Körper im Widerstand

Der Körper ist nicht nur häufig Gegenstand von, sondern auch Mittel zum Protest. Dabei machen sich Aktivist*innen auch angreifbar. Wie stark kann die eigene Körperlichkeit Teil von zivilem Ungehorsam sein? Von Caroline Blazy und Laura von Welczeck.

Die Sitzblockade ist eine Form des zivilen Ungehorsams. Illustration: Nina Schlömer.

Auf der Weltklimakonferenz COP 26 in Glasgow hat Sophie 2021 gemeinsam mit anderen Aktivist*innen eine Straße blockiert. Mit Fahrradschlössern aneinander gekettet, auf der Straße sitzend, musste sie ruhig bleiben und ihren Mitstreiter*innen, die sie vor der Aktion kaum kannte, vertrauen. Sophie, die neben ihrem Klimaaktivismus an der FU studiert, musste für diese Aktion eine Nacht in Polizeigewahrsam. Besonders prägend sei für sie der Moment gewesen, in dem die Tür zuging und sie erkannte, dass an der eigenen Seite kein Griff vorhanden war, in dem sie merkte, dass sie bis auf einen Anruf, eine Decke und Wasser kaum mehr Rechte hatte. Dieser Moment, in dem sie nicht mehr frei auf die eigenen körperlichen Bedürfnisse reagieren konnte. 

Sie erzählt von der Wut, die sie empfunden habe angesichts dieser Ungerechtigkeiten im Umgang mit der Klimakrise. Denn mit ihrer Sitzblockade – einem eigentlich kleinen Delikt –, welche Geschäftsführer*innen und Politiker*innen von einem schicken Abendessen in Glasgow abhielt, haben sie und ihre Mitstreiter*innen lediglich gegen die Straßenverkehrsordnung verstoßen. 

Ich wusste, ich habe jetzt eine richtige Scheißnacht und mich wird das richtig prägen, aber immerhin habt ihr keinen Kaviar gegessen.

Sophie, Klimaaktivistin

„Eine körperliche Forderung nach besseren Lebensbedingungen” – so beschreibt die US-amerikanische Philosophin Judith Butler den Einsatz des eigenen Körpers als Form des politischen Protests. Vor dem Bundestag formte sich im April ein Teppich aus Menschen, um gegen den russischen Angriffskrieg in der Ukraine zu protestieren. In Hongkong und Belarus haben Menschen aus Protest gegen ihre Regierung öffentliche Plätze eingenommen und auch an der FU haben Studierende zivilen Ungehorsam in Form von Hörsaal-Besetzungen genutzt, um auf ihre Forderungen aufmerksam zu machen – so zum Beispiel in der ‚Klimastreikwoche‘ im November 2019. Doch was ist ziviler Ungehorsam und was macht ihn so körperlich? 

Ziviler Ungehorsam für die Demokratie

In der langen Geschichte des zivilen Ungehorsams finden sich sowohl individuelle Held*innenfiguren als auch kollektive Praktiken des Widerstands: Antigones individueller Aufstand gegen die vorherrschenden gesellschaftlichen Normen der Antike ist ebenso ziviler Ungehorsam wie die von Mahatma Gandhi und Martin Luther King angeführten Massenbewegungen gegen Kolonialismus und Rassismus im 20. Jahrhundert. 

Ziviler Ungehorsam ist eine „kollektive Praktik, deren spezifische Form sich erst im 19. und 20. Jahrhundert entwickelt hat, auch weil erst dann politische Systeme entstanden sind, die sich dezidiert als demokratisch verstanden haben”, erklärt Robin Celikates, Professor für Sozialphilosophie an der FU. Diese Wendung habe eine Anpassung von zivilem Protest erfordert, da demokratische politische Systeme im Prinzip nun Legitimität beanspruchen konnten. Mit zivilem Ungehorsam solle nun nicht mehr – wie im Widerstand gegen Tyrannei – das ganze System gestürzt, sondern auf eine weitere Demokratisierung hingearbeitet werden. Heute finde sich diese Art des Protests auch in prodemokratischen Bewegungen in autokratischen Regimen wieder, wie der Arabische Frühling oder die Proteste in Russland im Frühjahr zeigten.

Sophie begreift ihren eigenen Körper im Aktivismus vor allem als „erweitertes Mittel der Demokratie.” Es gehe darum, auf die globalen und vielschichtigen Ungerechtigkeiten hinzuweisen, die die Klimakrise bereits verursacht hat und zukünftig auslösen wird. „Das zeigt ja die Verzweiflung. Der letzte Weg, den wir haben, ist, unseren Körper zu nutzen, denn mehr bleibt uns nicht.” 

Verletzlichkeit im Aktivismus

Wenn Sophie aktivistisch tätig ist, dann ändere sich ihr Körperempfinden. Als sie, zusammen mit anderen Aktivist*innen der Gruppe Ende Gelände, durch eine Sitzblockade gegen den Braunkohleabbau protestierte, habe sie auf Grundbedürfnisse, wie den Gang zur Toilette oder die Menstruation, kaum achten können. Deshalb sei es bei solchen Aktionen noch wichtiger als sonst, auf den eigenen Körper zu hören. Im schlimmsten Fall könne ein Heraustreten aus der Gruppe dazu führen, dass die eigene Identität preisgegeben werden muss. Sophie sei bei diesen Formen des Protests sehr unter Spannung und stelle sich dann auch mal die Frage: Schaffe ich das, schafft mein Körper das? 

