser für Ängste: „Studierende haben häufig dieses Gefühl: Ist das gut genug gewesen? Sollte ich die Hausarbeit nicht doch noch mal verbessern?“ Diese ständige Unklarheit, ob die erledigte Arbeit auch wirklich reiche, führe bis hin zu Ängsten, das Studium nicht zu schaffen. Hohe Durchfallquoten bei wichtigen Prüfungen, wie beispielsweise bei den juristischen oder pharmazeutischen Studiengängen, verstärkten diese Tendenz noch.
In geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern kämen Ängste jedoch nicht seltener vor. Denn gerade bei Studiengängen ohne festes Berufsbild gebe es oft Zweifel, ob man gut genug oder überhaupt fähig sei, ins Berufsleben einzutreten. „Studierende schätzen sich oft sehr viel kritischer ein als es der Realität entspricht“, merkt Reysen-Kostudis an.
Verantwortlich für die Ängste der Studierenden ist laut Reysen-Kostudis aber auch das „Dazwischen-Sein“, was im Fachjargon als ‚prolongierte Adoleszenz‘ bezeichnet werde. Das heißt: Studierende müssten zwar oft schon ähnlich viel Verantwortung übernehmen wie Erwerbstätige, begegneten dabei aber vielen nicht altersgemäßen Abhängigkeiten. Allem voran die finanzielle Abhängigkeit, bei der den Eltern oder dem BAföG-Amt erklärt werden müsse, wie lange das Studium denn noch dauere. „Für das Alter ist das entwürdigend“, sagt Reysen-Kostudis. All diese Sorgen führten bei Studierenden zu Verunsicherungen und „verunsicherte Menschen sind generell anfälliger für Ängste.“
Eine Angststörung kommt häufig nicht allein
In der Beratungsstelle stünden Ängste nach Arbeitsstörungen (Anm. d. Red.: (häufiges) Nicht-Erreichen der als wichtig beurteilten Arbeitsziele) und Depressionen an dritter Stelle der Gründe, die als Anlass für das Aufsuchen der Beratungsstelle angegeben werden. Teilweise lasse sich das jedoch nicht voneinander trennen, denn oftmals gingen Angststörungen mit anderen psychischen Problemen einher. Auch Zoé erzählt, dass sie schon früh mit Depressionen gekämpft habe.
Erste Bewältigungsstrategien bei Ängsten seien körperzentrierte Übungen, die Stress reduzierend wirken wie Atemübungen oder sportliche Betätigung, so Reysen-Kostudis. Anderen helfe ein Gespräch mit Freund*innen. „Das ist dann eine Ablenkung von den inneren Monologen, die immer unsicherer machen“, sagt Reysen-Kostudis. Wer sich vor Angsterkrankungen schützen wolle, sollte Sicherheit schaffen: ein sicheres Umfeld, feste Beziehungen pflegen und auch schauen, dass die elementaren Bedürfnisse – Wohnung, Studium, Finanzen – nicht übermäßig Grund zur Sorge geben und weitgehend geregelt sind.
Die Angststörung beeinträchtigt Zoé stark in ihrem Alltag. An manchen Tagen schaffe sie es nicht aufzustehen, um in die Uni zu fahren. Manchmal seien selbst essen oder auf Toilette gehen zu viel. Sie glaubt, wenn sie die Angststörung nicht hätte, wäre sie viel extrovertierter und aktiver: „Es ist sehr anstrengend, Sachen nicht machen zu können, die man eigentlich machen will, weil man Angst davor hat.“
Sich Hilfe suchen
Wer unsicher ist, ob die eigenen Ängste ein gesundes Maß überschreiten, sollte laut Reysen-Kostudis ein Gespräch mit Psycholog*innen vereinbaren, um abzuklären, ob die Probleme behandlungsbedürftig sind. Wie eine Angststörung therapiert werde, sei unterschiedlich: „Es muss immer auf den Einzelfall geschaut werden“, so Reysen-Kostudis. Bei vielen Ängsten sei jedoch die Verhaltenstherapie die Methode der Wahl. Hier gehe es darum, „Übungen an die Hand zu bekommen, um mit der Angst umzugehen“. Das könnten die Analyse und Veränderung von Handlungsabläufen und Gedankenspiralen sein oder auch Entspannungsübungen, erklärt die Diplompsychologin.
Zoés Angststörung ist bislang nicht systematisch therapiert worden, auch wenn sie schon von verschiedenen Psychotherapeut*innen diagnostiziert wurde. Derzeit versucht sie aber, einen Platz in der Verhaltenstherapie zu bekommen, um ihren Ängsten etwas entgegenzusetzen. Ihr Selbstbewusstsein lässt sie sich von der Angststörung nicht nehmen: „Ich weiß, wer ich bin und was ich kann. Ich finde mich toll.“
Wir haben uns dazu entschieden in unserem Heft Begrifflichkeiten zu verwenden, die möglichst antidiskriminierend sind. Falls dir ein Begriff oder eine Schreibweise nicht bekannt sein sollte, kannst du die Bedeutung hier nachlesen.