Femizide im Namen Gottes

In Ali Abbasis Film Holy Spider wird ein einfacher Familienvater aus Mashhad – einer Stadt im Nordosten des Iran – zum Serienmörder. Abgesehen hat er es auf die Sexarbeiterinnen der Stadt. Eine Rezension von Alessa Voßkamp.

Das offizielle Filmposter im Moviemento in Kreuzberg. Foto: Alessa Voßkamp.

Das ganze Kino zuckt zusammen, als sich die Hände des Mannes auf dem Bildschirm um den Hals der Frau schlingen und das Leben aus ihr herausdrücken. Kurz kämpft sie, zuckt ein letztes Mal, dann werden ihre Augen glasig. Tot liegt sie auf dem Boden, das Kopftuch von den Haaren gerutscht und nun wie ein Henkersknoten um ihre Kehle geschlungen. Im Saal herrscht erschrockene Stille. 

Auf der großen Leinwand erscheinen über der Skyline Mashhads die Worte Holy Spider. Der knapp zweistündige Film von Regisseur Ali Abbasi erzählt – basierend auf einer wahren Begebenheit – von einer Reihe von Morden an Sexarbeiterinnen in der heiligen iranischen Stadt Mashhad. Die Stadt gilt als religiöses Zentrum, da sie den Imam-Reza-Schrein beherbergt, welcher jährlich bis zu 20 Millionen Pilger*innen anzieht. Anfang der 2000er Jahre wurden hier innerhalb von zwei Jahren 16 Frauen brutal von dem sogenannten Spinnenmörder ums Leben gebracht. Die Geschichte dieser Frauen und ihrer Schicksale ist jetzt im Kino zu sehen. 

In einer Mischung aus Fakt und Fiktion greift Holy Spider die schrecklichen Ereignisse aus Mashhad auf. Durch die Augen des Mörders, der Sexarbeiterinnen und einer mutigen Reporterin, werden die Zuschauer*innen in das iranische Nachtleben der frühen 2000er eingeführt. Eine Geschichte, die spannender nicht sein könnte.

Der Plot

Der Film beginnt so düster, wie er auch enden wird. Untermalt von finsterer Streichmusik und tiefen Bassschlägen, streift eine junge Frau durch das nächtliche Mashhad. Gerade noch hat sie sich von ihrer Tochter verabschiedet, jetzt wartet die Sexarbeiterin an der Straße auf den nächsten Mann. Mitgenommen wird sie jedoch von ihrem Mörder.

Die Zuschauer*innen werden schnell in das Leben und Denken des Mörders eingeweiht. Tagsüber ein einfacher Bauunternehmer und Familienvater, nachts unterwegs auf der Suche nach den Sexarbeiterinnen Mashhads. Er selbst nimmt sich als heiliger Bereiniger wahr, der im Namen Gottes die Straßen der heiligen Stadt von Prostituierten säubere.

Ihm auf der Spur ist Arezu Rahimi, eine Journalistin, die seit längerem über die Morde berichtet und extra für diesen Fall aus Teheran angereist ist. Abwechselnd folgt der Film ihr und dem Mörder. Von Anfang an ist Rahimi davon überzeugt, dass sowohl in der Gesellschaft, als auch im Regime zu große Sympathien für den Mörder herrschen, als dass dieser gefasst und verurteilt werden könnte. In Ermangelung anderer Möglichkeiten stellt sich Rahimi letztendlich sogar selbst als Köder zur Verfügung.

Erschreckend ehrlich zeigt der Film die grausame öffentliche Reaktion auf die Morde der Frauen. Im Laufe der Handlung äußert eine Menschenmenge lautstark Unterstützung für den Mörder. Schließlich seien Sexarbeiter*innen nichts weiter als blasphemischer Abfall, den es zu beseitigen gilt. 

Von Arezu Rahimi, über Fatima – der Ehefrau des Mörders – bis hin zu den Sexarbeiterinnen: Sie alle haben auf ihre eigene Art und Weise mit misogynen Männern zu kämpfen. Hautnah werden auf dem großen Bildschirm ihre Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen, Gewalt und Erniedrigung gezeigt und doch wird ihre Stärke dadurch nicht gemindert.

Der Gewalt zum Trotz

Die Resilienz und die Vehemenz, welche die Frauen zutage bringen, ist tief beeindruckend. Rahimi riskiert ihr Leben in der Hoffnung, durch die Entlarvung des Mörders Gerechtigkeit zu schaffen. Unermüdlich setzt sie sich allen entgegen, die sich ihr in den Weg stellen. Aber vor allem die verschiedenen Sexarbeiterinnen, die man im Laufe des Films kennenlernt, legen einiges an Stärke zutage. 

Ein Bild, was man wohl so schnell nicht vergisst, ist das einer Frau, die sich einen Kampf mit ihrem Mörder liefert und ihn verspottend auslacht, als er an Kraft verliert. Er nimmt ihr das Leben, doch auch nachdem sie tot ist, geht ihm ihr Lachen nicht aus dem Kopf. Sie liegt ihm tot zu Füßen und trotzdem scheint es, als hätte sie in diesem Moment die komplette Macht über ihn.

Die Handlung ist brutal und die Szenen sind es auch. Zwar wird auf ein überdramatisiertes Hollywood-esque Blutbad verzichtet, aber die Alternative ist tatsächlich schlimmer auszuhalten. Die Produktion ist definitiv nichts für leichte Nerven, aber dafür umso authentischer und fesselnder. 

Das Ende des Films hinterlässt eine*n sprachlos und überwältigt. Das Gefühl der Ungerechtigkeit und Machtlosigkeit bleibt, auch nachdem der Abspann längst gelaufen ist. Im Dunkeln des Kinos wird man alleine gelassen mit einem flauen Gefühl im Magen und einem Kopf voll unbeantworteter Fragen. 

Wie kann so etwas geschehen? Wie kann jemand so kaltblütig und ohne Reue morden? Wie kann es sein, dass solche Gräueltaten so viel Zuspruch bekommen? Doch das Erschreckendste von allem bleibt dieser Satz: “Nach einer wahren Begebenheit.”

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