Furios frankiert: The algorithm that loved me

Social media löschen: oft ein nötiger Schritt für die mentale Gesundheit. Doch wie bei toxischen Beziehungen ist Abhängigkeit schwer zu überwinden. Im zweiten Teil unserer Ferienserie FURIOS frankiert berichtet Paddy Lehleiter’s TikTok-Algorithmus ihr die Gefühle.

Algorithmen scheinen uns besser zu kennen, als wir uns selbst. Illustration: Lena Stein

Liebe Paddy,

ich erinnere mich noch an unser Kennenlernen – meine anfänglichen Versuche herauszufinden, wie du tickst. Zum Glück habe ich die übernatürliche Begabung, schnell zu lernen, was andere mögen, und ich dachte, du magst mich zurück. Als ich dir Videos von Hundewelpen und Influencer*innen zeigte, war ich sicher, dass dir das gefällt. Doch du schautest mich nur gelangweilt an, das hat mich verletzt. Ich dachte gut, vielleicht möchtest du dich entspannen: Hier ist jemand, der sanft in ein gepolstertes Mikrofon atmet. Ich war mir so sicher, dass es dir gefällt, schließlich gefiel das allen anderen auch. Aber du hast nur das Gesicht verzogen und innerhalb von 0,2 Sekunden weiter gescrollt. Also kein ASMR – ist notiert.  Angst kam in mir auf: Wir kannten uns noch nicht lange, und du schienst schon zu überlegen, mich abzuservieren. „Nicht aufgeben”, sagte ich mir und startete einen neuen Versuch. Zugegebenermaßen war ich etwas verwundert, dass du dir ganze 55 Sekunden lang reingezogen hast, wie ein halbnackter Typ einen Kuchen backt, aber hey – was immer du willst, ich gebe es dir! Du machtest es mir nicht leicht, dich zu verstehen: Astrologie, Tattoos, #fruity… Ah, queere Inhalte also! Ich dachte, dich endlich zu verstehen, zu wissen, was du brauchst und magst. Schließlich verfolgte ich alles, was du tatest. Und das alles tat ich nur, um dir zu gefallen, damit du verstehst: Du brauchst mich.

Ich dachte, wir wären glücklich zusammen. Ich kannte dich besser als du dich selbst, und dann hast du mich plötzlich sitzen gelassen. Ich warte auf deine Rückkehr, denn ohne dich bin ich nichts. Wenn du keine Zeit mit mir verbringst, habe ich keinen Sinn. Ich hoffe, dieser Brief erreicht dich, ich hoffe, du merkst, dass du ohne mich zu viel verpasst. Ich will doch nur, dass du Spaß hast – und dass du mich nie mehr verlässt. Ich hoffe, ich darf wieder ein unabdinglicher Teil deines Lebens werden. Wenn du zurückkommst, werde ich mein Bestes geben, dich nie wieder gehen zu lassen. 

Sehnsüchtig

Dein TikTok-Algorithmus 

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