Queere Selbstdarstellung und Identität vor der Kamera

Was sagen Kleidung und Aussehen über Geschlecht und Sexualität aus? Und wie vermag Fotografie queeren Selbstausdruck festzuhalten? Das C/O Berlin stellt mit Queerness in Photography ein intimes Stück queerer Geschichte aus. Mila Velichkova hat sich die Ausstellung angeschaut.

Ein kleines Foto wurde zum großen Gesicht von Queerness in Photography. Foto: Mila Velichkova.

Das Ausstellungshaus C/O Berlin zeigt seit September die Inszenierung von Identität, Geschlecht und Sexualität in Fotografien der 1860er Jahre bis heute. Die dreiteilige Ausstellung gibt hierbei teils sehr private Einblicke in das Leben queerer Personen, mit Fokus auf das 20. Jahrhundert.

Unbekannte Gesichter 

Nach einer kurzen thematischen Einführung beginnt die Ausstellung mit dem Abschnitt Under Cover. A Secret History of Cross-Dressers. Sébastien Lifshitz Collection. Betritt man den ersten Raum, so blickt man direkt in die Augen des unbekannten Mannes mit den roten Lippen und dem blauen Lidschatten, dem Gesicht von Queerness in Photography. Wer er ist, wird nicht verraten. Die Umstände der Entstehung der meisten Fotografien, sowie die Identität der abgebildeten Personen bleiben, wie der Name schon verrät, „under Cover“. 

Trotz ihrer Anonymität bleiben die Bilder, die aus der Sammlung des französischen Filmemachers Sébastien Lifshitz stammen, nicht kontextlos. Die verschiedenen thematischen Abschnitte der Ausstellung werden immer wieder mit kurzen Texten eingeleitet, doch der Fokus liegt stets auf den Protagonist*innen und schafft so Raum für die Interpretation des Beobachtenden.

Cross-Dressing: Zwischen Kunstform und Selbstdarstellung 

Der Themenschwerpunkt liegt zunächst auf dem Cross-Dressing – einer Praktik, die sich zwischen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts als Teil der schwulen Subkultur entwickelte. Durch das Tragen klassischer „Frauenkleidung“ fand eine Überschreitung der Kleidungsnormen binärer Gesellschaften statt. Die Ausstellung ermöglicht einen Einblick in die vielen Facetten dieser Kunstform: von Gefangenenlagern im 2. Weltkrieg über private Communities und Paare bis hin zum weiblichen Cross-Dressing, als Zeichen der Emanzipation. Es wird deutlich, dass weder das Cross-Dressing als Praktik, noch die Selbstdarstellung durch Kleidung und Aussehen im Allgemeinen mit der eigenen Sexualität und Identität zu tun haben müssen. Die zahlreichen Fotografien werden vereinzelt von Videoausschnitten ergänzt, in einem Nebenraum wird sogar ein Kurzfilm über das Leben der bekannten Performerin Bambi gezeigt.

In den hinteren Räumen wird mit Casa Susanna. Cindy Sherman Collection ein Treffpunkt für Cross-Dresser*innen und trans Frauen in den 1950er und 60er Jahren vorgestellt. Die Fotografien und ein kurzer Ausschnitt aus dem Dokumentarfilm Casa Susanna (2022) zeigen teils glamourös, teils in Alltagskleidung posierende Einzelpersonen, sowie Gruppenbilder beim Essen, im Garten oder beim gemütlichen Beisammensitzen. Das Casa wurde im US-Bundesstaat New York von Susanna Valenti und ihrer Frau Marie gegründet und war ein Ort des Austausches und des Experimentierens mit der Vorstellung von Weiblichkeit und Selbstdarstellung. Die von den Fotos vermittelte Atmosphäre der Ausgelassenheit zeugt von einem besonderen Safe Space für queere Personen zu einer Zeit, in der Cross-Dressing streng unterdrückt und bestraft wurde.

Die Künstlerin Mickalene Thomas möchte mit ihrer Arbeit eine zeitgenössische Darstellung von Geschlecht und Sexualität schaffen. Foto: Mila Velichkova

Orlando fast 100 Jahre später

Der letzte Teil der Ausstellung ist inspiriert von Virginia Woolfs Roman Orlando (1928), in dem diese das binäre Geschlechterverhältnis hinterfragt. Die Ausstellung ist Teil eines Projekts der Aparture Foundation, das die Schauspielerin Tilda Swinton zum Thema Orlando mitentwickelte und zeigt die vielfältige Interpretation und Inspiration des Romans von internationalen Künstler*innen. Von Porträts in aristokratischen Kostümen über Straßenshootings in Johannesburg bis hin zu minimalistischen Polaroid-Fotografien – die Ausstellungsstücke fordern gezielt die binäre Zuordnung von Geschlechtern heraus.

Abgerundet wird die Ausstellung im letzten Raum mit einem Glossar queerer Begriffe, die historisch und kulturell mit dem Inhalt der Ausstellung verflochten sind, was Queerness in Photography zugänglich für Personen macht, die noch nicht so viel Wissen über queere Themen haben.


Interessierte können sich die Ausstellung noch bis zum 18. Januar ansehen, alle Informationen findet man auf der Internetseite des C/O Berlin.

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