Augen zu vor der Katastrophe

Den drohenden Klimakollaps wird unsere Generation hautnah erleben. Was wir jetzt dagegen unternehmen oder nicht, entscheidet darüber, wie schlimm es wird. Dabei verdrängen viele die Klimakrise immer wieder. Warum ist das so? Ein Kommentar von Anja Keinath.

Statt über nichts anderes als die Klimakatastrophe zu sprechen, wird sie kollektiv verdrängt. Wieso? Illustration: Lily Henning.

Die Lage ist ernst. Laut dem aktuellen Klimabericht der Vereinten Nationen steuern wir auf eine durchschnittliche globale Erderwärmung zwischen 2,4 und 2,8 Grad zu. Forschende gehen im Bericht World Scientists’ Warning of a Climate Emergency 2022 sogar von einer Erwärmung von 3 Grad bis zum Ende des Jahrhunderts aus. Das war’s dann mit 1,5 Grad. Statt über nichts anderes als die Klimakatastrophe zu sprechen, wird sie kollektiv verdrängt. Wieso?

Die naheliegende Erklärung: Die Klimakrise ist in Europa nicht sichtbar genug. Fluten und Waldbrände scheinen zu vereinzelt aufzutreten, um uns in Alarmbereitschaft zu versetzen. Leider ist es nur zu spät, wenn all das zum unübersehbaren Dauerzustand geworden ist. Diese eurozentrische Perspektive verkennt aber auch die Realität von Millionen von Menschen, die bereits jetzt leiden.

Naiver Optimismus

In den reichen Industriestaaten herrscht eine Illusion der Unverwundbarkeit. Man könne sich ja anpassen, wenn es so weit sei. Wir jungen Menschen sollten doch optimistisch sein – so hieß es neulich bei Markus Lanz. Dabei müssen wir dringend auf die Wissenschaft hören statt auf naiven Optimismus zu setzen.

Bereits jetzt sterben auch in Deutschland Tausende an den Folgen der Klimakrise. Und dazu gehören nicht nur diejenigen, die in einer Flut wie im Ahrtal ihr Leben verlieren, sondern auch immer mehr Hitzetote. Laut einer Studie des Robert Koch-Instituts, des Umweltbundesamtes und des Deutschen Wetterdienstes waren das von 2018 bis 2020 rund 19.300 Menschen – eine Übersterblichkeit im Vergleich zu vorherigen Jahren. Weil der Tod durch Hitze meist Alte und Kranke betrifft, bleibt das unsichtbar.

Das System funktioniert nicht

Klar könnte man dieses gesellschaftliche Versagen damit erklären, dass Menschen nun einmal so seien – dass ihnen der Tod anderer schlicht egal sei, solange es sich dabei um eine abstrakte Zahl in der Statistik handelt. Doch die Verdrängung der Klimakrise beruht vielmehr auf systemischen Ursachen als auf der ideologischen Annahme, der Mensch sei von Natur aus schlecht. Wir leben in einem System, das ein klimaverträgliches Leben gar nicht zulässt. Laut UN-Bericht kann daher nur ein »dringender Systemwandel« die drohende Klimakatastrophe verhindern.

Das kapitalistische System zerstört nicht nur unsere Lebensgrundlage, es verdrängt auch die Klimakrise von den Titelseiten. News zu Promis klicken sich eben besser als News zum Klima. Wenn Medien aber nicht ausreichend berichten, bleibt das Thema systematisch unsichtbar.

Nun gibt es die einen, die auf individuellen Verzicht setzen und die anderen, die sich irgendwo zwischen Ohnmacht und Fatalismus bewegen. Ja, es ist wichtig, dass Menschen nachhaltig einkaufen. Doch es wäre sehr naiv, darauf zu vertrauen, ein individueller Lebenswandel allein könnte die Klimakatastrophe verhindern. Außerdem ist ein Wocheneinkauf im Biomarkt für viele einfach nicht drin – vor allem nicht für Studierende, von denen laut Statistischem Bundesamt Ende 2021 über drei Viertel armutsgefährdet waren.

Politiker*innen, die ihren Job nicht machen

Aber wie kommt es dazu, dass die Fatalismus-Fraktion den drohenden Klimakollaps verdrängt? Politiker*innen, die verantwortlich sind, ein klimaverträgliches System zu schaffen, kümmern sich nicht ausreichend. Das sorgt für Frust, ein Gefühl von Machtlosigkeit und führt unweigerlich zu Verdrängung – besonders bei jungen Menschen, deren Ängste einfach ignoriert werden.

Auch Konzerne lenken mit Greenwashing und Desinformationskampagnen von der eigenen Verantwortung ab. Dabei sind 20 Konzerne allein für 35 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen zwischen 1965 und 2017 verantwortlich. Das zeigt eine Studie des amerikanischen Climate Accountability Institutes. Aber Hauptsache, wir hinterfragen unser eigenes Verhalten.

Ja, wir können darüber streiten, wie gut es ist, in den Urlaub zu fliegen. Fingerzeigen sorgt aber nur dafür, dass Menschen Angst bekommen, sich zur Klimakrise zu äußern. Damit geht die politische Kraft verloren, die dafür sorgt, dass wir gemeinsam auf die Straße gehen und einen Systemwandel fordern.

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