Letzter Ausweg Ghostwriting?

Ob wissenschaftliche Arbeit oder Klausur: Der Druck mitzuhalten und den akademischen Erwartungen gerecht zu werden ist auf dem Weg zum Studienabschluss groß – so groß, dass sich manche entscheiden, eine*n Ghostwriter*in zu engagieren. Im Gespräch mit Anna-Lena Schmierer erzählen zwei ehemalige Studentinnen von ihren Erfahrungen damit. Ein Protokoll. 

Viele Studierdende sind verzweifelt – so verzweifelt, dass sich manche entscheiden, eine*n Ghostwriter*in zu engagieren. Illustration: Kristin Lahn

Die Gespräche mit Klara* und Milla* waren Teil einer größeren Recherche zum Thema Ghostwriting für die 28. Printausgabe der FURIOS zum Thema Un/Sichtbar. Leider kamen die Interviews erst nach Redaktionsschluss zustande und sind somit als Ergänzung des Feature „Tausche Monatsgehalt gegen Seminararbeit” auf Seite 4 des Heftes zu verstehen. Was ein Ghostwriter, ein Rechtswissenschaftler und eine Psychologin zum Thema zu sagen haben, könnt ihr hier nachlesen.

Klara* erzählt:

Bachelorarbeit – ein sehr großes Wort. Da liegt so viel Verantwortung und Druck drauf. Zeitgleich mit mir haben viele Kommiliton*innen auch ihre Arbeiten geschrieben. Ich hatte das Gefühl, die Einzige zu sein, der das so schwer fiel. Ich fragte mich: „Warum haben alle anderen kein Problem?” Das verursachte sehr viel Stress und negative Gedanken, meine Bachelorarbeit hat mich oft zum Weinen gebracht. 

Ich habe mich von der Uni im Stich gelassen gefühlt – wir hatten immer nur Onlineklausuren. Es gab zwar Hilfsangebote, aber ich hatte das Gefühl, dass diese mir nichts bringen, weil meine Probleme woanders liegen. Ich wusste nicht, wie wissenschaftliche Arbeiten aussehen, mir fehlte komplett die Struktur und auch mit dem Inhaltlichen war ich überfordert. Obwohl ich eine unterstützende Betreuerin hatte, bemerkte ich: So geht es nicht weiter! 

Irgendwann war ich so fertig, dass ich mir sogar überlegt habe, „was ist, wenn ich einfach keinen Bachelor habe? Brauche ich das überhaupt?” Doch mein Traumjob hing am Bachelortitel. Also habe ich auf eBay Kleinanzeigen nach Ghostwriter*innen gesucht, die die Arbeit für mich schreiben. Letztendlich habe ich einem Ghostwriter 300 Euro für 15 Seiten bezahlt. Er wirkte sehr professionell und war mir am Telefon sympathisch. Als ich dann aber seine Arbeit vor mir liegen hatte, war das Ergebnis nicht zufriedenstellend. Ich dachte mir: „Das kann ich besser! Wenn das der Anspruch ist, mache ich es selbst.”

Also habe ich drei Wochen vor Abgabe beschlossen, alles komplett neu zu schreiben. Der Druck war weg. Ich wusste: Wenn alles schief geht, kann ich notfalls die Arbeit des Ghostwriters einreichen. Am Schluss habe ich mit meiner selbständig geschriebenen Arbeit bestanden.

Ich habe nämlich schnell bemerkt: Auch sich etwas ghostwriten zu lassen, bringt psychische Belastungen mit sich. Ich dachte immer wieder: „Was, wenn der Ghostwriter sich an die Uni wendet und alles auffliegt?” Außerdem habe ich mich geschämt – nur drei Freund*innen und meine Familie wussten davon. Trotz allem hätte ich die Arbeit eingereicht, auch wenn es sich im Nachhinein blöd angefühlt hätte, nichts eigenes erbracht zu haben. 

Das Ganze ist schon ein Pakt mit dem Gewissen. Aber ehrlich gesagt hatte ich nie das Gefühl, dass diese wissenschaftliche Arbeit mich repräsentiert. Sie ist nichts, wovon ich meinen Enkelkindern stolz erzählen will. Da der Abschluss aber nunmal wichtig ist, wäre Ghostwriting für mich in Ordnung gewesen.

„Auch meine Eltern sagten: ‚Bevor du die Arbeit nicht schreibst, bezahlen wir den Ghostwriter.‘”

Klara*

Ich würde es genauso wieder machen, der Lerneffekt war unheimlich groß. Festzustellen, dass ich das selber besser kann – das war die Erkenntnis.

