Studentischer Protest bedroht: Rückkehr des Ordnungsrechts?

Ein Gesetzentwurf des Berliner Senats plant die Wiedereinführung eines verschärften Ordnungsrechts für Hochschulen. Was genau dieses Ordnungsrecht ist und welche Gefahren davon für uns als Studierende ausgehen, bespricht Jessi Röhr mit Julius von der Initiative Hands Off Student Rights

Die Initiative Hands off Student Rights protestiert gegen das neue Ordnungsgesetz. Foto: Sara Kenderes

FURIOS: Hey Julius, was ist die Initiative Hands Off Student Rights

Julius: Hands Off Student Rights ist eine Kampagne, die sich gegründet hat, weil der Berliner Senat das Hochschulgesetz verschärfen und das Ordnungsrecht an Unis wieder einführen will. 

FURIOS: Du sagst gerade, das Ordnungsrecht soll wieder eingeführt werden – wann gab es das zuletzt?

Julius: In den meisten anderen Bundesländern gibt es das noch. In Berlin wurde es 2021 vom Rot-Grünen Senat abgeschafft. Einerseits, weil es nicht mehr zeitgemäß war, andererseits, weil es nicht praktikabel war und man es eigentlich fast nie eingesetzt hat. Der ursprüngliche Gesetzesentwurf geht auf die 68er Bewegung zurück, als es sehr breite Studierendenproteste, unter anderem gegen den Vietnamkrieg, gab. Jetzt will man es wieder einführen und ausweiten, um erneut gegen Studierendenproteste für Frieden vorzugehen. Wir als Studierende müssen das stoppen, weil wir Universitäten als politische und demokratische Orte verteidigen müssen.

FURIOS: Warum kämpft ihr gegen diesen Gesetzentwurf?

Julius: Dieser neue Gesetzentwurf ermöglicht, dass  Berliner Unis das Ordnungsrecht wieder einsetzen können. Das beinhaltet einen ganzen Maßnahmenkatalog, das geht über Disziplinierungen oder Rügen bis zur Exmatrikulation. Das heißt, dass zukünftig die Universität die Möglichkeit bekommt, Menschen, die Gewalttaten begangen haben, derer verdächtigt werden oder aber auch einfach „den universitären Ablauf in irgendeiner Form stören”, exmatrikuliert werden können. Wir als Kampagne finden das aus verschiedenen Gründen schlimm: Zum einen wird damit eine Schattenjustiz geschaffen, weil es neben gerichtlichen Verfahren zusätzlich auch noch Verfahren an Unis geben soll, wo undurchsichtige Gremien über diese Fälle entscheiden und Menschen belangen können. Zum anderen findet dadurch ebenfalls eine doppelte Bestrafung statt. Der  Kampagne geht es im Kern darum, dass der Gesetzentwurf in Berlin noch repressiver ist als in anderen Bundesländern. Die Formulierung „wer den universitären Ablauf stört”, ist enorm vage und kann auf so ziemlich alles, was an der Uni an politischem Protest stattfindet, zutreffen. Das geht von Bildungsstreiks wie TV Stud über Klimaproteste bis zu palästinasolidarischen Protesten. Letztere haben an der FU viel stattgefunden und sind der Grund dafür, dass es diesen Gesetzentwurf jetzt gibt. Zukünftig kann eine Unileitung gegen all das vorgehen. Das ist ein massiver Eingriff in die demokratische Uni als Ort der Meinungsäußerung, der natürlich auch politisch ist.

FURIOS: Ich dachte, dass die Universität in Form dieser Gremien die Behandlung eines Falls in die Hand nimmt und dann gegebenenfalls an die Justiz weiterleitet – vielmehr arbeiten sie aber parallel zueinander?! 

