Tausche Monatsgehalt gegen Seminararbeit

Während bei manchen die Hausarbeitsleichen in den Untiefen der Festplatte versauern, machen es
sich andere scheinbar einfach und lassen sich die Arbeit schreiben. Für den Preis eines gebrauchten Kleinwagens liefern Ghostwriter*innen alles von Referat bis Doktorarbeit. Lohnt sich das? Anna-Lena Schmierer berichtet.

Für den Preis eines gebrauchten Kleinwagens schreiben Ghostwriter*innen alles von Klausur bis Doktorarbeit. Illustration: Kristin Lahn

Es sind Semesterferien. Du sitzt an deiner Hausarbeit, um dich herum schwitzende, fleißige Mitstudierende. Vor dir die leere Seite, der Cursor blinkt: Wo anfangen? Diese 15 Seiten müssen doch irgendwie in zwei Wochen zu schreiben sein. Während du auf deinen Laptop starrst, steigt langsam die Verzweiflung in dir hoch. Am Ende des Tages hast du zwei Sätze geschrieben und sie dann direkt wieder gelöscht. Wenn doch nur jemand anderes die Arbeit für dich schreiben könnte. 

Ghostwriting als Lösung?

Hier kommt Patrick ins Spiel. Er ist einer von tausenden Ghostwriter*innen in Deutschland. Gegen Bezahlung verfasst er wissenschaftliche Texte in den Fachbereichen Politik und Wirtschaft. Patrick erzählt, er habe eigentlich Lehrer werden wollen, aber nach seinem Referendariat nicht gleich eine Anschlussstelle bekommen. Deshalb sei er Ghostwriter geworden. „Ich hatte schon während meines Studiums Spaß, wissenschaftliche Arbeiten zu schreiben, da war ich in meinem Element.” Wie die meisten seiner Kolleg*innen arbeite er für mehrere Ghostwriting-Agenturen gleichzeitig, nehme aber auch Aufträge auf eBay Kleinanzeigen an. 

Eine Arbeit in Auftrag zu geben bedeute jedoch nicht, dass Klient*innen sich zurücklehnen könnten. Vielmehr komme es zur Koproduktion von Kund*in und Dienstleister*in. Jeder Schritt müsse besprochen und abgesegnet werden, denn nur so sei gute Qualität garantierbar. Patrick erklärt, gute Ghostwriter*innen schrieben jeden Text komplett neu und plagiatsfrei und nähmen auch die Kund*innen in die Pflicht, selbst mitzuarbeiten. „Das ist zumindest meine Herangehensweise. Mir ist wichtig, dass ein Lerneffekt da ist.” Für die meisten seiner Arbeiten hätten Studierende Einsen oder Zweien erhalten. Inzwischen könne er eine Bachelorarbeit innerhalb von zwei Tagen schreiben. 

Eine rechtliche Grauzone

Strafbar machen sich die Agenturen und Patrick mit dem Ghostwriting nicht. Offiziell erstellen sie nur Lösungsvorschläge für wissenschaftliche Arbeiten. Patrick erzählt, er unterschreibe jedes Mal einen Vertrag, der das Urheberrecht an die Klient*innen weitergebe: „Im Vertrag sind alle Regelungen festgelegt, beispielsweise auch, dass beide Parteien zur Geheimhaltung verpflichtet sind. Kund*innen dürfen die Arbeit nicht in dieser Form als ihre eigene einreichen.” In der Realität passiere das natürlich trotzdem, die Agentur sei dadurch jedoch rechtlich abgesichert.

Ghostwriting in Anspruch zu nehmen, sei eine rechtliche Grauzone, erklärt Prof. Dr. Gerhard Seher, Dekan für Rechtswissenschaften an der FU. Hier greife höchstens §132a des Strafgesetzbuches (StGB): „Wer unbefugt […] akademische Grade, Titel oder öffentliche Würden führt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.” Dafür müsse Ghostwriting aber natürlich erst einmal nachgewiesen und der Titel entzogen werden, so Seher. „Bei einer Hausarbeit können Studierende mit null Punkten rechnen. Exmatrikuliert werden sie jedoch nicht.”

Lohnt sich das?

Auch Patrick bestätigt, es sei schwer, Ghostwriting nachzuweisen. An der FU gibt es keine offiziellen Daten zu solchen Fällen. Dass sie aber existieren müssen, beweist die Vielzahl der online zu findenden Agenturen. Eine wirbt beispielsweise mit über 3.000 verfügbaren Expert*innen und 18.500 betreuten Kund*innen seit 2011. Auch die Menge an Aufträgen, die Patrick erhalten hat, bestätigen, wie groß der Markt für Ghostwriting ist. In den letzten eineinhalb Jahren habe er allein fast 400 Arbeiten geschrieben. Davon sei bisher nur eine enttarnt worden. 

Ghostwriting wird selten entdeckt. Die Strafen sind – wenn es nicht gerade um eine Doktorarbeit geht – recht milde. Die Noten sind gut und eventuell gibt es sogar einen Lerneffekt. Das klingt auf den ersten Blick verlockend. Warum sich die Mühe nicht sparen und die Hausarbeit kaufen? 

