Studieren mit Kind: Who Cares?

Rucksack auf dem Rücken, Bücher unterm Arm, Mate in der Hand. Studierende mit Kind heben sich nicht wirklich von der kinderlosen Masse am Campus ab. Dass sie morgens von der Kita in den Hörsaal gehetzt sind, sieht man ihnen schließlich nicht an. Wie der Studienalltag mit Kind(ern) abläuft, erzählte FU-Studentin Maria unserer Autorin Seval Tekdal im Rahmen dieser Reportage.

Wer mit Kind studiert, für den*die gilt: Täglich mehrfach zwischen diversen Rollen wechseln.
Illustration: Noa Kreutz

8 Uhr morgens vor einem Mehrfamilienhaus in Berlin-Lankwitz. Der Winter ist eingebrochen. Im dritten Stock empfängt mich Maria herzlich in ihrer Wohnung. 

Maria ist 26, hat bereits eine abgeschlossene Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau,  studiert im dritten Semester Bildungs- und Erziehungswissenschaften an der FU – und sie ist Mutter. Ihre Söhne Julius (4) und Joscha (2), die ich im Kinderzimmer treffe, spielen unbeirrt von meiner Anwesenheit weiter. Marias Ehemann Flo, der am Abend zuvor eine Spätschicht hatte, stellt sich gähnend zu uns. Seine Vollzeitstelle als Techniker am Theater ist für ihren Lebensunterhalt als Familie unverzichtbar. Ergänzt wird sein Verdienst durch Marias BaföG und die monatlichen 300 Euro aus einem Stipendium. 

„Die Karten werden jeden Tag neu gemischt”

Nach einer kurzen Spielrunde mit den Jungs wird es Zeit aufzubrechen. Der heutige Morgen stellt eine Ausnahme vom üblichen Tagesablauf dar. Normalerweise bringt Maria die Kinder noch vor der Uni zur Kita und Flo kümmert sich um die Abholung. Aufgrund seiner erneuten Spätschicht wird aber kurzfristig umgeplant. Das ist für Maria mittlerweile sowieso Alltag.

Von morgendlichem Trennungsschmerz …

Aus dem CD-Player im Kinderzimmer klingen mittlerweile Geburtstagslieder. Maria beginnt vorsichtig ihre Jungs, vor allem den kleinen Joscha, auf den morgendlichen Abschied vorzubereiten. Während ›Wie schön, dass du geboren bist‹ durch die Wohnung schallt, malt sie sich und Joscha mit einem roten Filzstift jeweils ein Herz aufs Handgelenk. „Damit wir wieder drauf gucken können, wenn wir uns vermissen, Joschi”, sagt sie und streichelt ihm tröstend übers Handgelenk.

Der morgendliche Trennungsschmerz vom gemütlichen Bett ist für die meisten Studierenden ohne Kind ein bekanntes Gefühl. Der zu beobachtende Abschiedsschmerz zwischen Mutter und Kind dürfte allerdings den wenigsten von ihnen vertraut sein. Es sind eine Menge Emotionen, die Maria jetzt schon fühlt. Dabei hat ihr Tag als Studentin noch gar nicht angefangen. 

Nach intensivem Winken gehen wir aus ihrer Wohnung und raus auf die Straße, der kleine Joscha wird oben vom Papa ans Fenster gebracht – noch mehr Winken, viele Kusshände. Auf dem Weg zur Bushaltestelle erzählt Maria, dass sie sonst eigentlich immer mit dem Fahrrad zur Uni fahre. „Ich genieße diese fünfzehn Minuten für mich sehr”, sagt sie. Sie könne dabei gedanklich gut die Rollen wechseln – von der Mutter zur Studentin. Ein Wechsel, den sie täglich mehrfach leistet.

… und wohlüberlegter Semesterplanung

Im Bus sprechen wir über das angebrochene Semester. Maria ist schon mitten in der Prüfungsvorbereitung. Gemeinsam mit ihrer Kommilitonin und Freundin Tabea*, ebenfalls zweifache Mutter, startet sie damit schon zu Semesterbeginn. Zu groß sei andernfalls das Risiko, dass gegen Ende des Semesters eines der Kinder krank würde und ihnen dadurch zu wenig Zeit zum Lernen bliebe.

Andere, kinderlose Freund*innen aus der Uni hat Maria nicht. Solche Freundschaften würden von ihr mehr Spontanität und Flexibilität erfordern, als sie aufbringen kann. Schließlich müssen ihre Kinder abends gebadet, gefüttert und gekuschelt werden. Diese kostbaren Abendstunden mit ihrer Familie würde sie aber auch gar nicht gegen Barhopping eintauschen wollen. „Die Morgen und Abende als Familie sind für mich die schönste Zeit des Tages.”

Am Campus angekommen, gehen wir zu Marias ersten Veranstaltung des Tages. Dabei erzählt sie, dass sie Erzieherin werden möchte. Erst durch ihre eigenen Kinder sei dieser Berufswunsch entstanden. Sie habe sich damals erst nach ausgiebiger Recherche für die FU entschieden, weil nur der hiesige Abschluss einer Erzieher*innenausbildung gleichwertig sei. 

Seit Betreten des Unigebäudes scheint Maria eine neue Leichtigkeit gewonnen zu haben. Sie wirkt jetzt freier, jünger, irgendwie gelöster. Nur das Herz auf ihrem Handgelenk erinnert noch an die morgendliche Szene mit ihren Söhnen. 

