Leder, Vögel und Deutschland: das Peitschenstück

Nach der neuen Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS), immer prekärer werdenden Zuständen an den EU Außengrenzen und einem zunehmend diskriminierenden Dialog müssen wir uns die Frage stellen, wie in Europa über Migration und Geflüchtete gesprochen wird. Was das mit Theater und Adlern zu tun hat, erklärt Clara Devantié im Interview mit FURIOS.

„Jeden Tag aufstehen, jeden Tag Deutschland machen, in den Spiegel sehen. Ich bin ein Güterzug, ich komme hierher, du bist ein Panzer. Wie sollen die miteinander reden?”

Clara Devantié ist Schauspielerin am Berliner Ensemble und spielt in Damon K. Taleghanis Peitschenstück – eine Entwürdigung in drei Akten am Berliner Ensemble den Anastasios. Er ist einer der drei Adler, die in einer heruntergekommenen Kneipe aufeinandertreffen und in einem zunehmend fanatischen Dialog Deutschlands Zukunft diskutieren. Anastasios und Stammgast Hagen werden von einem namenlosen Adler mit einem Koffer voller Peitschen überrascht, der aus der deutschen Kneipe eine Fetischbar machen möchte.

Welche Themen diskutieren die drei Adler?

Die Würde des Menschen, aber schon aus einer sehr historisch-deutschen Perspektive. Die Adler zeigen in einer überspitzten Form, wie Menschenwürde in Deutschland momentan ausgelegt und diskutiert wird.

“Wo das Meer war ist nur noch Munition und wo Leder war ist nur noch gerötete Haut“

Was bedeutet Würde für dich?

Für mich ist Würde in erster Linie ein Kampfbegriff, trotzdem bleibt er eine vage Behauptung. Wir haben diese utopische Vorstellung von unantastbarer menschlicher Würde. Doch das stimmt einfach nicht: Sie ist nicht in ihrem Wesen unantastbar. 

Die eigene Würde definiert sich auch darüber, wie man andere behandelt. Natürlich hat jeder Mensch eine Würde, aber ob du wirklich ein würdiges Leben führen kannst, ist etwas, was Andere und die Gesellschaft dir garantieren müssen. Die Würde hat nur im menschlichen Umgang eine Bedeutung – würde man alleine im Wald leben, wäre sie bedeutungslos. 

Der namenlose Adler hat nur ein Ziel: Er will die deutsche Staatsbürgerschaft! Während er versucht, den anderen zu beweisen, dass er dieser würdig ist, übernimmt er schnell ihre Sprache und ihren Fanatismus. Ob durch vulgäre Wortwahl und Beleidigungen oder juristische Begriffe, die in ihrer Sachlichkeit nichts Menschliches mehr erahnen lassen. Es wird klar, dass Sprache auch entwürdigend sein kann. Die Bühne wird während des Stücks akribisch von den Adlern geputzt – als wäre die Würde schon verspritzt.

“Mir ist vor allem die Vermischung von Aktivismus mit der üblichen Theaterszene wichtig. Dass Themen besprochen werden, die sonst vielleicht keinen Platz auf der Bühne finden und so auch Menschen erreichen, die sich sonst nicht damit befassen.“

Warum ist das Thema gerade jetzt besonders aktuell?

Das Thema ist immer aktuell, obwohl am Anfang der Proben einige gesellschaftliche Situationen noch nicht so zugespitzt waren wie jetzt. Die Diskussionen um Migration und Schutz für Geflüchtete werden immer schärfer; auch gibt es immer höhere Umfragewerte für die AfD. Die Würde des Menschen wird so andauernd in Frage gestellt, mittlerweile selbst von den Parteien der „Mitte“. 

Auch die Rhetorik, die darum stattfindet, greift die Würde von Menschen mit Migrationshintergrund an. Die GEAS-Reform kommt in der öffentlichen Wahrnehmung zum Beispiel viel weniger extrem und entwürdigend rüber, als es ihre Umsetzung wirklich ist. Gerade werden wir Zeug*innen einer Überschneidung ganz vieler unterschiedlicher Ereignisse: Krieg in Gaza, rechte Parolen auf Sylt, der Rechtsruck bei der Europawahl. Es gibt zwar eine bürgerliche Empörung, aber keinen guten Diskurs, was wir in Deutschland aus der Vergangenheit gelernt haben und vor allem noch lernen müssen.

“Das ist einfach das neue Deutschland. Und das kann ganz schön ballern!“

Wie hast du dich mit deiner Rolle vertraut gemacht?

Die Rolle ist eher eine Metapher als ein Charakter, den man psychologisch gut verstehen muss. Anastasios ist ziemlich lächerlich und ein Bild für etwas Anderes. Wir haben viel Körperarbeit gemacht, um uns in die Vögel hineinzudenken. Das Vertrautsein mit der Rolle kam im Spiel mit den Anderen, vor allem mit dem Schauspieler von Hagen.

Peitschenstück – eine Entwürdigung in drei Akten wird in der aktuellen Spielzeit noch bis Mitte Juli gezeigt. Das Stück ist kurz, überzeugt aber durch eine Reizüberflutung, die nachdenklich macht. Ich kann sehr empfehlen, den drei Adlern einen Besuch abzustatten! Regie führt Alireza Daryanavard.

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