Ein vollgepacktes Programm, bei dem Wissenschaft, Politik und Medien in einen Topf geworfen und ordentlich gemixt werden – und das auf einem Messegelände so groß wie mehrere Fußballfelder. Rika Baack versucht, sich im Chaos der re:publica zurechtzufinden.
Ich bin noch keine 20 Minuten auf der re:publica und prompt hat mich ein Reporter von der Berliner Morgenpost für ein Interview geschnappt. Wieso ich hier sei? Weil sich ein „Festival für die digitale Gesellschaft“ genauso vage wie spannend anhört. Weil ich bei meinem Berufswunsch bisher noch nicht über „irgendwas mit Medien“ hinaus gekommen bin und sich hier vielleicht Antworten finden lassen.
Außer dem Reporter und mir wuseln am ersten der drei Festivaltage noch mehrere tausend andere Menschen durch die STATION Berlin nahe des Gleisdreiecks. Neben dem riesigen Messegelände mit Ständen von Unternehmen, NGOs und Ministerien, habe ich schon über zehn Bühnen ausfindig machen können, auf denen non-stop Events parallel laufen. Das Spektakel findet seit 2007 jährlich statt, wobei diese Ausgabe die größte ist, die es je gab – und für mich die erste, die ich besuche.
Dieses Jahr wird die re:publica erstmals mit der Teenage Internetwork Conference zusammengelegt. Ich und alle anderen, die U25 sind, dürfen deshalb kostenlos dabei sein. Wie das die jungen Leute finden, muss der Reporter natürlich sofort herausfinden. Leider kann ich ihm nach meinen 20 Minuten vor Ort noch keine besonders packenden Zitate liefern, also zieht er weiter.
Hinein ins Getümmel
Insgesamt ist das ganze Event trotz Abwesenheit des Mega-Konzerns ziemlich „meta“. Da sich hier inhaltlich alles um das Internet und die Socials dreht, muss natürlich auch alles im Internet und den Socials landen. Ein Kamerateam nach dem anderen watschelt über das Gelände und als Gast wächst der digitale Fußabdruck damit ganz nebenbei mindestens um einige Schuhgrößen.
Auch wenn Meta fehlt, sind andere Großkonzerne wie Google und TikTok auf dem Gelände vertreten. Kommerzielle Eigenwerbung ist auf der re:publica allerdings verboten, weshalb sie sich an ihrem Stand einem digitalen Thema widmen müssen. TikToks Messestand wirkt leider dennoch weniger wie eine Aktion als eine Reaktion: Über die gesamten acht Quadratmeter sind Ausschnitte aus TikTok-Richtlinien gekleistert, die vermitteln sollen, wie sehr sich die App doch um ihr Publikum schert und was sie nicht alles tut, um junge Menschen vor Doomscrolling und Co. zu schützen.
Etwas spannender sind da die kleineren Stände: Hier kann ich Briefe an Senior*innen schreiben, mit einer VR-Brille eine Theaterperformance ansehen und ordentlich gratis Werbewaren abstauben. Das Programm selbst bietet mit 1600 Redner*innen und mehr als 800 Events – verteilt auf nur drei Tage – mehr Inhalt, als ich rein physisch miterleben könnte. Ein bisschen fühlt es sich an, wie wenn ich mir einen neuen Account auf einer Plattform anlege und sofort von Content überspült werde.
Glücklicherweise dauern die meisten Events nicht länger als eine halbe Stunde. Dennoch sind viele um einiges lehrreicher als so manche Uni-Lehrveranstaltung. So geht es zum Beispiel um Roboter und ihren Einsatz in der Pflege: Wie lebensnah sollten Roboter dabei sein dürfen? Eine andere Keynote dreht sich um die Frage, ob es auch in Deutschland bald ein Recht auf Digital Detox geben sollte.
Hoher Besuch
Auch für angehende Journalist*innen bietet das Festival einige Lernmöglichkeiten – und das nicht nur innerhalb von Events, die sich explizit um Fragen des modernen Journalismus drehen. Negativbeispiele sind manchmal ja die beste Ausbildung. Das Interview mit Annalena Baerbock, bei dem sich am Montagabend beinahe die gesamte Besucherzahl um eine Bühne tummelt, ist leider eines davon. Der Moderator Johnny Haeusler stiehlt der hochkarätigen Politikerin mit seiner blumigen Redeart nicht nur eine Menge ihrer wertvollen Redezeit, sondern stellt ihr auch Fragen, die an Innovationsgeist nicht zu übertreffen sind: „Wie können wir den Nahostkonflikt eigentlich lösen?“ Auch Annalena weiß hier nicht ganz weiter, hält kurz inne, überdenkt ihre Teilnahme und entgegnet schließlich: „Wenn ich das wüsste, dann wäre der Krieg bereits beendet.“
Glücklicherweise kann auch der ein oder andere Ausrutscher dem Festival nicht seine Relevanz nehmen. Von Polizeigewalt über Deepfakes bis zu News-Avoidance: Ein so aktuelles Konferenzprogramm habe ich nur selten gesehen. Themen wie der Nahostkonflikt oder der Rechtsruck sind dabei nicht nur Fußnoten, sondern oft Headliner.
Der größte Celebrity schlägt aber erst am Dienstag auf. Am Montag tuscheln die Gäste schon untereinander, es werden sogar verzweifelte Nachrichten an den Instagram-Account der re:publica gesendet. Wo bleibt sie nur? Am nächsten Tag ist es dann so weit: Ein Raunen geht durch die Menge, als die Ehrengästin über das Areal läuft. Da sich dauerhaft eine Traube von Menschen um sie ringt, allesamt auf der Jagd nach einem Selfie, ist es gar nicht so leicht, einen Blick auf sie zu erhaschen: Die Maus ist endlich da.
Mittlerweile ist sie scheinbar schon eine Institution auf der re:publica. Das ARD-Maskottchen wird stets von zwei Assistent*innen begleitet, die die haltlosen Fans auf Abstand halten (und die Maus bei Klobesuchen unterstützen). Auch wenn das Festival mich meinem Berufswunsch nicht unbedingt näher gebracht hat als „irgendwas mit Medien“, habe ich also nun zumindest einen Plan B: Das Mauskostüm ruft förmlich meinen Namen.