Milla* erzählt:

Ich hatte große Lust auf mein Biologiestudium, aber schon immer eine unüberwindbare Blockade in Mathematik und Physik. Als dann im ersten Semester eine Physikklausur anstand, war der Druck groß, mitzuhalten. Ich wollte nicht hinterherhinken und die wenigen Leute, die ich kennengelernt hatte, verlieren. Ich hätte mir trotz Onlinesemester mehr Möglichkeiten an der Uni gewünscht, Kontakte zu knüpfen. In einer Whatsappgruppe mit 200 Studierenden fühlt sich niemand angesprochen. 

So dachte ich alleine in meinem Zimmer: „Scheiße, wie soll ich das hinkriegen?” Hilfsangebote von der Uni gab es nicht wirklich. Ich hätte zwar zu einem Tutorium und Seminar gehen können, aber als ich die ersten zwei Sitzungen verpasst hatte, war der Stoff nur schwer nachholbar. Stattdessen habe ich mir einen Nachhilfelehrer gesucht. Ich merkte aber: Da war keine Basis, auf die ich hätte aufbauen können. Es ging nicht vorwärts und ich bekam Angst, mich, wie zu Schulzeiten, zu blamieren und zu scheitern. Irgendwann habe ich mich weder zum Unterricht, noch zur Nachhilfe getraut und diese dann abgebrochen.

Dieser Punkt des Scheiterns hat dazu geführt, dass ich mich gar nicht mehr mit dem Stoff auseinandersetzen wollte. Ich dachte:

„Die Klausuren sind online. Diese Situation nutze ich aus wie alle anderen auch und lasse es mir von einer*m Ghostwriter*in schreiben.”

Milla*

Ich habe mir zwei Klausuren ghostwriten lassen – Physik und Mathe.

Über Bekannte hatte ich schnell einen Ghostwriter für die erste Klausur gefunden. Er kam zu mir nach Hause, saß zwischen mir und einer Kommilitonin und hat die Aufgaben gelöst – wir haben abgeschrieben. Das hat uns jeweils 50 Euro gekostet, der Dozent hat nichts bemerkt. Auch der zweite Ghostwriter war leichter zu finden als gedacht – ich habe ihm auf Empfehlung einer Freundin auf Instagram geschrieben. Er hat die Klausur für mich mit einer 1,0 abgeschlossen. Ihm habe ich 150 Euro bezahlt.

Ich dachte mir das spart Zeit, Aufwand und vor allem Selbstzweifel. Ich hatte aber nicht bedacht, dass ich dieses Wissen für die nächsten Module brauchen würde. In den späteren Klausuren habe ich mich nie sicher gefühlt, ohne viel Hilfe von Freund*innen hätte ich sie nicht bestanden. Letztendlich habe ich das Studium abgebrochen.

Ich habe Kommiliton*innen und engen Freund*innen erzählt, dass ich mir die Klausuren ghostwriten lassen habe. Für meine Mitstudierenden war es selbstverständlich, sich zusammenzusetzen und gemeinsam zu schreiben. Ich hatte jedoch nicht das Gefühl, für sie eine Hilfe zu sein. 

Am Ende stand ich mit einer krassen Note da, die ich mir nicht selbst verdient hatte, während andere es selbst gemacht und schlechtere Noten dafür bekamen. Das macht sehr klein, es ist fast schon erniedrigend. Da ist nichts, worauf man stolz sein kann, nichts was das Selbstwertgefühl stärkt. Obwohl ich es idiotisch finde – Klausuren sind die Bestätigung, dass du den Lernstoff verstanden hast. Ich habe mich dumm gefühlt und war sehr verunsichert. Auch als kurzfristige Lösung hat es sich nicht gut angefühlt.

Meinen Eltern habe ich es verschwiegen. Sie hätten gesagt: „Warum studierst du dann noch?” Im Endeffekt wünschte ich, ich hätte es erzählt. Das hätte mir früher vor Augen geführt, dass Ghostwriting nirgendwo hinführt. Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich das Studium direkt abbrechen. Der Moment, in dem ich mich entschlossen habe, mir die Klausuren schreiben zu lassen, hätte ein Signal sein sollen: „Wenn du das nicht selber hinbekommst, ist das nicht das Richtige.” Und das ist voll in Ordnung. 


*Anm. d. Red.: der Name wurde geändert

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