Wie die Uni studierende Eltern unterstützt

Nach den Seminaren, in denen ihre Leidenschaft für ihr Studium deutlich geworden ist,  setzen wir uns zusammen mit Tabea in die Mensa. Dort erzählt sie, wie es ihr mit dem Studieren als Mutter ergeht. Dass ihre Kinder schon zur Schule gehen würden, erleichtere vieles. Außerdem sei ihr Partner eine große Stütze. „Keine Ahnung, wie Alleinerziehende das hinkriege”, sagt sie bewundernd.

Wir sprechen auch über die diversen Hilfsangebote der Uni, auf die beide schon zurückgegriffen haben. So bietet der Family Service der FU beispielsweise neun über den Campus verteilte Eltern-Kind-Räume mit Laptops für Eltern und Spielsachen für ihre Kinder.

Zusätzlich ermöglicht eine Vorab-Quote Studierenden mit besonderen Umständen noch vor allen anderen frühzeitig Präferenzen für Lehrveranstaltungen anzugeben. Neben Eltern wie Maria und Tabea profitieren auch Studierende mit Behinderungen oder solche, die Verwandte pflegen, davon. Diese Angebote der Uni, gepaart mit institutioneller Kinderbetreuung, sind für die beiden Mütter essenziell.

Nach dem letzten Seminar stehen wir erneut an der Bushaltestelle – jetzt werden die Kinder abgeholt. Vor der Kita hebt Maria die Jungs in den Buggy und verstaut dann ihren Rucksack in der Gepäckablage. Mit Abstreifen des Rucksacks wechselt sie heute zum mittlerweile dritten Mal ihre Rolle: Von der Studentin zurück zur Mutter.

Arbeit ist Arbeit – oder nicht?

Beim Abendessen reden wir über die Unsichtbarkeit von Care-Arbeit – definiert von der Bundeszentrale für politische Bildung als „Tätigkeit des Sorgens und Sichkümmerns”. Dies umfasst nicht zuletzt auch alle Bereiche der Elternschaft: Gute-Nacht-Geschichten lesen, Wunden heile-pusten, Spiele erfinden. Maria ist gerne Mutter. Das sagt sie und das merkt man auch. Daran, wie sie mit und wie sie über ihre Jungs redet. Sie ist auch gerne Studentin. Und gerne einfach nur Maria. In einem System, das Care-Arbeit nicht entlohnt, ist sie jedoch gezwungen, diese drei Rollen immer gleichzeitig zu füllen. Zu versuchen, allen möglichst gerecht zu werden und daran nicht kaputt zu gehen.

Wünschen würde sie sich daher ein anderes Modell: Die Anerkennung von Care-Arbeit als eben genau das: Arbeit. Und damit beispielsweise die Möglichkeit, Elternschaft bis zum sechsten Lebensjahr des Kindes als Vollzeitjob anerkennen zu lassen und staatlich entsprechend zu entlohnen. „Das wäre ein deutlich faireres Konzept von Elternschaft und würde Eltern die Möglichkeit geben, selbstständig und ohne finanziellen Druck zu entscheiden, wie sie ihr Leben rund um Care- und Lohnarbeit konkret gestalten wollen.”

Auf die Frage, ob sie sich als Studentin mit Kind gesehen fühlt, antwortet Maria: „Ja, zu großen Teilen schon.” Sie räumt aber auch ein, dass sie sich von Lehrenden und anderen Studierenden manchmal mehr Verständnis wünscht. In der Konzeption der Lehrveranstaltungen beispielsweise, wenn es darum geht, schon zu Beginn des Semesters Prüfungsrelevantes herauszustellen, damit Menschen mit Doppelbelastungen sich bereits früher vorbereiten können. 

Schluss mit der Unsichtbarkeit!

Marias Fähigkeit, all ihre Aufgaben und Rollen parallel zu navigieren und ihnen bestmöglich gerecht zu werden, ist bewundernswert. Aber sie ist eben auch Konsequenz der Ignoranz eines politischen Systems, dass diese tägliche Spaltung des eigenen Ichs in diverse Rollen überhaupt erst erfordert. Besonders an Frauen* werden durch das im Patriarchat etablierte Bild der sich aufopfernden Mutter hohe Erwartungen gestellt.  

Die Entscheidung, private Einblicke in ihren Alltag als Studentin und als Mutter zu geben, hat Maria vor allem getroffen, um die Sichtbarkeit für das Studieren mit Kind zu erhöhen. Sie selbst habe vor Beginn des Studiums viel im Internet nach Erfahrungsberichten anderer Eltern gesucht – ohne Erfolg. „Deswegen möchte ich anderen Suchenden zeigen: Ja, es ist schwer. Aber es ist machbar” , sagt sie zum Abschied, ihr Blick ist fest: „Es ist zu schaffen!”

Zu hoffen bleibt, dass Elternschaft irgendwann einmal nicht mehr nach „Schaffbarkeit” bemessen werden muss, sondern, dass wir viel mehr in einem politischen System leben, in dem es gesamtgesellschaftlicher Konsens ist, dass Care-Arbeit der Lohnarbeit in nichts nachsteht – außer eben in der Frage der Entlohnung. Die Entscheidung für Kinder sollte für niemanden eine Entscheidung gegen sich selbst sein. Vielleicht ein hohes Ziel, aber der erste Schritt dahin ist ganz einfach: Hinschauen.

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