Julius: Der Gesetzentwurf ist noch nicht final. In dem ursprünglichen Gesetzentwurf, der vom Berliner Senat verabschiedet wurde, funktioniert es so, wie du zuletzt sagst: Es braucht kein abgeschlossenes juristisches Verfahren dafür, dass diese Gremien schon handeln können. Als Auslöser dieser Maßnahme gilt ein Übergriff auf einen Studierenden der FU und da wird es eine strafrechtliche Auseinandersetzung geben. Mit diesem Gesetzentwurf wäre es möglich, dem schon vorzugreifen: Die Uni könnte dann ein eigenes Verfahren starten und eine Person exmatrikulieren, unabhängig davon, was später in einem gerichtlichen Verfahren passiert. Ob das jetzt genauso kommen wird oder nicht, wird sich zeigen. Dass aber diese Möglichkeit überhaupt im Raum steht, ist einfach absurd.

FURIOS: Gibt es eine konkrete Vorstellung dazu, wie diese Gremien aussehen? Wie soll die Neutralität gewahrt werden?

Julius: Es braucht eine Person, die Volljurist*in ist und auch für das Richteramt zulässig ist, sowie weitere Personen mit juristischen Fachkenntnissen. Es wird offengelassen, ob es eine studentische Beteiligung geben kann und wie das Verhältnis dort wäre. In den meisten studentischen Gremien gibt es noch immer eine klare Mehrheit von Seiten der Professor*innen. Ich glaube, dass diese Gremien ähnlich besetzt sein würden. 

FURIOS: Du hast gerade gesagt, dass der Überfall auf einen jüdischen Studierenden diesen Gesetzentwurf ins Rollen gebracht hat. Es gab aber an der Uni schon vorher einen hohen Polizeieinsatz bei palästinasolidarischen Protesten – dabei ist es neben friedlichem Protest auch zu Ausschreitungen und antisemitischen Äußerungen gekommen. Was wäre eine vernünftige Alternative der Uni gewesen, darauf zu reagieren?

Julius: Es ist nicht so, dass Unis gerade handlungsunfähig wären, wenn es Gewaltvorfälle an Universitäten gibt. Faktisch gibt es jetzt schon sehr viele Maßnahmen, die Unis erlassen können: Hausverbote oder mehrmonatige Suspendierungen. Man weitet diese Kompetenzen jetzt massiv aus und ermöglicht auch eine Exmatrikulation.

Man muss ernst nehmen, wenn eine Person sagt: „Ich fühle mich an diesem Ort nicht mehr sicher“. Ich glaube aber auch, dass dieses Ordnungsrecht dabei nicht hilft. Es geht nicht wirklich um den Opferschutz. Die krassen Repressionen gegen palästinasolidarischen Protest gab es schon davor. Auch und vor allem für den Schutz vor sexualisierter Gewalt, der ebenfalls als Grund für die Gesetzesänderung angeführt wird, gibt es andere Strukturen, die man verändern muss. Laut Statistiken wurde in den vergangenen Jahren das Ordnungsrecht im niedrigen zweistelligen Bereich genutzt. Das ist also keine Maßnahme, mit der man tatsächlich Sicherheit schaffen kann. Für Menschen, die Diskriminierung an der Universität erfahren, weckt das falsche Hoffnungen. 

FURIOS: Ich verstehe in Bezug auf den Überfall, dass es einen besonderen Handlungsbedarf gab. Was mir an der Uni dennoch fehlt: Vernünftige und präventive Maßnahmen, um solche Eskalationen zu verhindern, anstatt nur Zwangsexmatrikulationen im Nachhinein. Welche Konsequenzen gehen denn insbesondere für nichtdeutsche Studierende mit solchen Gesetzesinhalten einher?

