„Gebeine in Kartons wie Schuhe in Regalen“

Das Institut für Biologie an der FU hat menschliche Überreste zweifelhaften Ursprungs in seiner Sammlung. Auf Initiative der Lehrenden wirft es nun einen kritischen Blick auf seine Geschichte. Die Informationsveranstaltung zum Provenienzforschungsprojekt berichtete über Stand und Pläne. Alexandra Enciu war vor Ort.

In der Zoologischen Sammlung befinden sich auch menschliche Überreste. Diese werden seit 2021 nicht mehr in der Lehre verwendet. Foto: Lisa Umbricht

Im etwas veralteten Vorlesungssaal in der Königin-Luise-Straße 1/3 quietschen an einem Dienstag Mitte Januar die hölzernen Bänke. Um 14:50 sind ungefähr zehn Menschen da. Die Organisator*innen eilen durch den Raum, um vor der Veranstaltung noch den letzten Schliff zu geben. Sie wirken nervös. 14:55 betritt eine Welle von jüngeren Menschen den Raum. Es wird lebhafter, das Quietschen stärker und man hört ein lautes, konstantes Rauschen. Mikrofontest und es geht los. 

Im Hörsaal 110 im Institut für Biologie findet die Infoveranstaltung zu Sammelbeständen mit vermutlichen Ursprung aus kolonialen Unrechtskontexten statt. Carsten Wette, stellvertretender Leiter für Presse und Kommunikation, spricht das Grußwort und lädt Katja Nowick, Professorin für Humanbiologie, zur Rede ein. Beim Projekt handelt es sich um eine kolossale Mobilisierung von mehreren Personen, die im Zeitraum zwischen 2016-2022 schrittweise dazu gekommen sind. 

Menschliche Überreste neben Tierresten?

1949-1952 wurde das Institut für Biologie an der FU aufgebaut. Seine Entwicklung fand in einem Kontext statt, der durch Kolonialismus und das NS-Weltbild geprägt war. „Biologie und Rassismus sind historisch eng verbunden”, erklärt Vanessa Hava Schulmann, Masterstudentin der Biologie an der FU und Leiterin des Projekts. 

Die Provenienzen der „Human Remains”, die in Frage stehen, (ein Oberarmknochen und ein Unterkiefer) sind unklar. Es besteht jedoch der Verdacht, dass sie aus kolonialen Unrechtskontexten stammen könnten. Beweise dazu gebe es durch die problematische Geschichte Berlins und den Hinweis durch Prof. Dr. med. Andreas Winkelmann, der auf die sogenannte „S-Sammlung” aufmerksam machte. Dabei handelt es sich um die „Schädelsammlung”, die im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert von dem Mediziner und Anthropologen Felix von Luschan zusammengetragen wurde. Damit wollte er erforschen, welche Entwicklung der Mensch genommen habe. 

Das Museum für Vor- und Frühgeschichte (MVF), das zur Provenienz menschlicher Gebeine aus der Luschan-Sammlung forscht, bestätigte den Verdacht. Obwohl die „Human Remains” an das MVF abgegeben wurden, betont Schulmann, dass es nicht darum gehe, Verantwortung abzuschieben, sondern gemeinsam nach Antworten zu suchen. Das Projekt will einen Schneeball ins Rollen bringen, der bewirken soll, dass menschliche Gebeine wegen ethischer Bedenken nicht mehr in der Lehre genutzt werden sollen. Zusätzlich soll es für Aufklärung, Diskussionen und kritische Diskurse im Fach sorgen. Sowohl Schulmann als auch Isabelle Reinmann, Ethnologin und Provenienzforscherin, betonen die Wichtigkeit einer interdisziplinären Forschung für die Aufarbeitung der Provenienzen. 

Wir brauchen unsere Vorfahren, um sie zu beerdigen

Mnyaka Sururu Mboro ist Menschenrechtsaktivist und Mitbegründer von Berlin Postkolonial e.V. Er berichtet, wie ihm seine Großmutter Geschichten über Mangi Meli erzählte, Anführer des Volkes der Chagga im heutigen Tansania, der gegen den deutschen Kolonialismus kämpfte und dabei verhaftet, gehängt und enthauptet wurde. Später wurde sein Kopf nach Deutschland mitgenommen. Als Mboro ein Stipendium in Deutschland bekam, freute sich seine Großmutter, da sie meinte, der Kopf des Fürsten werde somit wieder nach Tansania kommen. 

Doch in Deutschland erkannte Mboro bald, dass er wenig Unterstützung bei seiner Suche bekam. Berlin Postkolonial e.V. wurde mit dem Ziel gegründet, weitere Suchen zu unterstützen. „Wir brauchen unsere Vorfahren, um sie zu beerdigen”, meint Mboro. Laut ihm gebe es in Tansania Gräber, die dafür freigehalten werden. Seine Suche zog sich über Jahrzehnte, wobei er sowohl bei der deutschen als auch bei der tansanischen Regierung auf Widerstand stieß. „Ein Toter verdient eine Beerdigung”, erklärt Mboro, sodass die Suche nie endet. 

Das Institut für Biologie stellt auf seiner Website weitere Informationen zu seinem Provenienzforschungsprojekt zu den menschlichen Überresten in der Zoologischen Lehrsammlung bereit.

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