Die Angst vor der Angst

Wohnraum bedeutet Sicherheit. Doch wem wird sie gewährt? Und zu welchem Preis? Diese Fragen wirft Natalia Sinelnikova in ihrem dystopischen Abschlussfilm Wir könnten genauso gut tot sein an der Filmuniversität Babelsberg auf. Lily Henning und Amelie Schmidt waren bei der Premiere.

Co-Autor Viktor Gallandi, Regisseurin Natalia Sinelnikova und Produktionsassistent Friedrich Fedder vor dem Filmmuseum in Babelsberg. (v.l.n.r.). Foto: Lily Henning

Das Ringen um Sicherheit und die Angst, diese zu verlieren, werden in Natalia Sinelnikovas dystopischem Debütfilm zu ständigen Mitbewohnern. Zentraler Schauplatz ist das Phöbushaus: ein mit Stacheldraht von der Außenwelt isoliertes Hochhaus, das an eine Mischung aus Krankenhaus und 70-er Jahre DDR-Mehrfamilienblock erinnert. Wer hier leben darf, hat es geschafft und ist in Sicherheit.

Auch die Bewerber*innen sind davon überzeugt, hier Harmonie und Schutz vor dem Draußen zu finden und stellen sich den strengen Aufnahmekriterien des Hauses. Ein gutes Ansehen, soziales Engagement, Sportlichkeit und ein ausgeglichenes Auftreten sind unerlässliche Bedingungen für eine Aufnahme.

Sicherheitsbeamtin Anna hat das Glück, gemeinsam mit ihrer Tochter Iris einen Platz in dieser Gemeinschaft ergattert zu haben. Der Alltag der beiden folgt von nun an einem strikten Verhaltenskodex, der dazu dienen sollen die Bewohner*innen vor der gefährlichen Welt außerhalb des Geländes zu schützen.

Angst und Misstrauen

Eines Tages beginnt Iris, sich im Badezimmer einzuschließen und weigert sich, dieses zu verlassen. Sie ist überzeugt davon, Schreckliches vorhersehen zu können. Als dann auch noch der Hund eines Bewohners verschwindet, machen sich Angst und Misstrauen in der Gemeinschaft breit und die Ordnung beginnt zu bröckeln. Dabei realisieren die Bewohner*innen, dass das Gefühl, sicher zu sein, genauso wichtig ist wie die Sicherheit selbst.

Was genau die Außenwelt so furchteinflößend macht, bleibt in dem Film komplett offen. “Das ist ganz gewollt so gemacht”, meint Co-Autor Viktor, der mit Natalia zusammen zwei Jahre lang am Drehbuch geschrieben hat.

Projektionsfläche für die eigene Angst

Vielleicht ist der Grund für die Angst auch gar nicht so wichtig. Es geht mehr darum, dass jeder Mensch sie hat. Das Draußen bleibt eine Leinwand, auf die die Zuschauenden alle ihre eigenen Ängste und düsteren Vorstellungen projizieren. Der Film soll auch zum Nachdenken anregen: Nach welchen Kriterien schließen wir Menschen aus?

Beengte Kameraeinstellungen und die kalten Farben des Hochhauskomplexes, aber auch die intensive, schwere Musik schaffen eine beklemmende, fast klaustrophobische Atmosphäre. Trotzdem kommt in Wir könnten genauso gut tot sein überraschenderweise auch der Humor nicht zu kurz. “Durch das zwischenzeitliche Lachen wird das ganze erst erträglich”, sagt Natalia Sinelnikova. 

Als Zuschauer*in wird man entführt in einen Mikrokosmos, der die Debatten rund um Ungerechtigkeiten, Mechanismen und Machtsrukturen unserer Gesellschaft widerspiegelt. Vielleicht ist es ganz egal, was draußen ist. Das Angsteinflößendste spielt sich im Inneren dieses Hochhauses ab.

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