Das FU-Präsidium lässt ein pro-palästinensisches Protestcamp mit Pfefferspray und Polizeigewalt räumen und begründet dies mit fehlender Dialogbereitschaft. Ein Zeichen wachsender Repression, kommentiert Dune Korth.
Protest ist schon immer fester Bestandteil der FU-DNA: Nicht nur schlug hier die Geburtsstunde der 68er-Bewegung mit dem ersten bundesdeutschen Sit-In 1966. Sogar der Gründungsmythos der FU fußt auf Protest: Drei Studierende wurden 1947 aufgrund ihrer politischen Haltung von der sowjetisch verwalteten Universität Berlin exmatrikuliert. Die darauf folgenden Proteste führten schließlich zur Gründung der Freien Universität in Dahlem. Mit diesen Geschichten rühmt sich die FU gern mal bei Jahrestagen wie jüngst zu ihrem 75-jährigen Jubiläum.
Andere Proteste hingegen würde sie am liebsten im Keim ersticken. Wie das pro-palästinensische Protestcamp der Student Coalition Berlin, das Solidarität mit der Zivilbevölkerung in Gaza forderte. Vereinzelt riefen Protestierende auch die verbotene Parole ‘from the river to the sea’. Keine drei Stunden stand das Camp bevor 200 Polizeibeamte anrückten, weite Teile des Geländes abgeriegelten und die Versammlung unter Einsatz von Pfefferspray räumten.
Universitätspräsident Günter Ziegler begründet dieses Vorgehen damit, dass die Form des Protestes nicht auf Dialog ausgerichtet gewesen sei. Eine Besetzung auf dem Uni-Gelände sei vielmehr generell inakzeptabel. Auch die Berliner Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra betonte gegenüber der dpa, es sei zwar legitim, gegen Krieg zu protestieren. Die Protestform jedoch sei nicht auf Dialog, sondern auf Konfrontation angelegt. Die Besetzer*innen ermöglichten keinen Dialog, deswegen wurden sie geräumt – diese Argumentation scheint zunächst klar.
Doch ein Dialogangebot seitens der Hochschulleitung hat es scheinbar gar nicht erst gegeben. Vielmehr heißt es in der Presseerklärung der FU, man habe “umgehend nach Bekanntwerden der Aktion die Polizei verständigt und gegen 11 Uhr eine Räumung des Camps angefordert”. Zu dem Zeitpunkt standen kaum die ersten Zelte im Theaterhof. Wer von vornherein bewaffnete Polizeikräfte ruft, kann unter Dialog nur Pfefferspray und Schlagstöcke verstehen.
Dieses Vorgehen kritisieren auch rund 120 Lehrende in einem offenen Brief. Dort heißt es, das Präsidium habe seine Pflicht verletzt, solange wie nur möglich eine dialogische und gewaltfreie Lösung anzustreben. Darüber hinaus betonen sie, legitimer Protest setze ohnehin keine Dialogbereitschaft voraus. Versammlung und freie Meinungsäußerung sind Grundrechte. Wie dialogbereit sich die Protestierenden zeigen, spielt dabei keine Rolle.
Studierende, die ihre Uni nicht mehr betreten können, Protestierende, die mit Pfeffergas vertrieben werden, Lehrende, die Brandbriefe an ihre Vorgesetzten schreiben und eine Unileitung, die Grundrechte präventiv einschränkt. Dienstag war kein normaler Tag in Dahlem. Doch überraschend kommt diese neue Stufe der Eskalation nicht.
Nachdem die gewaltvolle Räumung des Camps an der New Yorker Columbia University eine Menge negative mediale Aufmerksamkeit einbrachte, scheinen die europäischen Universitäten von Paris bis Wien auf keinen Fall ins Rampenlicht zu wollen. Taktik: Protest verhindern, komme was wolle. Die FU war schon vor Dienstag medial als die deutsche Problem-Uni auserkoren. Hat Ziegler Angst, bald Präsident der “deutschen Columbia” zu sein?
Die FU tut viel dafür, ihr Image zu retten. Seit Monaten tritt sie jeglichen Protesten zu den Geschehnissen im Nahen Osten mit Einschüchterung bis Gewalt entgegen. Schon als Studierende im November letzten Jahres einen Vorlesungssaal besetzten, rückte die Polizei an – und zahlreiche Kamerateams. Als im Februar dann ein Kommilitone den jüdischen FU-Studenten Lahav Shapira mit antisemitischem Tatmotiv brutal angriff, häuften sich erneut Rufe, die Uni möge endlich hart durchgreifen.
Der Berliner Senat fand schnell das passende Instrument: die Wiedereinführung des Ordnungsrechts im Berliner Hochschulgesetz. Auch FU-Präsident Ziegler machte sich für das Gesetz stark, im vergangenen März wurde es verabschiedet. Somit können Hochschulleitungen strafrechtlich verurteilte Studierende wieder zwangsexmatrikulieren. Und auch hier steht nicht weniger als ein Grundrecht – die freie Berufswahl – zur Debatte.
Dass die Regelung in der Praxis hohe Hürden hat, ändert nichts an ihrer Signalwirkung. Und die trifft nicht nur gewalttätige Antisemit*innen und Sexualstraftäter*innen, sondern vor allem die politisierte studentische Öffentlichkeit, die politische Verfolgung wittert.
Die Stimmung um den Israel-Gaza-Krieg ist überall am Überkochen. Seit dem 7. Oktober haben sich antisemitische Straftaten vervielfältigt, im Gazastreifen breitet sich eine Hungersnot aus und in Rafah finden eine Million Zivilisten kaum Schutz vor der anlaufenden israelischen Bodenoffensive. Viele bewegt diese Situationen, macht sie traurig, wütend, kämpferisch. Eine Unileitung müsste alles daran setzen, die Bedürfnisse ihrer Studierenden ernst zu nehmen und sichere Dialogräume schaffen. Stattdessen baut sie ihre Autorität aus und schüchtert Studierende ein, für deren Schutz sie eigentlich verantwortlich wäre.
Damit greift sie auch die Rolle der Hochschulen als Orte für gesellschaftliche Kritik und politische Auseinandersetzungen an. Dass Unis öffentliche Diskurse in dem Maße prägen, liegt an dem Raum, Meinungen zu äußern, Positionen auszuloten und in den Dialog zu treten. Dazu gehören auch laute Meinungsäußerungen und Protestcamps, gerade an der FU.