Solidarität mit iranischen Studierenden

Seit dem Tod Mahsa Aminis reißen die Protestbewegungen im Iran nicht ab. Auch in Berlin bekunden zehntausende Menschen ihre Solidarität. Ein Dossier von Lara-Ann Fischer und Leonard Wunderlich.

Rufe von „Frauen, Leben, Freiheit“ legen sich über Berlin. Am Großen Stern stehen rund 80.000 Menschen versammelt. Hoch über den Köpfen funkelt die bekrönte Goldelse als Abbild der griechischen Siegesgöttin Viktoria in der strahlenden Oktobersonne. Es ist das Streben nach dem Sieg, das die Menschen zusammenbringt. In Solidarität und Unterstützung erheben sie mit den Menschen im Iran ihre Stimme gegen das repressive Mullah-Regime. An vorderster Protestfront sind es Studierende und Frauen, die für eine freiheitliche Zukunft kämpfen. Ihre Rufe im Iran verbinden sich an diesem Nachmittag mit jenen in Deutschland und erstrecken sich über sämtliche Bevölkerungsgruppen. Sie eint die Wut auf die Mullahs, aber auch die Hoffnung auf eine bessere Zukunft – ein freies und gerechtes Leben im Iran. 

Der Tod der jungen Mahsa Amini (22) entfesselte im Iran landesweite Proteste. Während einer Reise in die Hauptstadt Teheran war Amini von der Sittenpolizei aufgegriffen worden, da sie ihr Kopftuch nach offiziellen Angaben nicht vorschriftsgemäß trug. Nach ihrer Verhaftung starb sie im Krankenhaus. Die Behörden beharren darauf, dass Amini während ihres Gewahrsams Herzprobleme bekam und aufgrund deren in ein Koma fiel. Augenzeuginnen hingegen berichten von schwerer Misshandlung Aminis durch die Sittenpolizei, sodass sie durch wiederholte Schläge stark am Kopf verletzt und schließlich ohnmächtig geworden sei. 

Repression und Unfreiheit

Die iranische Sittenpolizei hat grundsätzlich den Auftrag, die strengen Kleidungsvorschriften der Regierung durchzusetzen. Laut Gesetz müssen Frauen im Iran nicht nur „keusche“ Kleidung, sondern auch ein Kopftuch tragen, das ihr Haar bedeckt. Das Kopftuch ist zudem weit mehr als nur ein Kleidungsstück. Es ist Symbol der Islamischen Republik und ein Zeichen von Treue gegenüber dem Regime. Jede Frau, die sich diesen Regeln widersetzt, riskiert, von der Sittenpolizei verhaftet und einer sogenannten „Wiedererziehung“ unterzogen zu werden. Diese solle sie an islamische Werte erinnern und zu einem entsprechenden Verhalten zwingen. Das Gesetz ist diesbezüglich allerdings nicht eindeutig. Das hatte Frauen, insbesondere in Teheran, in den letzten Jahren die Freiheit verschafft, ihre Kopftücher lockerer zu tragen und sich freizügiger kleiden zu können. Seit dem Sommer 2022 greift das Regime jedoch erneut verstärkt durch und Berichte über Misshandlungen von Frauen häufen sich. 

Schauplatz Campus

Als Mahsa Aminis Tod öffentlich wird, brechen Proteste aus. Frauen verbrennen ihre Kopftücher und tanzen mit offenem Haar auf der Straße. Sie protestieren gegen das Regime und die Gesetze, die sie zwingen, sich auf eine bestimmte Art und Weise zu kleiden. Sie fordern Selbstbestimmung. Und sie sind sich bewusst, dass jede von ihnen das gleiche Schicksal wie jenes Aminis hätte erleiden können. Mahsa wird zum Symbol der Freiheitsbewegung. 

Die Proteste werden hauptsächlich von jüngeren Frauen, insbesondere Studentinnen, angeführt. Sie fühlen sich durch repressive Gesetze, die ihre Freiheiten in die Hände ihrer Väter und Ehemänner legen, stark eingeschränkt. So weiten sich ihre Forderungen auf eine generelle Gleichberechtigung und Selbstbestimmung in allen Bereichen des Lebens aus.

Bald schon spielen Studierende jeden Geschlechts eine zentrale Rolle in der Bewegung, und in vielen Fällen wird der Universitätscampus zum Schauplatz der Proteste. In Videos und auf Bildern, die auf sozialen Netzwerken Verbreitung finden, zeigen sich Studierende vielerorts solidarisch mit verhafteten Kommiliton*innen. Mit Sitzstreiks auf dem Campus fordern sie deren Freilassung und trotzen dem brutalen Vorgehen der Sicherheitskräfte. Laut Oppositionsgruppen versuche das Regime immer drastischer derartige Protestaktionen mit Razzien und Tränengas aufzulösen.

Für Studierende bieten die Proteste eine Möglichkeit, weiterführende Kritik am Regime zu üben. Mit einer Arbeitslosenrate der Absolvent*innen von 42% ist die wirtschaftliche Situation im Iran für viele aussichtslos. Eine Situation, die durch den unilateralen Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen und dem Neuauflegen schwerer Sanktionen unter Ex-Präsident Trump noch dramatischer wurde. Für die Studierenden sind die Proteste eine Gelegenheit, ihrer Hoffnungslosigkeit Ausdruck zu verleihen und auf Veränderungen zu drängen.

Zeitenwende im Iran?

Das Regime erkennt in den Protesten eine Bedrohung seiner Herrschaft und reagiert brutal. Nach Angaben der US-amerikanischen Human Rights Activists News Agency sind bereits mehr als 300 Demonstrierende getötet, mehr als 14.000 verhaftet worden. Doch auch nach einigen Wochen reißen die Proteste nicht ab. Im Gegenteil schwellen sie immer weiter an, und überall aus dem Iran erscheinen Bilder von Frauen und Männern, die den Drohungen und der Brutalität des Regimes trotzen. In immer größerer Zahl legen Frauen ihre Kopftücher auf offener Straße ab. Mittlerweile haben sich die Proteste auf weite Teile der Mittelschicht ausgeweitet, welche in den letzten zehn Jahren ebenfalls immer tiefer in die Armut abgerutscht ist.

Die Hoffnung, dass die derzeitigen Proteste den Beginn eines neuen Kapitels markieren, ist groß. Was als Forderung nach stärkeren Frauenrechten begann, ist mit dem Protesteintritt weiterer Bevölkerungsgruppen zu einer Bewegung herangewachsen, die den „Tod des Diktators“ und damit ein Ende der Islamischen Republik fordert. Es ist eine Entladung des geballten Unmuts einer Bevölkerung, die nicht mehr bereit ist, den Status Quo zu akzeptieren und als Konsequenz das Ende des gesamten Systems fordert. 

Ob diese Forderungen erfolgreich sein werden, lässt sich derzeit nicht voraussagen. Vieles hängt davon ab, inwieweit das Regime Erfolg damit haben wird, die Proteste niederzuschlagen, oder ob solche Versuche diese nur noch stärker entflammen. Der große Andrang bei Veranstaltungen wie in Berlin zeigt, dass die internationale Solidarität mit iranischen Protestierenden groß ist und die Hoffnung keimen lässt, dass sich Zeiten ändern können. 

Autor*innen

Leonard Wunderlich

Hat den leisen Verdacht, dass Hochschulpolitik doch irgendwo nicht völlig unwichtig ist.

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