Julius: Viele Studierende bekommen Bafög oder wohnen in Sozialwohnungen, die durch die Stadt  finanziert werden. Wenn du exmatrikuliert wirst, dann droht dir, dass du deine berufliche Perspektive und Lebensgrundlage wegen einer Beteiligung an politischem Protest verlierst. Für internationale Studierende hängt auch der Aufenthaltsstatus daran. Damit werden Unis faktisch zu Orten der Abschiebung. Gerade in Zeiten eines gesellschaftlichen Rechtsrucks hat man plötzlich einen sehr vagen Gesetzentwurf: Man weiß nicht, wer in fünf oder zehn Jahren in der Regierung sitzt oder wer dann die Unileitung ist. Man schafft einen Präzedenzfall, mit dem es möglich ist, grundsätzlich jeden Protest zu illegalisieren. Es gibt zwar vereinzelte Statements von den Unileitungen, die versuchen, das zu relativieren. Sie sagen „Wir wenden das nur im Extremfall an“…

FURIOS: …dem blicke ich skeptisch entgegen. Da die Uni ihren Ruf wahren will, gibt sie auf Kosten ihrer Neutralität schnell öffentlichem Druck und Forderungen nach. Gerade bei gesellschaftlich erhitzten Themen muss die Universität diesem Druck jedoch widerstehen und sich die Zeit nehmen, faktenbasiert die Sachlage zu untersuchen, anstatt vorschnell zu handeln. Wie siehst du das?

Julius: Bis vor wenigen Monaten haben mehrere Berliner Universitätspräsident*innen das neue Ordnungsrecht ausgeschlossen. Nach der massiven Hetzkampagne, unter anderem in der Springerpresse, haben sich die meisten am Ende dafür ausgesprochen, obwohl sie es eigentlich kritisch sehen. Das ist auch nahezu deckungsgleich ein Gesetzesentwurf, den die AfD eingebracht hat. Der wurde dann von SPD und CDU aufgegriffen und im Berliner Senat eingebracht, kommt aber eigentlich von Rechtsaußen.

Das Ziel für die nächsten Wochen muss sein, das Ordnungsrecht zu stoppen. Da muss Druck auf die Unileitung, aber auch auf die Parteien gemacht werden. Dieser Gesetzentwurf war übrigens auch sehr überhastet. Gewerkschaften wurden nicht angehört, viele parlamentarische Abläufe wurden nicht eingehalten. Das zeigt, dass man das ganz schnell durchkriegen wollte, ohne dass Leute davon mitbekommen. Der Zeitpunkt der Semesterferien wurde ja bewusst gewählt, dann sind weniger Menschen am Campus… 

FURIOS: …die Asten sind nicht oder weniger aktiv. Ja, die Überstürzung fühlt sich an wie ein Symptom der Überforderung von Universität und Politik zugleich, welche einfach schnell die Gemüter beruhigen wollen. Wie kann Protest im Falle des Ordnungsrechts überhaupt noch aussehen? 

Julius: Für uns ist klar, dass wir uns nicht den Protest verbieten lassen. Es braucht weiterhin verschiedene Formate, Demonstrationen, Vollversammlungen, in denen man Unis als politische Orte erhält. Wir sind uns darüber im Klaren, dass der palästinasolidarische Protest gerade als Erstes von den neuen Maßnahmen betroffen wäre. Aber ich möchte unterstreichen, dass es darüber hinausgeht. Gerade wird ein Gesetz geschaffen, was uns alle als Studierende angreift. Wen trifft es als nächstes? Den Klimaprotest oder eine Kampagne gegen sexualisierte Gewalt am Campus? Mit diesem Gesetzentwurf schafft man eine Grundlage, mit der künftig sehr viel möglich sein wird. Das ist extrem besorgniserregend.

Furios: Was kann, soll und muss jetzt jede*r von uns tun, um das Ordnungsrecht zu verhindern? 

Julius: Politische Gruppen und Gremien, die an der Uni aktiv sind, stehen geeint dahinter, dieses Vorhaben zu stoppen. Es gibt auch offene Briefe – man kann den Abgeordneten schreiben. Es muss weiter Protest gegen Zwangsexmatrikulation geben. Und den wird es geben: das nächste Mal am 3. Juni vor dem HU Hauptgebäude –  wir sehen uns dort! 

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