Es sei daher wichtig, Protestaktionen ausreichend zu planen. Celikates sieht das ähnlich: Man müsse wissen, wie man sich in so einer Situation verhält und bei Provokationen Eskalation vermeidet. „Man kann in eine Sitzblockade nicht ohne Vorbereitung gehen, weil das extrem belastend für Körper und Psyche ist und man als Gruppe das politische Ziel im Blick behalten muss.”

Diese Vulnerabilität des Körpers, welche man bewusst in Kauf nimmt, ist für Celikates eine der beiden entscheidenden Punkte im Aktivismus. Den anderen sieht er im kollektiven Körpereinsatz. Denn erst wenn eine kritische Masse an Demonstrierenden erreicht sei, könne ziviler Ungehorsam erfolgreich sein. Erst dann werde der Protest öffentlich wahrgenommen und die Bewegung könne den entsprechenden Druck aufbauen. Für Sophie führe der gemeinsame Protest vor allem zu einem Gefühl von kollektiver Ermächtigung und der Hoffnung, tatsächlich etwas zu bewirken.

Die Grenzen der Gewalt

Die Frage, welche Verstöße im zivilen Ungehorsam (noch) legitim sind, ist entscheidend für diese Form des Protests und steht immer wieder zur Debatte. Denn neben Sitzblockaden gehören auch Praktiken wie Sachbeschädigung, Besetzung von Wäldern und Häusern, Hungerstreik oder sogar Selbstverbrennung zum zivilen Ungehorsam dazu. Gegner*innen solcher Proteste bezeichnen diese oftmals vorschnell als ‚Gewalt’, um sie zu delegitimieren. Celikates führt dazu aus: „Der Gewaltbegriff ist sowohl sehr schwammig als auch schnell zur Hand, wenn es um Protest geht. Da muss man genau hinschauen, denn im Prinzip gewaltfreie Aktionen wie Straßenblockaden werden aus Perspektive von Recht und Öffentlichkeit oft als gewaltsam wahrgenommen.” Andererseits sei auch klar, dass ziviler Ungehorsam nicht mit starker physischer Gewalt gegen andere vereinbar ist.

Wo protestiert wird, ist die Polizei nicht weit. Illustration: Nina Schlömer.

Sophie zieht die Grenze dort, wo andere Menschen zu Schaden kommen könnten. Sie steht damit in Einklang mit einer weiteren Aussage Judith Butlers: „Gewaltfreier Widerstand bedarf eines Körpers […], der mit seinem Handeln eine Welt begründen will, die anders ist als die, der er begegnet, und das bedeutet, der Gewalt zu begegnen, ohne deren Bedingungen zu reproduzieren.” Sophie möchte bei ihrem Protest die Menschenrechte achten. Denn das sei genau das, was sie mit ihren Aktionen kritisiere: Menschenrechte würden momentan dauerhaft beschnitten. Damit verweist sie auf die bereits existierenden Folgen der Klimakrise, wie vermehrte Wetterextreme, Dürren und Hunger. Diese treffen vor allem Menschen im Globalen Süden schon heute, obwohl diese gleichzeitig viel weniger zur Krise beitragen. 

Die eigenen Privilegien, die sie als weiße Frau in Europa genießt, möchte Sophie daher nutzen, um für genau diese betroffenen Menschen einzustehen. Celikates sagt in diesem Zusammenhang: „Nicht alle Beteiligten haben die gleichen Möglichkeiten, sich auf diese Weise im öffentlichen Raum zu positionieren oder auch den Risiken auszusetzen, die dann mit Körpereinsatz im Rahmen von Protest einhergehen.” Dies treffe insbesondere auf People of Color und Migrant*innen, in einigen Ländern aber auch auf andere marginalisierte Gruppen, wie LGBTQ*-Personen, zu. Er hält es jedoch für wichtig, darauf zu achten, dass das Sprechen im Namen anderer nicht zur Ermächtigung über diese führe und weitere Asymmetrien reproduziere. 

Am Ende bleibt die Frage, wie sich die Welt ohne zivilen Ungehorsam entwickelt hätte. Celikates hält solche Protestformen in Demokratien für unerlässlich. Dass ziviler Protest dabei immer auch die Vulnerabilität des Körpers als solchen zum Thema macht, zeigen Sophies Erfahrungen eindrücklich. Doch bereits das Gefühl, auf einer Demonstration in der Menge zu stehen und gemeinsam bessere Lebensbedingungen einzufordern, lässt dies nachempfinden. 


Wir haben uns dazu entschieden in unserem Heft Begrifflichkeiten zu verwenden, die möglichst antidiskriminierend sind. Falls dir ein Begriff oder eine Schreibweise nicht bekannt sein sollte, kannst du die Bedeutung hier nachlesen.

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