Brigitte Reysen-Kostudis von der psychologischen Beratung an der FU spricht sich deutlich gegen Ghostwriting aus: „Ich finde es durchaus kritisch und langfristig nicht empfehlenswert.” Es könne psychisch sehr belastend sein zu wissen, man habe eine wesentliche Voraussetzung für den Studienabschluss nicht geschafft. Dazu komme auch die Angst, es könnte irgendwann auffliegen. Sie erklärt:

„Das Gefühl, versagt zu haben, geht nicht weg, wenn man eine*n Ghostwriter*in beschäftigt.”

Brigitte Reysen-Kostudis, Psychologin

Zudem mache man sich auch erpressbar, denn man könne nie sicher sein, dass Ghostwriter*innen nicht versuchten, sich für ihr Schweigen auch noch Jahre später bezahlen zu lassen. 

Neben den psychischen Risiken und der moralischen Frage, ob es gegenüber den anderen Studierenden gerecht ist, sich eine Leistung zu erschleichen, bleibt auch das finanzielle Problem: Wer kann sich Ghostwriting überhaupt leisten?

Eine 15-seitige Hausarbeit kann bei den bekanntesten Agenturen gut und gerne um die 1.700 Euro kosten. Patrick sagt, er verdiene pro Seite zwischen 25 und 40 Euro. Der Preis komme auf die Agentur und das Niveau der Arbeit an. Bei über 4.000 geschriebenen Seiten in weniger als zwei Jahren und einem Durchschnittspreis von 32,50 Euro pro Seite wären das insgesamt über 130.000 Euro. Auf die Frage, ob er das alles versteuere, antwortet Patrick fast schon entrüstet: „Klar.” Steuerlehre sei Teil seines Studiums gewesen. Er sagt: „Ich würde niemals etwas Illegales machen.” 

Faulheit oder Verzweiflung?

Warum geben Studierende überhaupt wissenschaftliche Arbeiten in Auftrag? Patrick erzählt: „Am Anfang dachte ich, die meisten lassen sich nur aus Faulheit etwas schreiben. Aber meine Erfahrung zeigt: Die Leute stecken fest.” Viele von ihnen hätten bereits Teile der Arbeit geschrieben, wüssten nicht mehr weiter und seien verzweifelt. Wenn sie neben dem Studium zugleich Eltern seien oder in einer schwierigen beruflichen Situation steckten, kämen weitere Belastungen hinzu. Er erklärt: 

„Die haben Gedankenterror im Kopf.” 

Patrick, Ghostwriter

Dies liege auch daran, dass Studierende sich oft alleingelassen fühlten und Dozierende sie schlecht betreuten. 

Ist die Betreuung an deutschen Universitäten wirklich so schlecht? Reysen-Kostudis findet, das könne man kategorisch so nicht sagen: „Dass Probleme auftauchen, kann zwar daran liegen, dass die Betreuenden nicht so engagiert sind; es kann aber auch an den Schreibenden liegen.” Beispielsweise hätten viele Studierende zu hohe Erwartungen an sich selbst. An der FU gebe es zahlreiche Hilfsangebote wie beispielsweise Schreibcafés, wo sich Studierende austauschen könnten. 

Helfen diese Angebote überhaupt? Haben Menschen, die sich eine Arbeit ghostwriten lassen, zuvor ein solches Angebot in Anspruch genommen? Leider haben sich keine Studierenden gefunden, die von ihren Erfahrungen mit Ghostwriting erzählen wollten. Eine nicht-repräsentative Umfrage unter den Instagram-Follower*innen von FURIOS zeigt allerdings: Eine große Mehrheit weiß gar nicht, dass es solche Hilfsangebote an der Uni gibt. Bei denen, die sich Hilfe gesucht haben, spalten sich die Meinungen – einige waren zufrieden mit der Betreuung, etwas mehr als die Hälfte jedoch nicht. 

Reysen-Kostudis erklärt: „Hilfsangebote, wie die kostenlose Schreibberatung des Studierendenwerks, sind in der Regel nicht bekannt.” Bislang habe sie die Erfahrung gemacht, dass es mit einer Kombination aus Gruppenveranstaltungen, organisierten Schreibzeiten und regelmäßigen Terminen in der psychologischen Beratung „dann doch irgendwie ging.”

Moralische Bedenken

Das Phänomen Ghostwriting macht zahlreiche Problemfelder unseres akademischen und kapitalistischen Systems sichtbar. Wo landen wir, wenn Leistungsdruck und Konkurrenz immer weiter zunehmen, während die Regelstudienzeit durch die Bologna-Reform verkürzt wird und finanziell privilegierte Studierende sich ihre wissenschaftliche Qualifikation seitenweise kaufen können? Lässt sich das mit ein paar universitären Hilfsangeboten lösen, die für den Großteil unsichtbar sind? 

Zum Schluss bleibt eine moralische Frage: Wie lässt es sich als Ghostwriter*in verantworten, Studierenden einen wichtigen Teil ihrer Qualifikation abzunehmen? Patrick sagt: „Manchmal bringst du Leute durch, die es nicht verdient haben. Aber solange sie Hilfe brauchen, es mir Spaß bringt und ich daran nicht schlechter als anderswo verdiene, werde ich weiter Ghostwriter bleiben.”


Nach Redaktionsschluss haben sich zwei Personen gefunden, die Ghostwriting in Anspruch genommen haben. Ihre Erfahrungen könnt Ihr hier nachlesen.

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