Kein Sex, keine Drogen, kein Französisch – das Leben in einem Kloster 

Juliania Bumazhnova lebt seit vier Jahren in Berlin und hat mittlerweile den Eindruck, schon überall gewohnt zu haben. In einem Erfahrungsbericht erzählt sie über ihre erste Berührung mit dem Berliner Wohnungsmarkt: das eine Mal, als sie ein Jahr in einem Kloster wohnte.

In Berlin in einem Kloster wohnen. Genau so schlimm, wie es klingt? Foto: Juliania Bumazhnova

Als man mich in meiner Heimatstadt mit funkelnden Augen fragte: „Wie war eigentlich dein erstes Jahr in Berlin? Bestimmt mega wild und heiß!”, nickte ich nur zustimmend und sagte erfahren: „Klar…Wie man sich das in Berlin halt vorstellt.” Gleichzeitig hatte ich einen Flashback, in dem ich in einem Stuhlkreis rhythmisch zu Jesus-Liedern klatsche. Die Definition von „wild” und „heiß” sei jedem selbst überlassen.

Eine Reihe von Ereignissen führte dazu, dass ich mein erstes Semester in Berlin in einem Kloster verbrachte. In einem ehemaligen Frauenkloster, übernommen von einer christlichen Organisation, dürfen unter der Betreuung von zwei Nonnen Student:innen wohnen. 300 €, 12qm, für ein Jahr.

Eine Nonne trug folgende Bedingungen am Einzugstag an mich heran

  1. Ein Abend in der Woche ist für Kennenlerntreffen reserviert.
  2. Die letzte Woche des Jahres ist Gebetswoche.
  3. „Korrekte“ Kleidung in den Fluren ist Pflicht.
  4. Mädchen und Jungs wohnen auf unterschiedlichen Fluren.
  5. Abends wird ein Vorhang zwischen den Mädchen- und Jungsfluren zugezogen – diese Grenze darf nicht überschritten werden.
  6. Kein Besuch in den Zimmern. Weder von Jungs noch von Mädchen.
  7. Geschlechtsverkehr im Kloster ist strengstens untersagt!
  8. Drogen sind tabu.

In Abhängigkeit von der Schwere des Verstoßes folgt eine Verwarnung beziehungsweise ein Verweis.

Vorteile des Klosterlebens

Ich weiß nicht, was ich vom Klosterleben erwartet hatte, aber spätestens ab Bedingung drei musste ich mich kneifen, damit die Mauern meiner Tränendrüsen stark blieben. Um nicht völlig zu verzweifeln, bemühte ich mich darum die guten Seiten meiner Haft- Situation zu bemerken: Die Miete war niedrig, jede Woche wurde uns frisches Obst und Gemüse geliefert, das wir kostenfrei verzehren durften und aus meiner Zelle hatte man einen schönen Ausblick auf einen großen Garten mit einem Friedhof. Falls ich vor Misere doch eingehen würde, gab es hier den vollen Service, um begraben zu werden.

Bald lernte ich auch meine Mitbewohner:innen kennen. Ich war nicht die Einzige, die der Berliner Wohnungsmangel und die niedrige Miete hier hergeführt hatte. Es gab aber auch einige, die sich sehr bewusst für das Wohnen in einem Kloster entschieden hatten und die auf meine sarkastischen Andeutungen, die Absurdität unserer Wohnungssituation betreffend, konsequent nicht eingingen. Eine Mitbewohnerin gab mir eine Begründung hier zu wohnen, die ich ganz schön fand: Das Kloster sei wie eine Oase in dem lauten Getöse Berlins ist, die dazu einlädt, in einem meditativen Zustand zu verweilen und Gott näher zu sein.

Glückliche Zufälle 

Einige erstaunliche Zufälle überraschten mich beim Kennenlernen meiner Mitbewohner:innen. Erstens hatten fast alle aus dem einen oder anderen Grund einen Bezug zu Frankreich und konnten französisch sprechen, was perfekt zu meinem Französisch Studium passte. „Genial!“, dachte ich, „Eine großartige Gelegenheit, mein Französisch zu verfeinern!“. Doch diese Träumereien sollten sich schon bald in Luft auflösen. „Kein Französisch!“, darauf bestand die Nonne. „Damit sich keiner ausgeschlossen fühlt.“ Kein Sex, keine Drogen und kein Französisch. Das sollte wohl das traurige Motto meiner Jugend werden. 

Der nächste Zufall war, dass die Mitbewohnerin, die direkt neben mir wohnte, auch Französisch studierte und sich herausstellte, dass wir ganz viele gemeinsame Kurse belegt hatten. Zufall Nummer drei: Es gab mehrere Rechtsstudent:innen im Kloster, was super war, da ich selbst einige Jura Kurse hatte und ein paar Leute, die sich damit auskennen, auf jeden Fall gebrauchen konnte. Zufall Nummer vier: Es stellte sich heraus, dass meine Patentante jeden Sonntag extra 100 Kilometer zurücklegt, um in eine Kirche zu gehen, die sich direkt neben meinem Kloster befindet.

Gott, Frankreich und Recht

Schon bald entstand eine herzliche Gemeinschaft, geprägt von Gelächter und Gesprächen über Gott, Frankreich und Recht. Vielleicht war das eine augenzwinkernde Aktion von Gott. Sich meiner bevorstehenden Herausforderungen im Studium bewusst, wollte er mich mit interessanten Menschen umgeben, die mir sowohl fachlich als auch emotional helfen würden, diese zu bewältigen. Unabhängig davon, wie eigenartig ich es hier manchmal fand, war es vielleicht ironischerweise genau der richtige Ort für mich.

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